No More Trouble

Es gibt nur einen Gewinner bei den abgebrochenen Koalitionsverhandlungen: Jamaika. Die Insel hat Christian Lindner jetzt viel zu verdanken.

Großer Jubel auf Jamaika (hier über einen Sieg von Usain Bolt): die Zeit der Jamaika-Scherze hat Christian Lindner beendet.

Wie konnte bei all den Jamaika-Vergleichen der letzten fünf Wochen dieser eine wirklich naheliegende Jamaika-Vergleich nur vergessen werden: der von FPD-Parteichef Christian Lindner und Äthiopiens letztem Kaiser Haile Selassie.

Die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand: Beide haben diese Traurigkeit im Blick, wie man auf alten Schwarz-Weiß-Fotos (Selassie) und neuen Schwarz-Weiß-Fotos (Lindner) sieht. Der eine, Selassie, trug den Herrscher-Titel »König der Könige« und galt vielen Jamaikanern als Wiedergeburt des Messias. Der andere, Lindner, hält sich offenbar selbst für den Messias (hier seine gestrige Erklärung im Wortlaut) und benimmt sich wie ein »König der Könige«, wenn er im Alleingang die Gespräche der Parteivorsitzenden für beendet erklärt.

Lindners Verhandlungsabbruch kann man als deutscher Wähler dreist, gewagt oder demokratieschädlich finden. Aus Sicht eines Jamaikaners konnte nichts Besseres passieren: »'Dope n dreads' stereotypes as Germany mulls 'Jamaica‘ coalition«, klagte der »Jamaican Observer«, eine der vier jamaikanischen Tageszeitungen, am 11. November. Übersetzt: »Deutschland erwägt eine ‚Jamaika-Koalition‘ und bedient 'Kiffen und Dreadlocks'-Stereotype«. (Dass beim Grün-Schwarz-Gelb-Farbvergleich das Blau der CSU absichtlich weggelassen wurde um »den Gag nicht zu zerstören«, störte wohl nur die Washington Post.)

Meistgelesen diese Woche:

Deutsche Titelseiten im Karibik-Vergleichs-Wahnsinn.

Gezeigt werden Titelseiten deutscher Zeitungen und Magazine wie der Zeit (»Fluch der Karibik«), der FAZ (»Reif für die Insel«), des Stern und eine Doppelseitenillustration der Bild-Zeitung (»Kommt für Merkel die Jamaika-Koalition in die Tüte?«), für die man sich als Deutscher am meisten schämt, weil Lindner einen riesigen Joint im Mund hat, Özdemir trommelt und Merkel Dreadlocks trägt zu braunen Oberkörpern. Aus Begeisterung über die eigenen Photoshop-Fähigkeiten wurde in hiesigen Redaktionen irgendwie vergessen, wie lustig man als Deutscher Zeichnungen von Angela Merkel in Nazi-Uniformen oder deutscher Nationalspieler im Panzern fand. Unter dem Observer-Artikel beschweren sich jamaikanische Leser über Diskriminierung: »Ich erkenne da keine Satire, sondern rassistische Stereotype. Warum? Weil wir einfache Ziele sind und uns nicht wehren können?« Der Artikel beklagt, dass Deutschland zwar vorbildlich die Verbrechen des Holocaust aufarbeite, aber »nicht die selbe intensive Debatte über Kolonialisierung und aktuellen Rassismus gegenüber Farbigen führt wie es das in anderen westlichen Ländern gibt.«

Haha, Jamaika! Der Photoshop-Tiefpunkt der Bild-Berichterstattung über die Koalitionsverhandlungen. Quelle: Bild.

Jamaika drohten bis gestern Abend vier lange Jahre der Image-Beschädigung. Die Probleme bei der Bildung der »Jamaica Coalition« im wirtschaftlich wie außenpolitisch nicht unwichtigen Deutschland hatte man weltweit wahrgenommen. Eine Jamaika-Regierung hätte sehr wahrscheinlich permanente Kindergarten-Streitigkeiten zwischen Seehofer, Lindner und Trittin zufolge gehabt, weitere Merkmale wären wohl Reformunfähigkeit und verschleppte Sanierungen von Straßen und Haushalt gewesen.

Schlimmstenfalls hätten sich künftige jamaikanische Politiker von Boulevardzeitungen mit Merkel-Perücken, blassem Lindner-Oberkörper und Maßkrug in der Hand zeichnen lassen müssen. Das möchte man wirklich niemandem zumuten. Und nicht mal die Tourismusindustrie muss der Jamaika-Regierung nachtrauern, zwar erhofft sich »Visit Jamaica« für das Jahr 2017 einen 50-prozentigen Anstieg bei Reisebuchungen aus Deutschland, aber, so der Observer, das liege »allein an besseren Flugverbindungen«.

Foto: AFP