Hä?

Über die Weltkarriere eines Wörtchens.

»Du bist ein furchtbarer Depp!«
»Hä?«
»Na, du bist einfach ein Depp.«

Das Interessanteste sind hier nicht die Deppen, mit denen man sich sowieso viel zu oft befasst, sondern die wissenschaftliche Betrachtung des Wortes: Hä? Kein Fragewort der höflichen Sorte, oft wird es nur hingeblökt, aber kurz und verständlich. Auf der ganzen Welt. Inzwischen weiß man, dass es das Hä? in mindestens 31 Sprachen gibt, verteilt auf alle Kontinente, das haben die Psycholinguisten des Max-Planck-Institutes in Nijmegen, Niederlande, 2013 untersucht. Der Titel ihrer Studie: Is »Huh?« a universal word? Huh? entspricht dem deutschen Hä?, und um die Frage in aller Kürze zu beantworten: Yes.

Auf elf der 31 untersuchten Sprachen haben sich die Wissenschaftler besonders konzentriert, sie haben Unterhaltungen mitgeschnitten und ausgewertet, auf Isländisch, Italienisch, Laotisch, Mandarin, Deutsch, aber auch auf Siwu, das rund 30 000 Menschen in Ghana sprechen, oder Cha’palaa, die Sprache einiger Ureinwohner aus Ecuador. In all diesen Sprachen existiert das Wort: Hä? Es lautet fast in jedem Land ein bisschen anders, aber »seine universelle Aufgabe besteht darin, einen Fehler zu reparieren«, sagt Mark Dingemanse, der Leiter der Studie. Wenn einer also nicht versteht, was der andere gesagt hat – oder nicht glauben will, was er verstanden hat –, dann fragt er: Hä? Ein Dreisatz, der weltweit so funktioniert: 1. Behauptung, 2. Nachfrage, 3. Wiederholung des Behaupteten; allerdings verändert der Sprecher den Satz beim zweiten Mal leicht, damit er diesmal sicher verstanden wird, wechselt also vom »furchtbaren Depp« im ersten Satz zu »einfach ein Depp« im zweiten Versuch.

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Hä? heißt auf Spanisch e?, auf Russisch a, auf Siwu a (nasal ausgesprochen), auf Laotisch ha?, auf Isländisch ha?, auf Japanisch und Koreanisch e? Die weltumspannende Gemeinsamkeit: Es handelt sich immer um ein einsilbiges Fragewort mit einem Vokal. Sind sich zwei Menschen jedoch sehr nahe, kann das Hä? auch durch ein mm? oder nn? ersetzt werden. Diese Laute sind sogar in allen Sprachen gleich.

Den Wissenschaftlern sind noch zwei andere bemerkenswerte Dinge aufgefallen. Erstens: Bei allen Varianten des Hä? handelt es sich um ein eigenständiges Wort, das erlernt werden muss, also nicht universell verständlich wie Weinen oder Lachen ist. Die Wissenschaftler deklinieren das am Beispiel des Wortes Hund durch: Warum bellt er auf Deutsch »Wau« und auf Englisch »Arf«, und warum heißt Hund nur auf Japanisch »Inu«, obwohl sich »Inu« auch in vielen anderen Sprachen akzentfrei aussprechen ließe? Die Antwort: Weil jedes Wort sich dem Muster der jeweiligen Sprache anpassen muss. Um sich abzugrenzen, bedienen sich alle Sprachen bloß eines winzigen Ausschnittes aus dem riesigen Lautsystem, das möglich wäre. Und da hinein muss auch das Hä?, huh?, e? passen.

Zweitens: Hä? ist ein Wort, das nur gesprochen, fast nie geschrieben wird. Es kann sehr laut und vulgär ausgesprochen werden: Häää? Oder kurz, wie hingehaucht. Und wer sich zu erinnern glaubt, dass seine Eltern ein Hä? nie erlaubt hätten, weil nur ein »Wie bitte?« genehm war, dem sagt Mark Dingemanse: »Wahrscheinlich sind alle Varianten des Hä? viel älter als Höflichkeitsformen. Und die Höflichkeitsformen sterben langsam aus, sie werden fast nur noch bei sehr formellen Anlässen benutzt.« Es läuft auf eine grundlegende Erkenntnis hinaus, die auch Dingemanse überrascht: »Wir können unserer Intuition, wie wir Sprache verwenden, nicht trauen. Was wir denken und was wir sagen, liegt weit auseinander.«

Illustration: Serge Seidlitz