Klappt doch!

Über den Siegeszug eines Möbelstücks, das die meiste Zeit unsichtbar ist: das Schrankbett.

Illustration: Zeloot

Wenn der Makler durch eines der 320 möblierten Apartments des Münchner Olympiatowers führt, preist er sie als »klug durchdachte Interior-Konzepte«, zugeschnitten auf »eine anspruchsvolle Klientel«. Er meint die Spezies Mensch, die ständig umzieht, weil der Job sie nur für ein paar Monate an Frankfurt, Hamburg oder Stuttgart bindet. Okay, denkt man als Besucher, alles da, Küchenzeile, Schreibtisch, Soundanlage, Regale, Einbauschränke, Sofa. Nur: Wo ist das Bett? Dürfen moderne Nomaden nur arbeiten, nie schlafen? Da zwinkert der Makler schon und zeigt seinen besten Zaubertrick, er zieht an einem kleinen Griff über dem Sofa, und aus der vermeintlichen Holzwand holt er ein Bett hervor. Dabei klappt die Lehne des Sofas auf die Sitzfläche und dient dem Bett als Untergestell.

Das Schrankbett ist wieder da. Eigentlich ein Wunder. Schrankbett ist ja ein Wort, bei dem sich reflexartig die Nackenhaare kräuseln, eines, das nach Tante Anneliese riecht und nach nussbrauner Fünfmeterwohnwand. Das Schrankbett galt als ungeheuer praktisch, weil mit einer Handbewegung alles picobello aussah. Allerdings wurde dem Nutzen jede Schönheit untergeordnet, und als man merkte, wie miefig und piefig diese Schrankbettenwelt war, verschwand das Möbel in der Versenkung.

Aber nun passt es einfach zu gut in unsere Zeit. Wohnraum wird dort, wohin die Menschen ziehen, also in die Städte, immer knapper. Mieten schießen in New York, Berlin und München und in fast allen Studentenstädten ins Kraut – man muss auf kleinstem Raum viele Möbel unterbringen. Das bringt folgerichtig nach dem Klappstuhl, dem Klappsofa, dem Klapptisch das Schrankbett wieder ins Spiel. Und: Neue Zeiten bringen neue Arbeitsformen mit sich. Viele arbeiten ja nur noch vorübergehend für eine Firma, sie entwickeln mal hier ein Projekt bei einem Autokonzern, mal dort eines bei einem Start-up oder verstärken kurzfristig irgendwo ein Team. Location Hopper oder Location Independents werden solche Mitarbeiter genannt.

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Die Konsequenz: Statt mit Sack und Pack umzuziehen für ein halbes Jahr, statt die Kinder umzuschulen, beziehen viele ein modernes, fertig möbliertes Apartment, dessen Miete oft der kurzzeitige Arbeitgeber zahlt. Am Wochenende fahren die Location Hopper nach Hause. In München sind die 320 Apartments im Olympiatower (und die 104 fast identisch möblierten Kleinwohnungen in den Flaucher Auen) so gut wie immer vermietet. Ausklappen, schlafen, einklappen, aufgeräumt.

Wer bei Pinterest »Schrankbett« eingibt (oder auf Englisch »Murphybed«), dem purzeln tausend Beispiele entgegen, wie man ein platzsparendes Schrankbett nutzen oder sogar selbst bauen kann: das Stockbett für zwei, das sich wie eine Ziehharmonika aus dem Schrank ziehen lässt; das Bücherregal, das man abends umdreht, und auf der Rückseite versteckt sich ein hochgeklapptes Bett; andere bauen sich ein Podest, auf dem Esstisch und Stühle stehen, und zum Schlafen ziehen sie unter dem Podest ein großes Bett hervor. Auch die doppelt platzsparende Funktion gibt es: Zum Abendessen mit Freunden wird aus einem vermeintlichen Schrank eine Tischplatte mit Beinen heruntergeklappt, und sind die Gäste gegangen, dient die Tischplatte als Untergestell für das Bett, das ebenfalls aus dem Schrank nach unten geklappt wird.

Will man bei den großen Möbelhäusern wie Ikea, Mömax oder Höffner ein Schrankbett kaufen, sucht man vergeblich. Noch. Denn schon bietet der Otto-Versand das günstigste für 499,99 Euro – es sieht ein bisschen aus wie bei Tante Anneliese. Andere, wie die italienische Firma Clei oder Sit & Sleep, stellen Etagen-, Wand-, Hochklapp-, Ausklapp- oder auch Einklappbetten, wie sie es nennen, deutlich teurer her, angefangen bei 3000 Euro, bei 9000 muss nicht Schluss sein. Man kann diese Betten und Einbauten in allen möglichen Materialien auf den Zentimeter fertigen lassen, vor allem aber sind solche Schrankbetten unsichtbarer Teil einer meistens sehr edlen Möbelgruppe, die tagsüber als Sofa, Ess- oder Schreibtisch dient, wie die Verwandlungswand »Cabrio S100« von Clei: Abends wird der Schreibtisch mit einem Summen nach oben gefahren, aus der Wand hinter dem Tisch lässt sich das Bett ausklappen.

Tiny Houses aus den USA sind die Urzellen des modernen Schrankbetts, winzige Häuser, die nun in europäischen Designzeitschriften angekommen sind, meistens einfallsreich in vielen unterschiedlichen Stilen errichtet und möbliert – alles da, was der Mensch wirklich braucht auf 28, manchmal 48 Quadratmetern. Stünden die Betten frei im Raum, wären die Häuser sehr eng. Die ersten Tiny Houses, auch Katrina Cottages genannt, wurden als Notunterkünfte errichtet, nachdem der Hurrikan Katrina 2005 in New Orleans gewütet hatte. Das Tiny-House-Movement ist aber auch eine soziale Bewegung, die sich dem bescheidenen und umweltfreundlichen Leben verschrieben hat. Und als der Häusermarkt in den USA 2008 wegen der damaligen Finanzkrise zusammenbrach, fragten sich viele, gerade junge Menschen, ob sie wirklich 220 Quadratmeter zum Wohnen brauchten. Reichen nicht auch vierzig? Vor allem, da man sich für diese wenigen Quadratmeter nicht bis ans Lebensende verschuldet.

In Deutschland tastet man sich noch ein wenig ängstlich ans Schrankbett heran. Kinderzimmer sind ein gutes Experimentierfeld. Die meisten sind klein, aber stünde tagsüber nicht das Bett dumm herum, gäbe es genug Fläche zum Spielen. Also kann abends der Schreibtisch, wenn man ihn nicht mehr für die Hausaufgaben braucht, verschwinden, aus dem Schrank dahinter wird das Bett geklappt – so hat der Tisch eine neue Funktion, er stützt die Matratze. Und die Kinder freuen sich. Sonst kennen sie Tante Anneliese ja nur aus Erzählungen.