»Ich fand klassische Musik immer zutiefst doof«

Zum Beginn der Theaterferien: Die Lieblingslieder von Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele.


1) Fasateen - Mashrou' Leila

»Vom Sommer 2012 an war ich ein Jahr im Libanon und habe dort die mediterrane Lebensart sehr schätzen gelernt. Eines Tages hat sich ein Typ bei mir für ein Projekt beworben, der Sänger einer Popband ist - und diese Popband hatte damals im Libanon einen Superhit: Fasateen. Der Song handelt von einem Mann, der über Nacht von seiner Frau verlassen wurde, und nun sitzt er morgens beim Frühstück und alle sind weg. Das Lied trieft vor Melancholie, aber ich habe es damals total gern gehört.«


2) Shanghai Freeway - Fatima Al Qadiri

»Das Gegenteil zu Mashrou' Leila war Fatima Al Qariri, aus Kuwait. Eine Musikerin, die ich nur kenne, weil ihre Schwester bei mir studiert hat. Sie hat von Beirut aus eine Art Fake-Folklore erfunden, eine Reise durch China. China ist von Beirut mindestens so weit weg wie von München, aber immerhin ist man dort schon in Asien. Und die Fake-Folklore zu erfinden war immer total lustig.«

3) A Whiter Shade Of Pale - Procol Harum

»In ›Tiefer Schweb‹ von Christoph Marthaler, unserer letzten großen Theaterproduktion dieser Saison, kommt ein Song meiner Jugend vor. Der wird gespielt auf drei vollständig verstimmten Hammond-Orgeln, die alle übersät sind mit Aufklebern, die Schauspieler geben sich betont cool, einer macht das Peace-Zeichen, ein anderer spielt nur mit einer Hand und hält die andere in der Hosentasche. Das Lied kommt aus der Zeit, als alle Studenten-WGs dunkelbraun gestrichen waren und ›Bonjour Tristesse‹ an Hauswände gesprüht wurde. Ich hatte nichts damit zu tun, dass dieser Song jetzt wieder auftaucht, aber diese melancholisch-pathetische, orgellastige Version auf der Bühne, die eine Travestie der letzten 30 Jahre ist, fand ich total schön und schlüssig.«

4) Children of the Revolution - T Rex

»Ich habe in Berlin den Punk verpasst. Ich wusste schon, dass es das gibt, aber ich war viel zu sehr bürgerlicher Theaterfuzzi, als dass ich mich dafür interessiert hätte. Erst am Theater in Basel, in den Castorf-Inszenierungen, bin ich darauf gestoßen. Als ich 14 war, ging es bei mir und meinen Freunden vor allem um die Frage: Sweet oder T. Rex. Ich war natürlich auf der richtigen Seite, Sweet war mir viel zu süßlich. Musik haben wir über Kassettenrekorder gehört, mit dem wir Sendungen aus dem Radio mitgeschnitten haben. Auf manchen Sendern haben die Moderatoren in die Musik gequatscht, auf anderen nicht. Ich habe vor allem Rias gehört, den Rundfunk im amerikanischen Sektor, oder AFN, was aus München kam, was ich damals aber nicht wusste. Ich hab es sehr genossen, dass die amerikanischen Soldaten hier so viele musikalische Spuren hinterlassen haben.«

5) Ein Jahr (Es geht voran) - Fehlfarben

»Anfang der 80er, ich war Anfang 20, habe ich in West-Berlin studiert und mit der Hausbesetzer-Szene sympathisiert. Für uns war Fehlfarben und besonders dieser Song der Soundtrack. Plötzlich war das Gefühl, das Leben verändert sich drastisch, wir können die Realität beeinflussen, wir können unsere eigenen Verhältnisse beeinflussen. Und da war dieser stampfende Rhythmus von Fehlfarben das ideologische Bekenntnis dieser Zeit. Heute wäre das wahrscheinlich Black Life Matters von Kenrick Lamar. Der auf einer bestimmten Ebene das Äquivalent ist.«

6) Mondnacht - Robert Schumann

»Ich fand klassische Musik immer zutiefst doof. Ich war auf einem Gymnasium, auf dem alle Klavier gespielt haben, aber ich bin der unmusikalischste Mensch, den es überhaupt gibt. In Basel war ich dann an einem Drei-Sparten-Haus, dann haben die Regisseure gefragt, ob ich nicht auch mal Dramaturgie in der Oper mache - aber ich höre Oper so wie Popmusik. Ich habe da keine Ehrfurcht, finde das aber auch nicht schlimm. Aber als der Schauspieler Peter Brombacher neulich bei uns einen Songabend gegeben hat, hat mir das Schumann-Lied sehr gut gefallen (er singt es auch in „Caspar Western Friedrich" von Philippe Quesne). Er singt das aus so einem großen Körper heraus mit unglaublicher Zärtlichkeit , die Stimme hat was fast zerbrechliches. Ich bin nicht so richtig ein Verehrer der deutschen Romantik, aber darüber bekommt das für mich den totalen Dreh.«

7) Idiot - Maurice Louca

»Im Moment kann ich sehr schwer einschätzen, in welche Richtung sich die Musik weiter entwickeln wird. Die Entwicklung wird ja weniger betrieben von technologischen Neuerungen als durch Einflüsse aus verschiedenen Gebieten der Welt. Ich habe in Kairo den Musiker Maurice Louca kennen gelernt. Es gibt in Kairo dreirädrige Espressowagen am Straßenrand, auf denen gleichzeitig Soundsysteme installiert sind. Da läuft Shaabi Musik, merkwürdige Hochzeitsmusik aus elektronischen Klängen mit Orientalismen. Und ich mochte in diesen staubigen heißen Straßen, wenn es an einer Ecke auftaucht. Den versuche ich jetzt mal nach München zu kriegen, habe es bisher aber noch nicht geschafft. Ich hätte wahnsinnig gern so eine Espressowagen vor den Kammerspielen auf der Maximilianstraße.«

Foto: dpa