Die üblen Tricks der Abtreibungsgegner

Abtreibung ist in den USA eigentlich legal. Doch vielerorts wird versucht, Frauen gezielt falsch zu informieren. Zum Beispiel in Kliniken, die gar keine sind.

Vor dem Supreme Court in Washington demonstrieren Frauen gegen die restriktiven Abtreibungsregeln in Texas.

Als Kim A. aus Atlanta, Georgia, von einem Freier schwanger wird, weiß sie sofort, dass sie das Kind nicht behalten kann. Heroinabhängig, obdachlos, »so kann ich doch kein Kind großziehen«, sagt die 22-Jährige. Sie sucht sich aus den Zeitungsannoncen das nächstgelegene Krisenzentrum für Schwangere heraus und bekommt auch prompt einen Termin, aber die Beraterinnen machen ihr Angst: Nach einer Abtreibung werde sie vermutlich nie wieder schwanger werden, die Infektionsgefahr sei enorm, auch das Risiko für Brustkrebs steige. Das ist medizinisch gesehen kompletter Unsinn, aber dass sie es gar nicht mit einer echten Beratungsstelle zu tun hat, wird Kim A. erst viel später klar. »Ich dachte, dass ich mit echten Krankenschwestern spreche und mir hier geholfen wird«, sagt sie. »Sie haben mich so lange hingehalten, bis es zu spät war.«

Das Erschreckende daran sind die Zahlen: »In Bundesstaaten wie Georgia gibt es zweimal so viel falsche Beratungsstellen wie echte«, sagt Vicky Saporta, die Präsidentin der National Abortion Foundation. »Sie treten wie echte Krankenschwestern in einer echten Abtreibungsklinik auf, geben sich die gleichen Namen, siedeln sich manchmal sogar in der gleichen Strasse an, aber sie jagen den Frauen Angst ein und geben ihnen falsche Informationen. Manche erzählen den Frauen, sie seien schon wesentlich weiter in der Schwangerschaft und es sei nun zu spät für einen Abbruch. Die Frauen denken, sie hätten mit medizinisch ausgebildetem Personal zu tun, dabei geht es allein darum, ihnen den Abbruch auszureden.«

Kim A. erleidet schließlich eine Fehlgeburt; sie ist eine von Millionen Frauen, die als Schwangere im Stich gelassen werden. Es ist wieder wie im Mittelalter: »Was passiert, wenn ich Bleiche trinke? Kann ich mich die Treppe hinunterstürzen?« Verzweifelte Fragen wie diese hören die Beraterinnen bei der Hotline der National Abortion Federation jeden Tag. Warum? Weil Abtreibung in Amerika nur theoretisch seit 1973 legal ist.

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Seither versuchen Konservative, die Möglichkeiten für Abtreibungen systematisch auszuhebeln. 81 Prozent der Amerikaner sind dafür, dass Frauen abtreiben dürfen, zumindest unter gewissen Voraussetzungen, also zum Beispiel nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben von Mutter oder Kind. Praktisch gesehen haben Frauen aber in vielen Bundesstaaten kaum legale Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch. In Nord Dakota, Mississippi und Missouri, zum Beispiel, gibt es im ganzen Staat jeweils nur eine einzige Abtreibungsklinik, in ganz Oklahoma zwei, und in Texas, einem der bevölkerungsreichsten Staaten, haben in den letzten drei Jahren mehr als die Hälfte der Abtreibungskliniken geschlossen. Übrig geblieben sind von 41 Kliniken nur 19, und zwar für 5,4 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter. Die Wartezeiten betragen viele Wochen - Wochen, in denen der Fötus wächst; Wochen, die einen Schwangerschaftsabbruch schwieriger, medizinisch riskanter und teurer machen. Oder ganz unmöglich, denn nach 20 Wochen ist eine Abtreibung in Texas illegal. Diesen Monat wird der Supreme Court, also der Oberste Gerichtshof entscheiden, ob auch die meisten der verbliebenen texanischen Abtreibungskliniken dichtmachen müssen.

Das Wahlkampf-Duell Clinton-Trump ist auch ein Duell zwischen einer Frau, die für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eintritt und einem Mann, der angekündigt hat, dass er Frauen für Abtreibungen bestrafen möchte.

Hilfsorganisationen sprechen von einer »Abtreibungs-Wüste«, zwischen Florida und New Mexiko, die sich bis in den mittleren Westen zieht. In Indiana hat Gouverneur Mike Pence gerade ein Gesetz unterzeichnet, das werdende Mütter dazu zwingen kann, auch Hochrisikoschwangerschaften auszutragen. Allein in Texas, so schätzt das Texas Policy Evaluation Project, haben 100.000 bis 240.000 Frauen versucht, eine Schwangerschaft allein abzubrechen, ohne medizinische Hilfe. Die Beraterinnen erzählen von erschütternden Fällen, in denen sie minderjährige Vergewaltigungsopfer wieder nach Hause schicken müssen, weil es für sie keinen Platz gibt. Oder von Frauen wie der Texanerin Valerie Peterson, deren Wunschkind im Mutterbauch nicht lebensfähig war und die trotzdem drei bis vier Wochen auf einen Termin warten sollte, bis es für einen Abbruch zu spät gewesen wäre. Sie flog stattdessen nach Florida in eine Spezialklinik, aber was, fragt Peterson in einem Artikel in der New York Times, »machen Frauen, die diese 5000 Dollar nicht haben? Die Restriktionen in Texas verringern die Zahl der Frauen nicht, die eine Abtreibung brauchen. Sie zwingen sie nur, zu drastischen Methoden zu greifen.«

Anders als in Deutschland werden Abtreibungen fast nie von Krankenkassen bezahlt. Das heisst: Die Gesetzesänderungen treffen vor allem einkommensschwache Frauen, die es sich nicht leisten können, in liberalere Staaten zu fahren.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin hundertprozentig dafür, so viele ungewollte Schwangerschaften wie möglich zu verhindern und Frauen Alternativen zur Abtreibung zu bieten. Das heisst für mich in erster Linie: Gesundheitsberatung, Aufklärung, Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln, medizinische, psychologische und praktische Unterstützung. Aber die Fake-Berater von Georgia werden mit Millionen Dollar staatlich subventioniert, um medizinische Falschinformationen zu verbreiten. Damit ist einer drogensüchtigen Schwangeren nicht geholfen. Die Millionen fehlen genau dort, wo sie wirklich ungewollte Schwangerschaften verhindern würdem: zum Beispiel bei Planned Parenthood, der größten Familien-Beratungsorganisation des Landes.

Allein in den letzten drei Jahren haben Abtreibungsgegner mehr als 230 Gesetzesvorschläge verabschiedet, um Abtreibungen zu erschweren. Vordergründig dreht sich der Fall, den der Oberste Gerichtshof in diesem Monat hören wird, um Baustandards: Unter dem Deckmantel, die medizinische Versorgung der Frauen müsse »sicherer« werden, haben Staaten wie Texas umfassende Regelwerke verabschiedet, in denen es nicht um Gesundheit und ärztliche Standards geht, sondern Bauvorschriften. Von der Breite der Gänge bis zur Größe der Abstellkammer wird alles so detailliert geregelt, dass kaum eine Klinik die Vorschriften erfüllen kann. (Hier ärgert sich der Komiker John Oliver über diese Methode.)

Frauen wollen die Abtreibungsgegner mit ihren eigenen Waffen schlagen. Gerade die Staaten, die bei Abtreibungsgesetzen besonders restriktiv sind, wie Texas, sind bei den Waffengesetzen oft besonders lax. In Texas darf man Waffen sogar offen tragen, und jede Kleinstadt hat mehrere Waffenläden, in denen man vom halbautomatischen Gewehr bis zur Glock alles bekommt, was ein Jäger oder Terrorist begehrt. Wenn die Gesetzesmacher wirklich Leben retten möchten, wie sie immer sagen, dann wäre es doch schön, wenn jeder Kerl, der eine Waffe kaufen möchte, die gleichen Hürden überwinden müsste wie eine schwangere Frau, die eine Abtreibung will: Wie wäre es, wenn der Staat waffenhungrigen Menschen ähnliche Schikanen aufzwänge wie abtreibungswilligen Frauen?

Gerade seit dem Massaker von Orlando, in dem ein junger Mann mit einer legal erworbenen AR-15 49 Menschen erschoss, haben die Aktivistinnen neue Munition. Also, fordern Aktivistinnen, lasst uns als erstes alle Waffenläden im Land schließen bis auf einen, damit ein Waffennarr Hunderte von Meilen fahren muss, um einen Laden zu finden, der offen hat. Lasst ihn - wie sonst die Frauen vor Abtreibungskliniken - vor dem Laden durch ein Spalier von wütenden Leuten laufen, die ihm Beschimpfungen zurufen, ihn einen Mörder nennen, grausige Fotos von Erschossenen hochhalten und ihn anflehen, sein Leben nicht zu ruinieren.

Dann muss der Waffenkäufer eine obligatorische Warteperiode von mindestens 48 Stunden aushalten, eine eingehende Beratung durch einen waffenfeindlichen Arzt und sich ein Pflicht-Video über die Auswirkungen von Waffengewalt ansehen. Schließlich bekommt er auch noch eine Ultraschall-Untersuchung der Eingeweide, einfach nur so, damit er es sich zweimal überlegt.

Mehr als die Hälfte der Waffenläden wären Attrappen: Dort gibt es nur Spielzeugpistolen zu kaufen, aber das erfährt der Käufer nicht, bis es zu spät ist.

Es würde wesentlich mehr Leben retten, diese Vorschriften jungen Waffenbesitzern als abtreibungswilligen Frauen zu machen: Nicht jeder mag die Beweggründe einer Frau immer für nachvollziehbar halten, aber eine Frau hat mit einer Abtreibungspille schließlich noch nie Dutzende von Menschen innerhalb von Minuten getötet.

Foto: AFP