Loben, lügen oder schweigen?

Eine Bekannte betätigt sich als Künstlerin. Darf man ihr sagen, dass einem ihr Schaffen nicht gefällt?

»Bei einer Veranstaltung gestaltete zu meiner Überraschung eine entfernte Bekannte das künstlerische Rahmenprogramm, das mir nicht gefallen hat. In der Pause wusste ich nicht, was ich tun soll. Ich wollte sie nicht loben, weil das gelogen wäre. Nicht auf ihren Beitrag einzugehen, fand ich auch nicht möglich. Deshalb bin ich ihr aus dem Weg gegangen. Was hätten Sie empfohlen?« Luis Z., Köln
Vielleicht könnten Sie zur Lösung Ihres Problems Anleihen bei Basil Fawlty nehmen, dem Hotelbesitzer in der wunderbaren BBC-Serie Fawlty Towers des Monty-Python-Mitglieds John Cleese, der Fawlty selbst brillant spielt. Fawlty benutzt diverse Methoden, um unangenehmen Situationen zu entgehen. Oft beruft er sich auf eine alte Schrapnellverletzung aus dem Korea-Krieg, die immer dann plötzlich Probleme bereitet, wenn es für Fawlty eng wird und er einen Grund zum Rückzug braucht, zum Beispiel weil seine Frau Sybil eine unangenehme Frage stellt.

Noch einfallsreicher zeigt er sich an anderer Stelle: Als Fawlty in der Episode »Gourmet Night« Colonel Hall, einem Gast, der unter nervösen Zuckungen (englisch: nervous twitch) leidet, einen anderen Gast namens »Zuckinger« (im Original: Mr. Twitchen) vorstellen soll, ist ihm das so unangenehm, dass er nach mehreren Versuchen, es zu umgehen oder den Namen unverständlich zu nuscheln, schließlich eine Ohnmacht vortäuscht und anschließend das Weite sucht.

Im Grunde haben Sie – lediglich mit weniger Schauspielerei – das Gleiche getan, als Sie Ihrer Bekannten aus dem Weg gegangen sind, was ich nur für bedingt glücklich halte. Für noch unglücklicher hielte ich es jedoch, den Auftritt aus Verlegenheit über den grünen Klee zu loben, wenn das für Sie eine offene Lüge darstellt.

Meistgelesen diese Woche:

Das muss aber gar nicht sein: Sie können Ihre Bekannte auf Ihre Überraschung ob des Zusammentreffens ansprechen oder einen Teilaspekt herausgreifen, der Ihnen gefallen hat oder zu dem Sie eine Frage haben. Dann haben Sie nichts Negatives gesagt, aber auch nicht gelogen, und Ihre Bekannte kann sich ihren Teil denken oder auch nicht. Es gibt im Leben auch Zwischentöne, Text zwischen den Zeilen, und vor allem muss man nicht alles aussprechen, was man denkt.

Quellen:Fawlty Towers, Gourmet Night (deutsch: Feinschmecker Paradies) Staffel 1, Episode 5, Regie: John Howard Davis, Drehbuch: John Cleese und Connie Booth, ab 13:30Im Englischen Original kommt am Ende der Szene noch der zusätzliche Gag, dass sich Mr. Twitchen nach Fawlty’s Abgang selbst vorstellt und sich zeigt, dass er seinen Namen nicht mit »i« ausspricht, wie in »twitch« für »Zucken«, sondern mit »ai« wie »Twaytchen«, wodurch die Peinlichkeit entfällt und somit auch für Basil Fawlty entfallen wäre.Die Düsseldorfer Philosophin Simone Dietz geht in ihrem sehr lesenswerten Buch Die Kunst des Lügens. Eine sprachliche Fähigkeit und ihr moralischer Wert (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003) auf den Wert der Lüge ein und befasst sich dabei auch mit den, wie sie es nennt »Grauzonen der Lüge« (S. 51f.)Mehr zum teils nur vermeintlichen Spannungsverhältnis zwischen Höflichkeit und Lüge findet man im Kapitel »Das Kompliment. Höflichkeit und Lüge« in: Rainer Erlinger, Höflichkeit. Vom Wert einer wertlosen Tugend, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2016, S. 37-59
ie = true;

Illustration: Serge Bloch