Zehn-Punkte-Politik

Unser Kolumnist findet es unfair, dass nur wohlhabende Menschen Steuerflucht begehen können. Seine Idee: Eine Steueroase für den kleinen Mann - mitten in Deutschland.

Wenn in der Welt etwas geschieht wie die Veröffentlichung der Panama-Papiere, ist die Folge immer ein Zehn-Punkte-Plan. Die Geschichte ist voll von Zehn-Punkte-Plänen, ja, es hat auch Neun-Punkte-Pläne gegeben, sogar Elf-Punkte-Pläne, doch der Zehn-Punkte-Plan ist die Regel. Helmut Kohl hat auf den Fall der Mauer 1989 ebenso mit einem Zehn-Punkte-Programm reagiert wie die EU-Kommission 2015 auf die Flüchtlingskrise. Auch werden Antibiotika-Resistenzen und der Rassismus im Fußball mit Zehn-Punkte-Plänen bekämpft. Zentrale Bestandteile jedes Zehn-Punkte-Planes sind die Wörter schärfer, Maßnahme, verstärken, drängen, Gesetz, mehr Geld, handeln, sicherstellen, bereitstellen, rasch, schnell und zügig sowie die drei Begriffe sofort, sofort und sofort.

Natürlich hat auch der Bundesfinanzminister, kaum war das Wort Panama gefallen, einen solchen Plan vorgestellt, der Steuerparadiesen ein Ende bereiten soll. Ebenso selbstverständlich ist, dass dieser Plan ohne große Folgen bleiben wird, denn jeder, der die Welt kennt, weiß: Solange Steuern gezahlt werden müssen, wird es Leute geben, die keine Steuern zahlen wollen. Wo ein solcher Wille ist, da sind ein Liechtenstein, ein Hongkong, ein Singapur, auch Cayman Islands. Denn im Unterschied zu vielen anderen Flüchtlingen ist der Steuerflüchtling ein vielerorts herzlich willkommener Gast. Er hat viel Geld und will nur einen Briefkasten.

Wie ungerecht das ist, muss man nicht lange erklären: Nur sehr wohlhabende Menschen und nur sehr große Firmen können sich solcher Möglichkeiten bedienen. Was aber tut der einfache Bürger, der mal einen Handwerker schwarz beschäftigen oder ein Abendessen in familiärer Runde als geschäftliche Besprechung geltend machen möchte? Welche Chance hat der Fliesenleger, der ab und zu ein paar Fliesen legen möchte, ohne seine Gage komplett den Finanzbehörden zu offenbaren? Diesen Menschen wird man auf Guernsey und Anguilla die Tür weisen, sofern sie eine Reise dorthin überhaupt in Erwägung ziehen, allein der Flug nach Anguilla östlich von Puerto Rico ist ja nicht unter tausend Euro zu haben. Man wird ihn kaum von der Steuer absetzen können und möchte auch wieder heim.

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Die Absichten jedes Steuerhinterziehers, ob groß, ob klein, sind selbstverständlich schärfstens zu geißeln, jedoch: Muss nicht, was den Großen nicht zu verbieten ist, den Kleinen ein klitzekleines bisschen erlaubt sein, nein, natürlich nicht erlaubt sein – aber: möglich?

Wie wäre es mit einer Steueroase für den kleinen Mann? Ein deutsches Delaware? Ein Finanzplatz zum Beispiel in der Gemeinde Bad Schwürbelbach, gelegen in strukturschwacher Region im Osten, bedroht von Landflucht, von der Tourismus-Industrie übersehen, jedoch reizvoll gelegen. Ein Ort, in dem sich sicher eine leer stehende Lagerhalle fände, um einige Hunderttausend Briefkästen von Onshore-Firmen zu lagern, deren keinerlei Tätigkeit beinhaltende Geschäftsführung der einen oder anderen Bad Schwürbelbacherin gegen geringstmögliches Entgelt obläge, die aber über nicht nachzuvollziehende Verwinkelungen im Besitz einfacher Menschen aus Deutschland wären.

Sie hätten hier die Chance, Reinigungsarbeiten nicht von einer am Ende auch dem Finanzamt namentlich bekannten Zugehfrau erledigen zu lassen, sondern dem Personal einer von Bad Schwürbelbach aus operierenden societas purgatricium anzuvertrauen, deren innere Angelegenheiten deutschen Finanzämtern verschlossen blieben; die nähere Ausgestaltung dieser Konstruktion bliebe Fachkräften deutscher Banken überlassen. Auch die Deckung eines Garagendaches würde man der schwürbelbacherischen Roofers Inc. überlassen, in deren Kassen das Honorar verschwände.

Natürlich wäre diese Art der Steuervermeidung unerträglich und müsste sofort mit einem Zehn-Punkte-Plan bekämpft werden. Aber so ist es ja immer.

Illustration: Dirk Schmidt