Unterwegs mit einer Hassfigur

Für ihre Vision eines weltoffenen Islam wird Seyran Ateş von konservativen Muslimen angefeindet. Statt zurückzustecken, schießt sie ebenso scharf zurück.

    Am Ende des Interviews will man von Seyran Ateş wissen, ob sie die scharfe, verletzende Formulierung, die sie eben ausgesprochen hat, autorisieren werde? Es ist im deutschen Journalismus üblich, Gesprächspartnern dieses Recht einzuräumen, ihr gesprochenes Wort noch einmal korrigieren zu dürfen. Oft werden die provokantesten Formulierungen so verändert, dass sie nicht mehr provokant wirken. Nicht so bei Seyran Ateş, einer türkischstämmigen Anwältin, die in Berlin gerade eine Moschee gegründet hat. Im Interview hatte sie die Männer, die den Islamverbänden in Deutschland vorsitzen, »Bauerntrottel« genannt. Nun überlegt sie kurz und sagt, dass man diese Formulierung ruhig so aufschreiben dürfe.

    Seyran Ateş möchte den Islam verändern. Die Menschen, die den Islam bisher in Deutschland repräsentieren, die Männer von den Verbänden, sieht sie dabei nicht als Mitstreiter, sondern als Gegner an. In ihrer Moschee, die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee heisst, hat sie die gängige Gebetspraxis fundamental verändert: Männer beten gemeinsam mit Frauen in einem Raum. Ateş predigt als Imamin. Homosexuelle sind willkommen, genauso wie Christen und Atheisten. Diese Reformen haben ihr viel Anerkennung, aber auch Hass eingebracht. Seit die Moschee im Juni 2017 eröffnet wurde, hat Ateş Tausende wütende Emails und Facebook-Kommentare erhalten. Auch Drohungen. Sie wird momentan 24 Stunden am Tag von mehreren Polizisten beschützt.

    Zwei Reporter des SZ-Magazins haben Ateş die vergangenen aufregenden Wochen begleitet. Sie waren bei den Freitagsgebeten in der Moschee. Sie gingen mit Ateş auf den Christopher Street Day, wo sie auf dem Wagen der evangelischen Kirche mitfuhr und mitfeierte. Und sie durften dabei sein, als eine Schulklasse aus Neukölln mit Ateş über den Islam diskutierte und stritt. Die Schüler, die meisten selbst Muslime, hielten Ateş immer wieder vor, dass Homosexualität im Islam doch verboten sei und Frauen sich eben verhüllen müssten. Es war ein hitziges, unversöhnliches Gespräch.

    Meistgelesen diese Woche:

    Während dieser Wochen erlebten die beiden Reporter eine engagierte Frau, die ihr Privatleben fast gänzlich aufgegeben hat, die sogar ihr Leben riskiert, um für ihre Moschee und ihre Ideen zu werben. Eine Frau, die weiß, was man tun muss, um gehört zu werden, die bewusst Provokationen setzt und die große Bühne geradezu sucht.

    Befremdlich war, dass man in der Moschee meistens mehr Journalisten und Besucher als Gläubige traf. Über Ateş' Projekt und die Anfeindungen gegen sie wurde weltweit berichtet. Ägyptische Islamgelehrte verdammten die Moschee als unislamisch, deutsche Politiker bekundeten dagegen ihre Solidarität mit Ateş, sowohl Vertreter der Grünen als auch der AfD. Es wirkt so, als würde die Moschee vor allem Menschen gefallen, die nicht muslimischen Glaubens sind. Denn selbst Muslime, die sich als liberal und reformorientiert beschreiben, kritisieren Ateş und ihr Projekt.

    Was will sie mit ihrer Moschee erreichen? Wen will sie erreichen? Und was treibt sie an?

    Die Lautsprecherin

    Wie passt der Islam zu Deutschland? Die Antwort von Seyran Ateş ist eine Moschee, in der Frauen predigen und Homosexuelle willkommen sind.

    Foto: Alexander Gehring