Wie Schach, nur ohne Würfel

Klar ist, dass bei der Bundestagswahl auch die Fitness der Kandidaten entscheidend sein wird. Aber mit welcher Sportart lässt sich so eine Wahl vergleichen?

Anfang März wurde der Kandidat Schulz im Interview mit inFranken.de gefragt: »Seit Sie das Ruder übernommen haben, segelt die SPD auf einer Welle der Zustimmung, die bisweilen gar in Begeisterung umschlägt.« Was denn, bitte, so ging die Frage weiter, den »Umschwung ausgelöst« habe, »musste die SPD wie die Fußballmannschaft nur einfach den Trainer auswechseln, um wieder Tore zu schießen?«. Schulz sagte später im Gespräch, ihm und allen in der SPD sei »natürlich sehr bewusst, dass eine Bundestagswahl kein Sprint ist, sondern ein Marathon«.

Nach der Wahl im Saarland war dann von ihm zu hören, nun habe »die andere Seite ganz eindeutig ein Tor erzielt«. Aber ein Gegentor heiße nicht, das Spiel sei entschieden.

Was ist da los? Wir sehen einen Mann, der mit geblähten Segeln auf hoher Woge in den Hafen rauscht, dort, mit Laufschuhen, kurzer Hose und einem T-Shirt mit der Aufschrift »Quäl Dich, Du Sau!« bekleidet, trippelnd Festland betritt, nur um zu sehen, dass Fußball gespielt wird und die anderen schon vorne liegen.

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Herrschaftszeiten, Schulz, wir haben April, die Wahl ist im September, was ist denn nun? Segeln? Fußball? Kurzstreckenlauf? Marathon? Oder doch Metaphern-Hochwurf?

Egal, ruft die Schulzgemeinde, Schulz kann alles, er hat Fußball gespielt wie Schröder, kann bestimmt auch Klavier spielen wie Helmut Schmidt und übers Wasser gehen wie Willy Brandt sowieso. Er kann reden wie Obama und ist doch Provinzler wie Kohl, er ist total neu im Geschäft und doch lange dabei, komplett unverbraucht und dabei lebenserfahren, hat getrunken und trinkt nicht mehr, er kennt das Leben von unten und oben (und natürlich kennt er vor allem das Leben der hart arbeitenden Mitte dieses Landes), er wird die Hartz-Reformen zurücknehmen und sie gleichzeitig behalten, und übrigens ist er als junger Mann Langstrecke gelaufen, ist doch klar, ist doch klar.

Also gut, es ist ein Marathon.

Das Blöde am Marathon ist, dass der erste Marathonläufer ein Herr namens Pheidippides war, der vom Schlachtfeld bei Marathon in das 42 Kilometer entfernte Athen rannte, um den Bürgern dort die Kunde vom Sieg über die Perser zu bringen, worauf er an Erschöpfung starb. (Frank Shorter, der Marathon-Olympiasieger von 1972, hat das mal mit der verzweifelten Frage kommentiert, warum der Mann nicht schon nach zwanzig Kilometern gestorben sei; das hätte uns Heutigen vieles leichter gemacht.)

Das Gute am Marathon ist, dass die Geschichte vielleicht nicht stimmt, denn für einen gut trainierten Botenläufer dürfte eine solche Strecke kein Problem gewesen sein, und bei Herodot wird ein anderer Pheidippides erwähnt, der in zwei Tagen von Athen nach Sparta lief (und weiterlebte), das sind 245 Kilometer, was für Schulz auch kein Problem wäre; in der Zeit würde er abends im Bett noch den neuen Roman von Paul Auster lesen und sich unterwegs eine Augustus-Biografie reinziehen, als Hörbuch.

Doug Barber, ein amerikanischer Ultraläufer (das sind Leute, die Marathons zum Aufwärmen absolvieren, weil sie grundsätzlich mindestens hundert Kilometer rennen, möglichst in den Alpen), hat mal gesagt: »Wenn ich schon nicht schneller laufen kann, dann laufe ich halt länger.« Dieses Motto könnte einerseits im Fitnessraum von Angela Merkel hängen, andererseits bin ich nicht sicher, ob Angela Merkel einen Fitnessraum hat. Man wurde zeitweise trotzdem den Verdacht nicht los, sie sei schon auf der Strecke, während Schulz sich am Start noch ein paarmal von seinen Fans juchzend in die Luft werfen ließ.

In Runner’s World habe ich ein Interview mit Sahra Wagenknecht gelesen. Die hat zu Hause im Saarland eine elf Kilometer lange Hausstrecke, was, wenn sie die gut schafft, bedeuten würde, dass Martin Schulz bei entsprechenden Koalitionsabsichten nur 31 Kilometer vom Marathon rennen müsste, irgendwie ist die Bundestagswahl ja auch ein Staffelrennen. Blöd ist nur, das Interview wurde mit dem Satz eingeleitet: »Die Politikerin Sahra Wagenknecht läuft nur für sich selbst.«

Illustration: Dirk Schmidt