Zutritt verboten

Seine größten Geheimnisse verbirgt das russische Militär in »geschlossenen Städten«, die man als normaler Mensch nicht betreten darf. Der Fotograf Sergey Novikov hat sich trotzdem dort umgesehen.

Name: Sergey Novikov
Alter: 36
Ausbildung: Eigentlich Foto- und Videoredakteur
Wohnort: Moskau
Website: www.sergeynovikov.com

SZ-Magazin: Was genau sind »Geschlossene Städte«?
Sergey Novikov: Vereinfacht gesagt sind das Orte, an denen sich sensible militärische Einrichtungen befinden. Dort werden zum Beispiel Nuklearwaffen entwickelt, wie in Arzamas-16, oder vernichtet, wie in Sverdlovsk-45. Manche dienen auch als Marinebasis oder als Standort der russischen Raketenstreitkräfte. Sie sind ein eher unbekanntes Phänomen, schließlich waren sie bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion geheim und auf keiner Karte zu finden; ihre Namen waren verschlüsselt.

Wie viele dieser Städte gibt es denn?
41. 1,2 Millionen Menschen leben dort.

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Und wie kommt man hinein?
Um hineinzukommen, muss man dort arbeiten oder einer dort stationierten Armee-Einheit angehören. Sonst benötigt man einen Zugangspass, der in der Regel aber erst nach der Einladung eines Bewohners ausgestellt wird, welcher am besten auch noch ein naher Verwandter sein sollte. Zuständig dafür ist der FSB, der russische Geheimdienst.

Wie haben Sie es denn selbst geschafft, in diese Städte zu kommen?
Das war sehr kompliziert und langwierig. Ich wollte zum Beispiel einmal ein Fussballspiel in Sneschnogorsk besuchen, das ist eine Stadt in Nordwestrussland nahe der norwegischen Grenze, in der sich eine Reparaturwerft für Atom-U-Boote befindet. Erst zwei Monate, nachdem ich meinen Antrag gestellt hatte, bekam ich die Genehmigung. Am ausgemachten Tag wurde ich am Checkpoint abgeholt und zum Stadion gebracht. Während meiner gesamten Zeit in der Stadt war ich in Begleitung.

Wie konnten Sie unter diesen Umständen Ihr Fotoprojekt realisieren?
Es war mir tatsächlich nicht möglich, einfach durch geschlossene Städte zu laufen und irgendwas zu fotografieren. Ich habe deshalb einen anderen Ansatz gewählt. Mein Projekt ZATO ist eine Visualisierung der Erinnerungen von Bewohnern dieser Städte und meiner eigenen Erfahrungen. Bis auf die ersten vier Fotografien sind alle gestellt. Da ich aber dennoch auch das Innere der Städte zeigen wollte, habe ich Fotografen, die dort leben, gebeten, für mich ein paar Aufnahmen zu machen. Diese sind auch Teil meines Projekts und Buchs.

Wie kamen Sie auf die Idee für Ihr Projekt?

Als ich das erste Mal in einer geschlossenen Stadt war, war ich überrascht, dass so etwas im modernen Russland überhaupt noch existiert. Es schien ein Überbleibsel aus der Sowjet-Ära zu sein, aber irgendwie steckte doch mehr dahinter. Inzwischen sehe ich die geschlossenen Städte als Miniatur-Versionen unseres Landes, das ja auch eine Tendenz zur Selbstisolation hat. Bei ZATO geht es außerdem um die absurde Idee, gänzliche Sicherheit und Isolation zu erzeugen: So geschützt diese Städte auch sind, es gibt natürlich Löcher in den Mauern und mit ein bisschen Geschick kann man sich einen Zugangspass kaufen. Ich habe versucht, durch offensichtlich gestellte und sogar ein bisschen groteske Bilder auf diese Absurdität hinzuweisen.

Haben Sie im Zug Ihrer Recherchen auch einen Eindruck davon gewonnen, was die Bewohner dieser Städte davon halten, hinter Mauern zu leben?

Ein Großteil der Leute scheint es sehr zu mögen. Im vergangenen Oktober hat das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung den Plan vorgestellt, sechs der 41 geschlossenen Städte zum 1. Januar 2016 zu öffnen. Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe und hat bei den Bewohnern und lokalen Behörden für große Verärgerung gesorgt. Eine Welle des Zorns ging durch Internetforen und soziale Medien. Es wurde sogar eine Petition bei Sergey Kirienko, dem Generaldirektor von RosAtom (Anmerkung: Staatliche Agentur für Atomenergie) eingereicht, mit dem Ziel, alle Versuche, die Städte zu öffnen, zu stoppen. Mit Erfolg: Alles ist beim Alten geblieben.

Fotos: Sergey Novikov