Der Fluch der Repeat-Taste

Der Sohn hört seine Lieblings-Songs am liebsten hundert Mal am Stück. So hat er unsere Autorin dermaßen zermürbt, dass sie inzwischen sogar Sarah-Connor-Schnulzen erträgt. Wie konnte das passieren?

Manchmal beneide ich meine Mutter, gestern war wieder so ein Tag. Die musste nämlich die Dauerschleife nicht ertragen, nicht im gleichen Ausmaß wie ich. Das Faible für die Dauerschleife ist in unserer Familie genetisch veranlagt. Aber die Technik war früher eine andere. Ich hatte einen Kassettenrekorder und um mein Lieblingslied noch mal zu hören, also zum Beispiel »Taking me Higher« von Barclay James Harvest, und nochmal und nochmal und nochmal – musste ich erst mal zurück spulen. Das hat meiner Mutter eine Verschnaufpause verschafft. Die hatte ich damals als Kind übrigens auch: Bis meine Mutter die Nadel vom Plattenspieler wieder auf den Anfang von Madame Butterflys »Un bel dì vedremo« gesetzt hatte, verging ein wenig Zeit zum Durchatmen, denn meine Mutter war darin etwas ungeschickt.

Gestern hat mein Kleiner den gesamten Nachmittag lang »Want to want me« von Jason Derulo gehört, in Endlos-Dauerschleifen-Repeat. Drei Stunden lang. Natürlich ist das Symbol mit den beiden Kreislauf-Pfeilen auf dem Iphone auch eines meiner am häufigsten genutzten. Beispielsweise habe ich neulich beim Joggen eine halbe Stunde lang »Stolen Dance« von Milky Chance gehört. Den Song habe ich meinem Sohn zu verdanken. Der hält mich nämlich auf dem Laufenden, was Pop angeht. Cros »Bye Bye«, Ed Sheerans »Photograph«, Robin Schulz »Sugar« – ich kann die diesjährigen Jahres-Charts von Itunes rauf, runter, rückwärts und repeat rezitieren. Weil mein Kind sie seit Monaten in Dauerschleife hört.

Er findet nichts dabei, dass ich auch seine Musik höre. Das finde ich seltsam. Ich hätte das nicht gewollt: dass meine Mutter »Taking me Higher« mit trällert. Das war meine Musik. Deswegen bin ich später auch zu Fugazi und Nirvana übergegangen. Damit die Großen das auf keinen Fall gut finden.

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Aber jetzt hören die Jungen Sarah Connor. Die macht Schnulzen für jede Altersklasse, Familien-Pop so zu sagen. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich mal Sarah Connor hören würde. Ich weiß nicht, ob es an der Dauerbschallung liegt, dass man sich an alles gewöhnt. Oder am Alter liegt, vielleicht ist es die einsetzende Senilität. Jedenfalls, ich: Sarah Connor! Krass. Laut. Im Wohnzimmer. Auf Repeat. »Wie schön du bist«. Singt sie über ihren Sohn. Der ist fast so alt wie meiner. Repeat! Und plötzlich kommt er ins Zimmer geschossen, drehte den Regler runter und schreit: Es reicht!

Ich glaube, er wollte die Sarah-Connor-Schnulze doch für sich haben. Ich habe ihm darauf nicht gesagt: Dann solltest du krasseres Zeug hören. So wie dein großer Bruder, der sich das Carlo-Coxx-Nutten-Gelaber von diesem Bushido-Typen rein zieht. Das wirkt! Das würde ich auf keinen Fall hören wollen!

Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich bin ja nicht dumm. Ich habe es auf die logische Tour versucht: Was soll ich denn machen, habe ich gerufen, wenn du dauernd auf Repeat gehst und damit andere anstiftest, deine Musik in die Top Twenty zu bugsieren? So dass jede Oma mitsingen muss. Wir haben bei Itunes ein Familien-Abo. Und der Nummer-1-Hit stammt übrigens von einem Typ namens Omi.

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