Völlig verschossen

Der Schriftsteller Thomas Glavinic liebt seinen Revolver. Findet aber, es wäre besser, wenn niemand außer ihm eine Waffe besitzen würde.

Die National Rifle Association in den USA wird das gern lesen, aber sie würde mich missverstehen. Ich bin niemand, der Waffen glorifiziert. Dennoch kann ich mich der Schönheit meiner »Smith & Wesson, Modell 36« nicht entziehen.

Sie ist perfekt. Ihre Form: kühl, präzise, zweckorientiert. Sie ist schwer. Wenn ich sage, sie fühlt sich noch schwerer an, als sie ist, versteht man das? Dieser schwarze Revolver ist mehr als ein Gegenstand. Er bringt so vieles mit. Erinnerungen. Geschichte. Kriege, Attentate, Massaker. Gewalt. Wenige positive Assoziationen. Aber der Revolver kann nichts dafür.

Wenn jemand beispielsweise den schwarzen Gürtel im okinawanischen Karate hat, ist er auch eine Waffe. Ist er böse? Jeder, der eine Waffe in die Hand nimmt, sollte sich der Verantwortung bewusst sein, die er in diesem Moment hat. Wenn mein Revolver geladen ist, stecken in seiner Trommel sechs Patronen. Sechs Leben, die ausgelöscht werden könnten, innerhalb weniger Sekunden. Dieser so ästhetische Gegenstand wurde erfunden, um Menschen zu töten. Denn auf die Jagd geht man mit einem Revolver Kaliber .38 nicht. Wenn man Wild schießen will, um seinen Hunger zu stillen, nimmt man ein Gewehr und nicht etwas so Kurzläufiges wie einen Revolver.

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Ein Revolver ist dafür entwickelt worden, auf nicht allzu weit entfernte Ziele zu schießen. Mein Revolver ist nur dafür gedacht, auf Scheiben zu schießen. Entgegen dem, was man über regelmäßige Amokläufe hört, gibt es durchaus Menschen, die Schießen als Sport begreifen und ihren Mitmenschen keineswegs das Lebenslicht ausblasen wollen. Ich verspüre keinerlei Aggression gegenüber meinen Mitmenschen und keine Tendenz, jemanden verletzen zu wollen.

Ich finde es faszinierend, wie meine Konzentration erst nach fünf Minuten ein Niveau erreicht, auf dem ich in der Lage bin, aus zehn Meter Entfernung alle sechs Kugeln ungefähr dahin zu bringen, wo ich sie haben will, und ebenso faszinierend, wie ich nach 15 oder zwanzig Minuten fast nur noch danebenschieße. Dazwischen muss ich nicht denken. Es funktioniert von allein. Ich muss eigentlich nicht zielen. Ich weiß, ich werde treffen. Dieser tranceartige Zustand hält nicht lange. Eine Schusswaffe ist schwerer, als sie ist. Und die Kraft, die man fühlt, wenn man sie abfeuert, kann schwächere Charaktere korrumpieren. Deswegen sollten nicht viele Menschen Waffen besitzen. Am besten nur ich.

Der 1972 geborene österreichische Schriftsteller hat elf Romane geschrieben, »Die Arbeit der Nacht« und »Das bin doch ich« zählen zu seinen bekanntesten. Zuletzt erschien 2016 »Der Jonas-Komplex« bei S.Fischer.