»Merkel hat die Flüchtlinge nicht eingeladen«

Shimon Peres war Mitte 20, als er den Staat Israel mitgründete, Anfang 30, als er geheime Verhandlungen mit Franz-Josef Strauß über Waffenlieferungen führte und 90, als er sein letztes Amt, Staatspräsident von Israel, niederlegte. SZ-Korrespondent Peter Münch und SZ-Magazin-Redakteur Rainer Stadler haben ihn in Tel Aviv besucht.

    Der Termin stand bis zum Schluss auf der Kippe, wenige Tage zuvor war Shimon Peres, 92, wegen Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es ist morgens um 10, Peres trifft mit langsamen Schritten, aber wieder genesen, im Büro seines Friedenszentrums in Tel Aviv ein. In den Vitrinen und Fensternischen sind Skulpturen und Auszeichnungen aneinander gereiht. Als die SZ-Redakteure wissen wollen, welche davon Peres 1993 bei der Verleihung des Friedensnobelpreises erhielt, haben seine Mitarbeiter Schwierigkeiten, die entsprechende Medaille zu finden.

    Wie jeden Morgen hat er sich gründlich über die Lage der Welt informiert, seine Mitarbeiter stellen ihm täglich seine eigene Zeitung zusammen, mit Artikeln aus internationalen Zeitungen. Natürlich ist ihm die Flüchtlingskrise und die Debatte darüber in Deutschland nicht entgangen. Er lobt Angela Merkel für ihr moralisches Verhalten und ihre Beharrlichkeit: »Merkel hat die Flüchtlinge nicht eingeladen. Sie stand vor einem Dilemma. Wenn man sich moralisch verhält, bedeutet das nicht, dass damit alle Probleme gelöst wären. Aber man hat ein Rückgrat und springt nicht hin und her.«

    Peres selbst hat viele Krisen erlebt und ist dennoch Optimist geblieben: Zwar seien der Friedensprozess mit den Palästinensern leider immer noch nicht vollendet und einige neue Konflikte im Nahen Osten aufgebrochen. Aber, erklärt Peres, verglichen mit den Anfangsjahren habe sich die Situation Israels deutlich verbessert: »Wir waren 600 000 Juden, umgeben von vierzig Millionen Arabern. Und die haben gedroht, uns umzubringen.« Frieden mit den Arabern? Das sei für viele damals unvorstellbar gewesen. »Aber wir haben gezeigt, dass es möglich ist: Wir haben Frieden mit dem größten arabischen Land geschlossen, Ägypten. Wir haben mit Jordanien Frieden geschlossen.«

    Meistgelesen diese Woche:

    Peres zeigt sich überzeugt, dass auch die Krisen der Gegenwart – der Krieg in Syrien, das Aufleben des religiösen Fundamentalismus, die weltweite Gefahr durch Terroranschläge – zu einem Ende kommen. Im Zeitalter der Wissenschaft gehe es nicht mehr um Grenzen, Kriege und Macht. »Man kann in der Wissenschaft erfolgreich sein, ohne den Wettbewerber klein zu machen.« Die erstaunlichen Erfolge von Donald Trump oder Bernie Sanders im US-Wahlkampf deutet Peres als Symptome für den Protest der Bevölkerung gegen die Politik, die in Zukunft noch mehr an Bedeutung verlieren werde. Sicher eine überraschende Einsicht für einen Mann, der sieben Jahrzehnte lang Spitzenpolitiker war.

    Das Interview lesen Sie hier mit SZ Plus

    Foto: Armin Smailovic