Wie geht man mit blöden Geschenken um?

Muss man eine teure Flasche Rotwein, die man geschenkt bekommen hat, andächtig trinken? Oder darf man sie, wenn man keinen Rotwein mag, als Glühwein verkochen?

»Zum Geburtstag habe ich eine Flasche Rotwein geschenkt bekommen, obwohl ich keinen mag. Es war ein recht guter Wein, trotzdem habe ich ihn bei einer Feier zusammen mit viel billigem Glühwein verkocht. War das in Ordnung, weil sich der Schenker ja auch nicht die Mühe gemacht hat, herauszufinden, was ich mag? Oder hätte ich ihn seinetwegen dennoch trinken müssen?« Ute G., Köln

Bei Ihrer Schilderung musste ich an Die Leute von Seldwyla denken. Der Dichter und Schriftsteller Gottfried Keller charakterisierte die Bewohner dieses fiktiven Schweizer Ortes in seiner gleichnamigen Novellensammlung unter anderem damit, sie würden sich nicht recht um ihre Belange kümmern und sich dann in die Faust lachen, »wie jener Knabe, welcher sagte: Es geschieht meinem Vater schon recht, wenn ich mir die Hände verfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe!«

Irgendwie klingt bei Ihnen ein ähnlicher Vorwurf durch: »Es geschieht dem Schenker schon recht, wenn ich den guten Wein zu billigem Glühwein verkoche, warum macht er sich nicht die Mühe, herauszufinden, was ich mag!« Was Sie und den Knaben bei Gottfried Keller eint, ist die Tatsache, dass Sie sich beide selbst schädigen in der Absicht, einen anderen zu treffen, der sich Ihrer Meinung nach in diesem Zusammenhang nicht richtig verhalten hat. Nur ist dieser andere von Ihren jeweiligen Schäden viel weniger betroffen als Sie beide.

Meistgelesen diese Woche:

Natürlich ist es schöner, wenn sich jemand genaue Gedanken über ein Geschenk macht. Andererseits ist eine Flasche guten Rotweins, Sekts oder Champagners so etwas wie die allgemeine Standardwährung des Schenkens, mit der man normalerweise nicht viel falsch machen kann – außer bei Ihnen. Hätten Sie deshalb den Rotwein, den Sie nicht mögen, dennoch trinken müssen? Natürlich nicht. Aber da Sie das Wissen um Weinvorlieben als so elementar erachten, sollten Ihnen auf Anhieb etliche Mitmenschen einfallen, die guten Rotwein mögen. Einem oder einer von denen hätten Sie den edlen Tropfen, statt ihn zu verpanschen, beim nächsten Besuch kredenzen oder die Flasche schenken können. Einfach so. Die Tatsache, dass Sie etwas übrig haben, was ein anderer wesentlich mehr schätzt als Sie selbst, ist Anlass genug für ein spontanes Geschenk.

Literatur:

Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla, Teil I, Original: Vieweg, Braunschweig 1856

Mittlerweile in verschiedenen Ausgaben erschienen

Digitalisat und Volltext der Originalausgabe online abrufbar hier.

Das Zitat findet sich auf Seite 6.

Illustration: Serge Bloch