Ich hasse Facebook

Unsere Kolumnistin nutzt keine Plattform so oft wie Facebook. Dabei wächst ihre Abneigung gegenüber dem Netzwerk von Tag zu Tag. Ist es an der Zeit Facebook in Fakebook umzubennen?

Mark Zuckerberg wollte die Weltöffentlichkeit besänftigen, als er vor der Bundestagswahl verkündete, er arbeite daran, »die Integrität der deutschen Wahlen« sicher zu stellen. Facebook hätte vor der Wahl »Zehntausende« Fake-Accounts gelöscht. Aber mich und viele andere Facebook-Nutzer haben seine Beschwichtigungsversuche nicht besänftigt, sondern erbost. Ausgerechnet Facebook will sich als Bewahrer der Demokratie darstellen? Ausgerechnet die undemokratischste Internet-Plattform der Neuzeit?

»Wir leben in einer neuen Welt«, sagt Zuckerberg, aber offensichtlich hat er noch nicht mitbekommen, was genau alles neu ist, seit er Facebook vor 13 Jahren in seinem Studentenwohnheim in Harvard erdachte. Nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl nannte er den Vorwurf, die Fehlinformationen auf seiner Plattform hätten die Wahlen beeinflusst »eine crazy Vorstellung«. Inzwischen hat er sich für seine Verharmlosungen entschuldigt und musste eingestehen, dass Zigtausende russische Trolle Facebook mit Fehlinformationen überschwemmten, aber gelernt hat er daraus nicht. Letzte Woche war der meistgeklickte Post bei Facebook wieder ein Breitbart-Artikel, der afroamerikanische Sportler denunzierte. Facebooks Algorithmus bevorteilt Trolle und Demagogen. Facebook fördert den Streit, nicht den Konsens.

Facebooks Vorgehen hat politische Macht überhaupt erst ermöglicht: Im Radio, im Fernsehen und in Zeitungen muss in Deutschland politische Werbung klar gekennzeichnet sein, auf Facebook dagegen können Lobbyisten und Lügner weitgehend ungefiltert schalten, was sie wollen. Nur sechs Prozent der Deutschen sagen, Facebook sei ihre wichtigste Nachrichtenquelle. Aber in den USA beziehen acht von zehn Amerikaner ihre Nachrichten über Facebook. Dort verfolgten die falschen Facebook-Freunde aus Russland dann auch das klare Ziel, Ressentiments zu schüren, riefen sogar zu Protestkundgebungen auf amerikanischem Boden auf. Der von Russland erfundene »Blacktivist«-Account zum Beispiel hatte 360.000 Likes – und damit wesentlich mehr als der verifizierte, echte »Black Lives Matter«-Account mit etwas über 300.000 Likes. Russische Trolle setzten überall da an, wo sie Trump helfen konnten: Sie erfanden Accounts von militanten Muslimen, die dann wiederum von Breitbart als Basis für ihre anti-muslimischen Tiraden genutzt wurden, verbreiteten, Hillary Clinton habe einen FBI-Mann ermordet und Kinder geschändet – alles geschürt von Russen, die sich auf Facebook als Amerikaner ausgaben. Das Fatale daran ist, dass Facebook diese Massenfälschungen erst jetzt bekannt machte, fast ein Jahr zu spät.

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Wer mein Facebook-Log sieht, muss denken, ich sei ein großer Fan des Netzwerks. Ich teile meine Artikel online, lese Kommentare dazu, posaune meine Meinung über aktuelle Weltereignisse hinaus, halte die Verbindung zu alten Freunden, die inzwischen auf anderen Kontinenten umher stromern, poste Sonnenuntergangs-Fotos, lache über Katzen-Videos und suche nach einem neuen Zuhause für Hunde aus dem Tierheim. So ähnlich machen das 2 Milliarden Menschen. 1,3 Milliarden Menschen nutzen Facebook täglich, wie ich auch. Jede fünfte Internet-Minute verbringen wir im Durchschnitt bei Facebook. Gut möglich, dass Sie auch diese Kolumne auf Facebook entdecken.

Dabei hasse ich Facebook. Abgrundtief. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht über das Netzwerk ärgere und mir wünsche, es gäbe eine bessere Alternative. Natürlich habe ich Google+ und Ello ausprobiert, aber mal ehrlich: Da ist nicht viel los. Meine Freunde, Kollegen und Leser finde ich alle auf Facebook. Obwohl sich immer mehr Freunde abmelden; posten: tschüss, bin jetzt mal 90 Tage offline und dann nie wieder auftauchen.

Klar, niemand zwingt mich dazu, Facebook zu nutzen. Ich könnte meine Freundin in Australien ja auch mal wieder anrufen. Ich kann die SZ auch auf Papier lesen. Leser können mir auch per Post schreiben.

Facebook hat seinen Algorithmus geschickt in Online-Candy verwandelt. Ich finde es toll, dass ich über das Netzwerk auf Leute mit den gleichen Interessen stoße, die ich sonst nie gefunden hätte. Es ist zu verführerisch, zu gucken, wie Leser ungefiltert reagieren – selbst wenn es Trolle sind. Es macht mir Freude, der Schulfreundin, die ich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe, zum neuen Baby zu gratulieren.

Aber ich ärgere mich schon lange darüber, dass Facebook mich (und sogar die gemeinnützige Stiftung, die ich unterstütze) immer unverschämter zum Bezahlen drängt, wenn wir alle unsere Follower erreichen wollen. Schließlich bezahle ich ja schon mit der wertvollsten Währung der Welt: ganz privaten Daten. Am meisten stört mich, dass sich Facebook als Kommunikationsplattform präsentiert, aber selbst unkommunikativer ist als der Papst. Wer Facebook erreichen will, hat Pech – als Kundin mit einem akuten Account-Problem genauso wie beruflich als Journalistin. Auf der Pressestelle dudelt der Anrufbeantworter, zurückgerufen oder gemailt wird nie. Insofern ist das sogenannte »Facebook-Gesetz« von Heiko Maas, das Netzwerke seit dieser Woche verpflichtet, zumindest einen Ansprechpartner für Beschwerden zu nennen und rechtswidrige Inhalte zu löschen, ein Schritt in die richtige Richtung.

Und was genau macht Facebook mit meinen Daten, gerade unter dem Druck der Trump-Tröten? Die US-Regierung hat angekündigt, künftig die Facebook- und Twitterprofile von Touristen und Einwanderern zu durchleuchten. Das betrifft auch Deutsche. Das amerikanische Justizministerium drängt Facebook, die Privatdaten von Demonstranten offen zu legen, die Anti-Trump-Seiten liken und hat dafür gerade einen Durchsuchungsbefehl ausgestellt, der die Daten von Tausenden Facebook-Nutzern betrifft, denen keine kriminelle Handlung vorgeworfen wird. Wie sich Facebook dazu verhalten wird, ist noch offen. Aber wie Zuckerberg so zu tun als sei Facebook keine Plattform für Propagandakriege ist heuchlerisch. Auch Google, Twitter und andere wurden mit Propaganda überschüttet, aber keine so vehement wie Facebook, deshalb trägt es auch eine besondere Verantwortung.

Das Computational Propaganda Projekt der Oxford Universität kam zu dem Schluss, dass die Artikel der bekannten Fake-News-Webseiten die der bekannten seriösen Nachrichtenanbieter an Zahl und Klicks bei weitem übertrafen. Und zwar am erfolgreichsten mit den sensationsheischenden, sexistischen Schlagzeilen. Ausgerechnet da sagt Zuckerberg, er sei machtlos. Facebook weiß alles über mich, kennt meine Freunde und meine Vorlieben, aber das Netzwerk brauchte ACHT MONATE, um dahinter zu kommen, dass Tausende politische Hetzer Bots aus Russland waren? Obwohl die Besitzer der Accounts teils in RUBEL bezahlten?

Dass Zuckerberg den Großteil der Faker nicht ausmerzen kann, nehme ich ihm nicht ab. Reddit hat es ja auch geschafft. Facebook arbeitet schließlich mit Regierungen in Staaten wie China, Burma und Vietnam zusammen, um regierungskritische Kommentare zu zensieren. Warum sollen Einschnitte dann nicht bei den Trollen im eigenen Land funktionieren? Stattdessen hat Facebook in Amerika es Antisemiten und Rassisten ermöglicht, ihre Botschaften gezielt an Kategorien wie »Judenhasser« und »Antisemiten« zu filtern. COO Sheryl Sandberg, selbst Jüdin, hat sich inzwischen dafür entschuldigt.

Was ich will, ist Transparenz. Ehrlichkeit. Fairness. Ich will das, was Facebook ursprünglich einmal versprochen hat: ein weltweites Netzwerk von Freunden.
Ich will den Feed meiner Freunde sehen, ungefiltert von Zuckerbergs Algorithmus. Ich will gute Artikel und Themen entdecken – und wenn russische Trolle Falschnachrichten posten (und dafür 100.000 Dollar an das Netzwerk bezahlen!), will ich, dass Facebook so wach ist, dass es das schnallt.

Die Trolle (und Facebooks lahme Nicht-Reaktion) sind vielleicht das deutlichste Zeichen, dass das Netzwerk seine wichtigste Währung verspielt hat: seine Glaubwürdigkeit und sein Versprechen, eine bessere Welt zu schaffen.

Es ist Zeit, mich abzumelden. Und endlich den Facebook-Button zu drücken, den es längst geben sollte: Dislike. Oder Facebook in Fakebook umzubenennen. Damit wir alle wissen, woran wir sind.

Foto: Jens Büttner/dpa