Gefährliche Liebschaften

Da dachte man stets, die Briten hätten quasi überhaupt keinen Sex, und dann das: Laut einer Meldung hat sich jeder dritte Brite schon mal im Bett verletzt. Warum bloß? Unser Autor hat da eine Vermutung.

Die Schweizerische Fachzeitung Blick am Abend berichtet Verheerendes über das Sexualleben der Engländer, Schotten und Waliser: »Jeder dritte Brite verletzt sich beim Sex. Die Inseleuropäer scheinen beim Liebesspiel keine Acht auf ihre Gesundheit zu geben und klagen nach dem Akt oft über gezerrte Muskeln, Schürfwunden und Rückenprobleme. Fünf Prozent übertreiben es dermaßen, dass sie sich sogar krankschreiben lassen müssen.« Ganz abgesehen davon, dass wohl auch die Inseleuropäerinnen gemeint sind, und ganz abgesehen auch davon, dass das Wort »Liebesspiel« seit 1953 auf der Schwarzen Liste der Genfer Vermischte-Sexualnachrichten-Konvention steht: Was ist da los?

Die Gründe für das verletzungsintensive Sexleben der Briten lassen sich nur mit einem interdisziplinären Ansatz beleuchten.

Sportmedizinisch betrachtet, deuten insbesondere »gezerrte Muskeln« auf unzureichende Vorbereitung und mangelnde Fitness hin. Sporthistorisch gesehen gibt es hier gewisse Problembereiche, in denen weitergeforscht werden könnte (cf. Vorrundenaus 2014, Elfmeterschießen).

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Wirtschaftsgeschichtlich erklären sich insbesondere die Schürfwunden unter Umständen durch die Krise der britischen Textilindustrie, in deren Verlauf die englische Auslegware immer rauer wurde. Darauf deutet hin, dass es für beim Geschlechtsverkehr auf rauen Teppichen erworbene Schürfwunden an Knien oder Ellbogen in der englischen Sprache einen eigenen Begriff gibt, der in anderen Sprachen unbekannt ist: »rug burn«, zu Deutsch etwa »Teppich-Reizung«.

Überhaupt kommen die entscheidenden Analyseinstrumente für diesen Sachverhalt womöglich aus dem Bereich der Philologie: Wo im US-amerikanischen Englisch »fucking« als verstärkendes Attribut eingesetzt wird (»Fucking hell!«, zu Deutsch etwa: »Verflixt und zugenäht!»), verwendet das britische Englisch äquivalent den Begriff »bloody» (»Bloody Hell!«, zu Deutsch etwa: »Meine Güte nochmal!«). Dies legt nahe, dass die „Inseleuropäer" (Blick am Mittag) beim Geschlechtsakt Verletzungen für so naheliegend und normal halten, dass für sie »fucking« und »bloody« die gleiche Bedeutung haben.

Politologisch gesehen bestätigt sich auch bei diesem Sachverhalt die britische Sonderstellung in Europa. Vergleichsdaten aus dem Kontinentalbereich der EU liegen nicht vor, Brüssel schweigt, was darauf hindeutet, dass die Rate bei Sexverletzungen in anderen europäischen Ländern unterhalb der Grenze der statistischen Erfassbarkeit liegt. Die beliebte Leitartikelformulierung von diesem oder jenem Mitgliedsland der EU als »kranker Mann Europas« bekommt unter diesem Vorzeichen jedenfalls eine ganz neue Klang.

Kommunikationswissenschaftlich ist insbesondere der Aspekt der Krankmeldungen interessant: Wie und warum sagt man eigentlich, dass man nicht zur Arbeit kommen kann, weil man sich beim Sex den Rücken verrenkt hat? Offenbar sind die Bereiche Gartenarbeit, Heimwerkerei und oben auf dem Schrank nach was Suchen in Großbritannien so schambesetzt, dass im Zweifelsfall lieber eine Sexverletzung vorgeschoben wird. Fremdes Albion!

Illustration: Eugenia Loli