Beziehungen sind was für einsame Leute

Das Leben allein lässt sich gut aushalten – mit Notebook, Netflix und Frikadellen im Bett, behauptet unser Kolumnist in seinem heutigen Brief an seine künftige Geliebte. Es gibt nur einen Haken: Er glaubt es sich selbst nicht.

Liebe zukünftige Lieblingsfrau,

vielleicht ist es besser, ich treffe dich nie. Ich sitze doch hier ganz friedlich. Ich habe Netflix, noch eine von den Geflügelfrikadellen vom Bauckhof und das Bettlaken nicht gewechselt, obwohl ich vorgestern Morgen Kaffee ins Bett gekippt habe. Und ich habe mein Herz bei mir, hier, in meiner Brust, es hat ein paar Narben, aber so lange ich mich nicht bewege, tut es auch nicht weh.

Ich würde nachts wachliegen und dir beim Schlafen zusehen. Aber jetzt gucke ich »Peaky Blinders«. Und schlafe dann. Eine Folge. Zwei. Ganz vielleicht drei, aber dann schlafe ich, und ich liege nicht da und spüre dein Gesicht ganz nah bei meinem und sehe das sanfte Zittern deiner Nasenflügel und weine fast, weil du das Schönste bist, das mir je passiert ist. Schönheit ist ja auch traurig, weil man es nur ansehen kann, obwohl man eigentlich so viel mehr machen möchte, es küssen und verschlingen und lieben und festhalten für immer. Und dann liegt man da und guckt es an, und es nimmt immer mehr Platz in seinem Herz ein, nur damit es am Ende ein noch größeres Loch gibt, wenn das Schönste, was einem je passiert ist, das Schlimmste wird. Keine Geflügelfrikadelle hat mir je wehgetan.

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Ich höre die Nachbarn sich vor der Tür anschreien. Gehört dazu. Es gehört eben ganz viel dazu. Man findet sich da rein, und man findet sich ab, und am Ende hört man Sätze wie »Kannst du endlich mal diese Kiste ausmachen, ich kann nicht schlafen, wenn du so komisch liegst mit dem verschissenen Laptop auf den Knien«, oder »Stell den Kaffee nicht auf die Matratze, wenn du dich einmal bewegst, landet das wieder alles im Bett«, und das sind Sätze wie Pickel, klein, aber voller Schmodder. Und dann findet man sich nicht mehr.

Ich will nicht, dass du so etwas zu mir sagen musst, deshalb treffe ich dich lieber gar nicht. Beziehungen sind was für einsame Leute. Ich habe Netflix. Und mein Herz noch. Und Angst: Wer ist denn zufrieden in einer Beziehung? Wer denn? Außer meinen Eltern. Und Alex und Tanja. Und Ully und Martin. Aber das war es doch schon. Aus der Sicht von einem, der gerade glasklar sehen kann, weil er eine Ehe abwickeln und ein Herz heilen lassen musste: Das meiste ist in Bräsigkeit verpackte Langeweile oder irgendeine Sicherheit, die sich anfühlt wie die Sicherheit in einem Flughafen: Schuhe aus. Keine Flüssigkeiten. Abtasten statt Zärtlichkeit. Oder nicht?

Wie würden wir das machen, zukünftige Lieblingsfrau, würden wir schaffen, dass es anders ist? Und lohnt sich der Einsatz? Könnten wir auf dem Sofa liegen und »Peaky Blinders« gucken, und du hättest Jogginghosen an, und ich hätte die Garderobe noch nicht wieder aufgehängt, so dass die Jacken immer voller Katzenhaare sind, weil Willy auf ihnen schläft, und wenn du mich dann erwischst, wie ich auf dich gucke statt auf die Glotze – was würdest du sagen? Denn so wäre es. Ich kenne mich doch. Ich würde dich lieben wie bekloppt. Ich würde dein Gesicht so gerne nah bei meinem spüren.

Eine vierte Folge noch, danach schlafe ich. Ich kann ja hier machen, was ich will. So lange ich nicht dich will, jedenfalls, alles hat schließlich Folgen. Vielleicht mache ich mir einfach einen Kaffee und bleibe die ganze Nacht wach und gucke die ganze Staffel zuende, für echten Schlaf ist es sowieso zu spät. Ich kann ja wollen, was ich will. Die Sonne. Und die Sterne. Und dass es nicht wehtut, wenn du gehst.

Schlaf du ruhig schonmal, zukünftige Lieblingsfrau. Ich versuche, nicht hinzusehen.

Foto: Stephanie Pfaender