Der lange Kampf der Kira Grünberg

Als sich die Stabhochspringerin Kira Grünberg 2015 das Genick brach, hieß es, sie werde höchstens wieder den Kopf bewegen können. Doch dank der Unterstützung ihrer Eltern schaffte sie viel mehr, als alle gedacht hatten.

    Karin Grünberg blickte noch mal durch ihre Videokamera: Ihre Tochter griff sich einen Stab, sprühte sich Klebeharz auf die Hände und richtete das Schweißband am Handgelenk. Es war der 30. Juli 2015. Vier Wochen vor der Weltmeisterschaft. Ein wichtiger Trainingstag für die Familie: Mutter Karin, Kira und Vater Frithjof, zugleich ihr Trainer. Er spannte die Schnur auf vier Meter, um 9.40 Uhr drückte Karin auf Aufnahme.

    Immer wieder haben sich die Grünbergs das Video angeschaut. Wie Kira die Schnur überspringt, nach hinten fällt, wie sie vor der Matte auf den Boden schlägt. Es war der Augenblick, in dem Kira beinahe starb.

    18 Monate später sitzen Mutter, Vater und Tochter in ihrer Küche in Tirol. Kira kann durch ein kleines Wunder die Arme wieder bewegen. Sie erzählt, lacht viel, ab und an weint sie auch, etwa, als es darum geht, wie die Eltern den Unfall miterleben mussten. »Ich bin froh, dass ich dort war«, tröstet die Mutter, »als du Beistand brauchtest.«

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    Nun ist das Leben der Grünbergs ein anderes. Kira – einst auf dem Weg in die Leichtathletik-Weltspitze, selbstbestimmte Frau und Chefin über ein Team – ist wieder auf ihre Eltern angewiesen. Und ihre Eltern übernehmen Rollen, die sie hinter sich glaubten. »Seit dem Unfall lebe ich nicht mehr, ich werde gelebt«, sagt der Vater. Er unterstützt Kira bedingungslos, plant mit ihr die Reha, aber hadert auch, wenn sie sich abgrenzt, spontan Auszeiten nimmt. »Ich bin der Meinung, man kann langsam wieder im Alltag ankommen.«

    Die Mutter fand leichter in ihre Rolle. Sie übernahm die körperliche Pflege: füttern, waschen, Toilette. Sie machte einfach – und manchmal des Guten zu viel. »Als Mutter ist man da wie eine Glucke«, sagt sie. »Fürchterlich.« – »Ist halt die Mama«, sagt Kira. »Will ich die Jacke ausziehen, springt sie schon. Da sag ich: Mach ich allein.«

    60 Prozent solcher Familien zerbrechen, weil ein Elternteil sich aufopfert. Schon kurz nach dem Unfall schickte Kira Grünberg ihre Eltern zum Psychologen. »Das war für mich ganz wichtig. Dass er das Umfeld betreut. Das Umfeld hat mich gestärkt und sollte so stark bleiben.« Bis heute suchen die Grünbergs nach dem richtigen Maß zwischen Distanz und Nähe, Fürsorge und Selbstständigkeit.

    Der SZ-Magazin-Reporter Lorenz Wagner hat die Familie Grünberg in ihrem Heimatort Kematen bei Innsbruck besucht. Er schildert den großen Lebensmut von Kira Grünberg, aber auch die schweren Zeiten und die anhaltenden Probleme im Alltag, die die Verletzung weiterhin mit sich bringt. Auch die Beziehung zu ihrem Freund wird geschildert, dem die Ärzte kurz nach dem Unfall noch sagten, er solle sich gut überlegen, ob er mit ihr zusammenbleiben wolle. Vereint hat die Familie Unglaubliches geschaffen, aber am Ziel sind sie noch lange nicht. »Es dauert zwei bis vier Jahre, bis du wieder in ein richtiges Leben zurückfindest«, sagt Kira Grünberg. »Es dauert einfach.«

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    "Will ich die Jacke aus­zieh­en, springt sie schon und hilft"

    Die Stabhochspring­erin Kira Grünberg brach sich 2015 das Ge­­nick. Nun müssen sich Mutter und Toch­ter an Rollen ge­wöhnen, die sie längst hinter sich hatten

    Foto: Daniel Delang