»Bei meinem Vater schwingt unsere ganze Geschichte mit«

Woher komme ich? Wie wurde ich erzogen? Und was verbindet mich mit diesem alten Herrn? Acht renommierte Fotografen erklären die Beziehung zu ihren Vätern - in Bildern und Texten.

    Pari Dukovic
    stammt aus Istanbul, lebt in den USA und arbeitet vor allem für das Magazin New Yorker.

    Tanas Dukovic
    »Ich war seit mehr als drei Jahren nicht in Istanbul, meiner Heimatstadt, aber meinen Vater Tanas wollte ich unbedingt dort fotografieren: Im Café ›Vefa Bozacisi‹ kann man seit über 140 Jahren Boza trinken, ein sehr süßes, tolles Hirsegetränk. Mein Vater und ich gehen dort immer zusammen hin. Wir haben ein sehr enges Verhältnis, er ist wie ein Freund für mich. Ihm verdanke ich auch meinen Beruf: Zu meinem achten Geburtstag schenkte er mir eine Kamera vom Flohmarkt, ein russisches Modell der Marke Zenit. Mein Vater kommt aus einfachen Verhältnissen, aus einer griechischen Familie in Istanbul. Er ist ein Träumer und ein Arbeitstier, eine gute Kombination, finde ich. Mir hat er früh beigebracht: Wenn du etwas willst, musst du dafür kämpfen. Mittlerweile porträtiere ich Stars wie Pharrell Williams oder Politiker wie Barack Obama, aber mein Vater ist für mich schwieriger zu fotografieren: Bei Stars muss ich das Beste aus dem kurzen Moment herausholen, den ich mit ihnen habe – bei meinem Vater schwingt unsere ganze Geschichte mit.«

    Karierter Mantel von Ami, T-Shirt und Hose privat.

    Meistgelesen diese Woche:

    Estelle Hanania
    wuchs in einer Pariser Banlieue auf und fotografiert heute unter anderem für die New York Times und Hermès.

    Jean-Claude Hanania
    »Mein Vater Jean-Claude ist Kardiologe. Er will nicht in Rente gehen. Wenn er arbeitet, ist er im Himmel. Ich wollte ihn in seiner Praxis fotografieren, weil dieser Ort mich als Kind schon so fasziniert hat. Diese tausend Umschläge voller Details über die Patienten! Und jeder Umschlag ist ein Mensch. Mittlerweile wird in der Praxis alles digital erfasst, aber mein Vater lässt es sich nicht nehmen, alles noch auf Papier einzuordnen. Das, was er in der Hand hält, ist ein Plastikherz. Wir fanden es witzig, weil es nicht sofort als Herz erkennbar ist. Und weil mein Vater ein großes Herz hat, natürlich. Er hat sich gefreut, als ich gefragt habe, ob ich ihn fotografieren könne. Ich glaube, er war geschmeichelt.«

    Hemd und Anzug von Balenciaga, Pullover und Schuhe privat.

    Petros Efstathiadis
    lebt in seiner Heimat Griechenland. Mit seinen Fotos und Skulpturen aus Alltagsgegenständen drückt er die verlorene Hoffnung der jungen Generation aus.

    Giorgos Efstathiadis
    »Immer, wenn in Liparo Markt war, fuhr mein Vater Giorgos mit seinem alten Auto los und verkaufte die Äpfel und Pfirsiche aus dem Garten. Das Geld, das er als Bauer verdiente, hat für die Familie aber nicht gereicht. Deswegen war auch meine Mutter berufstätig. Mein Vater wollte nie aufhören zu arbeiten, ihm gefiel seine Arbeit. Heute denke ich, er hat aus seinem Marktstand ein kleines Kunstwerk gemacht, mit bunten Stoffen und Preisschildern. Und überall diese ungleichmäßigen Äpfel. Als ich meinen Vater fragte, ob er bei diesem Projekt mitmachen würde, dachte er, ich mache einen Scherz. Aber dann willigte er ein - ich musste ihm nur versprechen, ihn nicht lächerlich zu machen. Er setzte sich und schrieb die gleichen Schilder wie früher. Er erinnerte sich an die Drachmenpreise von vor zwanzig Jahren. Heute geben meine Eltern das Obst in eine Fabrik.«

    Anzug, Hemd und Sandalen von Salvatore Ferragamo.

    Charlie Engman
    Der US-Amerikaner hat Japanologie studiert und am Theater gearbeitet, bevor seine künstlerischen Fotoserien in der Vogue oder der New York Times erschienen.

    John Engman

    »Dieses Foto zeigt meinen Vater John nicht nur als den Menschen, den ich bewundere und der mich immer unterstützt hat, sondern es lässt einen auch ein bisschen in seine Seele schauen. Er wird eigentlich nicht gern fotografiert und scheint mit dem Hintergrund verschmelzen zu wollen. Ganz anders als meine Mutter übrigens: Mit ihr habe ich seit vielen Jahren ein gemeinsames Kunstprojekt, für das ich sie in wilden, bunten Posen abbilde. Sie ist sehr extrovertiert, mein Vater ist eher still. Ich bin eine Mischung aus den beiden: nach außen hin überschwänglich, aber auch sehr grüblerisch. Für mich war dieses Fotoshooting ein Weg, meinen Vater besser kennenzulernen: Zum ersten Mal seit Langem haben wir Zeit nur zu zweit verbracht. Meine Eltern leben in Chicago, ich in New York, er kam ohne meine Mutter, und wir hatten ein paar schöne gemeinsame Tage. Ich habe versucht ihn zu wilderem Posieren zu bewegen, aber es fühlte sich nicht richtig an. So, wie er daliegt, als große, weiße Statue, so ist er einfach.«

    Hose von Gucci.

    Amira Fritz
    Die deutsche Mode- und Kunstfotografin arbeitet unter anderem für die deutsche und russische Vogue.

    Johannes Fritz
    »Mein Vater Johannes war Gärtner, bevor er in Rente ging. Auch wegen des Blumengeschäfts meiner Mutter verbinde ich Blumen mit meiner Kindheit. Ich finde es schwierig, meinen Vater zu fotografieren, denn kein Kind sieht seinen Vater objektiv. Man sieht doch keinen geliebten Menschen objektiv, mit dem man aufwächst. Ich könnte das Gesicht meines Vaters nie so fotografieren, wie ich es sehe, weil ich meine ganz speziellen Erinnerungen und meine Wahrnehmung drum herum gebaut habe. Jemand anderes sieht nur einen fremden Mann.«

    Kaschmirpullover und Anzug von Bottega Veneta, Schuhe von Gucci.

    Armin Smailovic
    lebt in München und Sarajevo. Seine Reportagefotos und Porträts wurden vielfach ausgezeichnet.

    Hazim Smailovic
    »Das Foto zeigt meinen Dad Hazim vor der Kunsthalle in Bielefeld, im Hintergrund Der Denker von Rodin. Das passt zu ihm, denn mein Dad war Chirurg, aber auch ein sehr nachdenklicher Mensch, der sich mit Philosophie, Theorie und Ethik seines Berufs auseinandergesetzt hat. Kürzlich hat er seine Memoiren geschrieben, sieben Bände auf Bosnisch, in Mini-Auflage für seine Familie. Die Lektüre hat ihn mir noch einmal nähergebracht. Der ist glücklich, der den Anfang des Lebens mit dem Ende verbinden kann. Mein Dad stammt aus einem kleinen Ort in Bosnien, hat als junger Mensch Krieg und Hunger erlebt und 1968 in Bielefeld ein neues Leben angefangen. Zuvor hatte er vier Jahre als Arzt in Algerien gearbeitet. Unser Verhältnis war nicht immer einfach. Als ich 15 war, trennte er sich von meiner Mutter und heiratete wieder. Heute verstehen wir uns umso besser. Ich bewundere seinen Humor, wie er mit dem Alter fertig wird, wie fit er mental ist. Einmal stand er ohne Anmeldung vor meiner Tür, ich hatte nichts da außer einer Tiefkühlpizza und zwei Flaschen Chianti. Wir haben viel geredet und gelacht und noch mehr getrunken. Später sagte mein Vater, diese Tiefkühl-Margherita sei eines seiner schönsten Abendessen gewesen.«

    Mantel von Ermenegildo Zegna, Schuhe von Giorgio Armani, Hose privat.

    Alec Soth
    stammt aus dem US-Bundesstaat Minnesota. Seine aufwendigen Fotoprojekte werden weltweit ausgestellt.

    Bill Soth
    »Für Menschen wie meinen Vater Bill gibt es in den USA einen Fachbegriff: Snowbirds. Das sind Menschen, meistens Rentner, die den fiesen Winter in den nördlichen Bundesstaaten nicht mehr ertragen und deshalb immer für mehrere Monate in den Süden ziehen. Dieses Bild zeigt meinen Vater kurz vor seiner Abreise nach Florida. Er kommt erst sechs Monate später zurück nach Minnesota, wo meine Familie und ich leben. Von allen Mitgliedern meiner Familie ist mein Vater derjenige, den ich am liebsten fotografiere. Er ist so selbstbewusst, ganz anders als meine Mutter und ich. Trotzdem finde ich, dass er auf diesem Bild auch ein bisschen verletzlich wirkt. Er hatte letztes Jahr einen Unfall und lag lange im Koma, wir haben uns schreckliche Sorgen um ihn gemacht. Aber er ist wieder ganz gesund geworden. Dafür sind wir sehr dankbar.«

    Trenchcoat von Burberry, Hemd und Anzug von Ermenegildo Zegna, Schuhe privat.


    Tobias Zielony
    hat bereits im deutschen Pavillon der Biennale ausgestellt und wurde durch seine sozialkritische Dokumentarfotografie international bekannt.

    Kurt Zielony

    »Von seiner ersten Reise in die USA brachte mein Vater Kurt viele Fotos mit, Kodachrome-Dias. Die Kodak-Filme hatten damals eine ganz eigene Farbigkeit, das gefiel mir. Diese Fotografien haben mich in meiner Arbeit geprägt. Er war damals, 1978, allein in den USA, es war ein Lebenstraum, den er sich erfüllt hatte. Eines der Fotos zeigt ihn auf einem Wanderweg am Grand Canyon. Wir haben beschlossen, das Bild vom Grand Canyon nachzustellen, aber nicht am Grand Canyon, sondern in einem Steinbruch in Wuppertal. Auch auf dem Foto von 1978 hat mein Vater einen Sack über der Schulter hängen. Meine Freundin Sara, die das Styling gemacht hat, wollte ihn ähnlich kleiden, wie er damals aussah. Trotzdem ist das Bild anders geworden. Es sieht auch so aus, als wäre das Bild im Frühling oder Sommer gemacht worden - dabei war es an Weihnachten.«

    Blaue Blousonjacke von Michael Kors Collection, Mütze, Schal, Hose und Schuhe privat.