Verfluchtes, geliebtes München

Im Netz wird gerade ein Artikel gefeiert, in dem ein Münchner wütend über seine öde Stadt klagt. Die sei zu teuer, zu spießig, zu leblos. Damit hat er recht. Und irrt sich trotzdem. Eine Widerrede.

Alles, was der Journalist Max Scharnigg aufschreibt, kann man ungelesen sofort jedem empfehlen, die Texte sind einfach immer gut. Wenn er nur seinen Namen auf ein Türschild schreibt, würde ich es schon lesen. Nur aus der Erinnerung heraus kann ich eine Handvoll Schnarniggs zitieren (etwa sein wunderbares Metaphern-Gewitter bei der Kritik des letzten Albums von Jens Friebe).

Jetzt hat Max (wir kennen uns, er ist ja auch bei der SZ) auf seinem Blog geschrieben, warum er seine Geburts- und Heimatstadt München so öde findet. Was er schreibt, ist richtig beobachtet. Aber: Ist nicht das Einzige, was noch öder ist als München, das ewige Beschweren über München? Und: Liegt im Schwärmen über andere, bessere Städte nicht ein Trugschluss vor? Erst mal kurz zu Scharniggs langer Kritikliste an München, die man so liest und jeden Punkt mit einem Kopfnicken abhakt: kenne ich, stimmt so, nervt mich auch.

Also: Immobilienpreise, gesichtslose Neubauarchitektur, kein Platz für Kreativität und Kreative, kein Nachtleben, zu viele reiche SUV-Fahrer, alle tragen die gleiche Pelzkragenjacke (hat Max gar nicht geschrieben, darum hier noch addiert), lieblose Parks, kein Leben auf öffentlichen Plätzen, schlechte Schulen (trotz Reichtum), keine Ess- und Trinkkultur, keine offener Geist für Veränderung. Es geht noch ein bisschen weiter so. Und zwischendurch schwärmt Scharnigg von Rom, New York, Stockholm, Mailand. Da sitzt man den ganzen Tag in Cafés, auf Plätzen, an Flüssen, alle sind nett, cool, es gibt wahnsinnig guten Kaffee, irre leckere Croissants, und kaum dreht man sich um, haben schon drei Pop-up-Stores aufgemacht neben einem. Ich muss mich beim Lesen am Stuhl festhalten, damit ich nicht gleich zum Hauptbahnhof renne und in den nächsten Zug Richtung Brenner steige oder fast egal wohin, nur weg von hier.

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Oh, wie schön ist Panama. Vor allem, wenn man nur ein paar Tage bleibt, frei hat, in den guten Monaten hingefahren ist. Letzten Sommer hat mich ein Freund besucht, der Bremer ist und in Hamburg lebt. Er mag Meer, Werder Bremen und Norddeutschland. Er findet, der FC Bayern kauft alle guten Spieler weg. Als er ankam, sind wir erst mal in einen Biergarten gefahren, es war Nachmittag und warm, viele Bänke unbesetzt, keiner gestresst, jeder eine Radlermaß unter Kastanien. Dann sind wir in den Englischen Garten, da lag noch mein Surfbrett, ich bin ihm eine Runde vorgesurft auf der Eisbachwelle, er saß am Ufer mit einem Spezi und einem Curry vom Kiosk »Fräulein Grüneis« ums Eck. Dann kam seine Freundin dazu, die in München beruflich zu tun hatte, wir sind zum Monopteros hochgestiegen, haben die Kirchtürme der Stadt angesehen, Erdbeeren aus dem Umland an einem Stand gekauft, noch einen Spezi, dann durch den Englischen Garten zur »Goldenen Bar« am Haus der Kunst. Kurz nur die sauschöne Bar angesehen, dann auf die Terrasse gesetzt, Tischtennisspielern und Schickimickis zugesehen, weiter in den Hofgarten geschlendert, gegen zehn Uhr abends in den kleinen Pavillon, wo getanzt wurde. Ich hab die beiden genötigt, ein, zwei Runden mitzutanzen, und sie dabei fotografiert.

Am nächsten Tag habe ich sie Richtung Berge und Starnberger See geschickt, an die schönen Stellen hinter Starnberg. Sie kamen wieder mit Sonnenbrand und Bergfieber, Steckerlfisch und Brezen hatten sie auch gegessen. »Hammerstadt«, meinte mein Freund beim Abschied am Bahnhof. Er sagte noch, dass der FC Bayern mit Mats Hummels, Jérôme Boateng, David Alaba und Manuel Neuer die geilste Abwehr der Welt hat und wir mal zusammen ins Stadion müssten.

Er fuhr, dann fing es an zu regnen. Ich sah auf dem Heimweg Tauben, die hingekotzten Döner aufpickten, und würgte, dann ging ich in meine zu teure und zu kleine Mietwohnung und dachte, man müsste in Leipzig wohnen oder in Porto. Dort war ich im Frühjahr: Die haben das Meer, an jeder Ecke machen coole Läden auf, alte Häuser werden liebevoll renoviert, alles ist billig, abends gibt es so viele coole Bars wie Einwohner. »Hammerstadt«, sagte ich zu einer Freundin, die dort wohnt. Sie sagte: »Es regnet zu oft, das Meer ist immer kalt.«

Ich glaube, jede Stadt ist für zwei Tage, zwei Wochen oder sogar zwei Monate cool. Und ja, ich habe ein Jahr in London gelebt, eine Woche in Oslo gefeiert, mich in Porto verliebt und in jede zweite italienische Stadt. Ich glaube nur, dass es überall nach zwei Jahren irgendwie öde wird und man motzt. Zeig mir bitte einer den Italiener, der jeden Abend auf der Piazza leckeren Wein an langen Holztischen mit Wildfremden trinkt, dabei singt, flirtet, Pasta con irgendwas fantastico isst und frühmorgens nach Hause tanzt.

Nach Max' Artikel habe ich mich gefragt, warum er noch in München lebt, warum ich überhaupt noch in München lebe, obwohl es hier tatsächlich selten überraschend ist. Und nicht nur Max bleibt, ich kenne viele, die ebenso gut oder besser nach Berlin, Leipzig, San Francisco, Shanghai, Porto passen würden. Aber sie bleiben. Laufen grummelnd durch die ungeliebte Stadt, Leberkässemmel kauend, Richtung renaturierte Isar, oder die Skier ins Auto tragend, weil Neuschnee liegt.

Scheißstadt, echt mal. Ich ziehe übrigens gerade aufs Land, ein Abschied von München nach 20 Jahren, und ich hab so eine komische Wehmut im Bauch. Aber es tat ganz gut, sie mal wegzuschreiben.

Foto: dpa/Peter Kneffel