»Hoffnung macht untätig und feige«

Die Schritstellerin Ruth Klüger war in drei Konzentrationslagern gefangen und wurde nach dem Krieg zur bekanntesten Germanistin im Ausland. Im Interview mit Sven Michaelsen spricht sie über ihr Leben und erklärt, warum sie heute nicht mehr mit Martin Walser befreundet sein kann.

    Viele sind es nicht mehr, die noch erzählen können, was sie im Konzentrationslager erlebt haben. Ruth Klüger kann es, und sie kann es mit einer seltenen Wortgewalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte die gebürtige Wienerin in die USA und wurde zur bekanntesten Auslandsgermanistin, zudem zu einer erfolgreichen Schriftstellerin.

    »Man sah die auf Lastwagen gehäuften nackten Toten, umschwärmt von Fliegen«, berichtet Ruth Klüger im Interview mit unserem Autor Sven Michaelsen im SZ-Magazin vom 16. Juni 2017: »Jeder wusste, was da auf uns zukommt. Trotzdem sind die Leute nicht angstschlotternd herumgelaufen, einfach weil Menschen auf Dauer nicht angstschlotternd herumlaufen.« Hier spricht sie von ihrer Zeit in Auschwitz-Birkenau. Nach Auschwitz wurde sie deportiert, als sie zwölf Jahre alt war. Klüger lebte außerdem in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Christianstadt.

    Schon mit sieben Jahren hatte Ruth Klüger angefangen, Gedichte auswendig zu lernen und selbst welche zu schreiben. Die Lyrik war ihr im KZ eine treue Begleiterin. Wenn sie wieder stundenlang Appell stehen musste, sagte sie etwa Verse von Goethe oder Heine vor sich hin. »Ich fiel nicht um, weil es immer eine Zeile zum Aufsagen gab. Fiel sie einem nicht ein, lenkte das Nachgrübeln von der eigenen Schwäche ab«, sagt Klüger. »Gedichte halfen mir zu überleben.«

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    In Auschwitz schrieb Klüger auch selbst Gedichte. Zwei Strophen davon landeten 14 Jahre nach dem Ende des Krieges über Umwege bei einem amerikanischen Germanisten, der Klüger dann zu einer Stelle an der University of California in Berkeley verhalf - so begann ihre Karriere als Germanistin. »Bei guter Laune empfinde ich meinen Berufsweg als poetische Gerechtigkeit«, sagt Klüger dazu.

    Ruth Klüger spricht im Interview auch über ihre einst enge Freundschaft mit Martin Walser, dem »Inbegriff des germanischen Nachkriegsintellektuellen«, wie sie sagt. Klüger und Walser waren mehr als ein halbes Jahrhundert lang miteinander befreundet - bis zum Erscheinen seines Romans »Tod eines Kritikers« im Jahr 2002. »Ich kann nicht beurteilen, ob Walser Antisemit ist«, sagt Klüger. »Er weiß es vielleicht selber nicht.« Das Buch jedoch sei bösartig und antisemitisch - und die Freundschaft seither beendet, »rettungslos und auf immer«.

    Zudem erklärt Klüger, welche gute Tat einer Fremden sie vor der Gaskammer bewahrte – und was ihre regelmäßigen Black-Jack-Reisen nach Las Vegas mit dem Holocaust zu tun haben.

    Lesen Sie das gesamte Interview mit SZ Plus:

    "Ich habe nicht überlebt, ich gehöre zu den toten Kindern"

    Mit elf Jahren wurde Ruth Klüger in das KZ Theresienstadt deportiert. Nach dem Krieg wurde sie eine berühmte Germanistin und Schriftstellerin - aber sie sagt: "Ein Teil von mir ist in den Lagern geblieben." Ein Gespräch über Gedichte auf dem Appellplatz, die Macht des Zufalls und die Unfähigkeit zu weinen

    Foto: dpa