Sturm der Liebe

Wenn im Fußball über Pokale, Meisterschaft und Abstieg entschieden wird, werden die Männer auf dem Rasen besonders emotional. Eine Galerie der großen Gefühle.

Denken Sie sich die Trikots und den Rasen weg. Achten Sie nur auf die Blicke, die Zärtlichkeit. Wo würde man solche Szenen vermuten? Am Flughafen, wo sich Partner in Fernbeziehungen nach langer Trennung in die Arme fallen. Auf dem Abschlussball, wo die erste große Liebe tanzt. Vor dem Traualtar, wo man sich Treue bis in den Tod schwört.

Bei so viel Gefühl kann man neidisch werden: Wann sind Sie von Ihrem Partner zuletzt so leidenschaftlich im Arm gehalten worden wie David Alaba von Pep Guardiola? Wie oft spazieren Sie Hand in Hand durch die Öffentlichkeit wie Julian Draxler und Leon Goretzka? Und können Sie beim Walzer die Welt um sich herum vergessen, wie es Vincent Kompany und Steven Defour tun?

Die beiden belgischen Nationalspieler tanzen ja nicht auf einer Hochzeit, sondern auf einem Stück Rasen, um das herum riesige Zuschauertribünen mit Zehntausenden Sitz- plätzen und Fernsehübertragungstechnik gebaut wurde. Wir dürfen also zusehen, trotzdem fühlt man sich beim Betrachten dieser Fotos wie ein Voyeur oder zumindest wie ein unabsichtlicher Beobachter, der ein Liebespaar in einer einsamen Ecke des Stadtparks stört, kurz »Oh, Verzeihung« nuschelt und schnell seines Weges geht.

Dass die Liebe, um die es im Fußballstadion geht, größer ist als jene, die auf Hochzeitsmessen vermarktet wird, dürfte bekannt sein. 51 Prozent der deutschen Männer sollen Umfragen zufolge schon einmal in einer Beziehung fremdgegangen sein, aber fragen Sie mal in der Fankurve von Hannover 96, deren Spieler gerade erbärmlich aus der Bundesliga absteigen, ob da auch nur einer seinem Verein den Rücken zukehrt. Nicht zu sprechen von den Süchtigen, die zu jedem Auswärtsspiel fahren, bis ins tiefste Osteuropa der Europa League.

Tränen, Umarmungen, Küsse – die gibt es auf den Stehtribünen auch. Vielleicht störte sich deswegen niemand daran, als Gary Neville von Manchester United seinen Teamkollegen Paul Scholes auf den Mund küsste. War ein geiles Tor, da sucht sich die Euphorie einen Weg nach draußen. Natürlich hat da kein Zuschauer gepfiffen. Dabei sind die befürchteten Reaktionen der Fans doch das große Argument gegen das erste Coming-out eines aktiven Fußballprofis. Frage: Wäre Homosexualität im Fußball sichtbar, verlöre dann die heterosexuelle Zärtlichkeitskultur auf dem Feld ihre Unbefangenheit? Und schwört deswegen jeder Spieler felsenfest, dass er auf keinen Fall schwul ist? Kämen sich Testosteron-Bolzen wie Zlatan Ibrahimovic sonst merkwürdig vor, wenn sie beim Torjubel zwischen den Beinen eines Mitspielers liegen?

Jetzt, im Frühling, ist die Erregung besonders hoch, wo ein Tor über Meisterschaft, Pokal und Abstieg entscheiden kann. Da wird nach dem Abpfiff geheult, getanzt, geknuddelt, im nass geschwitzen Leibchen des Gegenspielers. Und die Fankurven singen selbst gedichtete Liebeslieder. In Zeiten von Tinder-Dates und hohen Scheidungsraten sind Fußballer die letzten Romantiker.

Fotos: Getty Images, dpa, Christina Pahnke/sampics