Hab' ich das wirklich alles gekauft?

Beim Blick auf ihre lange ignorierte Kreditkartenabrechnung packt unsere Autorin das Grausen – seitenlang längst vergessene Mitgliedschaften und Abos. Ein besonders bizarres will sie jetzt kündigen.

Das kann nur mir passieren, selber schuld. Ich guck ja nie rein. Manchmal öffne ich ihn nicht einmal. Und wenn, dann nur so flüchtig im Vorbeihuschen, auf dass das ganze Schlamassel nur tangential mein Bewusstsein streife. Ich trage da quasi Scheuklappen, wie bei anderen unangenehmen Themen auch. Trump, Erderwärmung, Gerümpel, Geld: Ibäh, bloß nicht mit befassen, sonst kriegt man soo 'n Hals!

Doch jetzt ist Jahresende und zum Jahresende neigt der Mensch zum Jahresabschluss. Er zieht Bilanz, und also holte ich Luft, öffnete das Kuvert und blickte Posten für Posten meinem Kreditkartenauszug tief in die Augen. Normalerweise hefte ich ihn unbesehen ab. Was Geld angeht, bin ich ein Gefühlsmensch. Meistens fühlt es sich mäßig an.

Und das liegt an dem, was da überm und unterm Strich schwarz auf weiß steht. Der Sozialspychologe Harald Welzer nennt es Reduktion der kognitiven Dissonanz, was ich da praktiziere. Man kann es auch paradox nennen oder total bekloppt: wenn man das dissonante Schrillen, das dadurch entsteht, dass Wirklichkeit und Illusionen nicht übereinstimmen, dadurch reduziert, dass man das Soll der Tatsachen einfach zum Haben der Wünsche rüberschiebt. Denn da stehen lauter Sachen, die ich nicht wahrhaben will. Für die ich nicht verantwortlich zeichnen will. Die da einfach weg sollen! Wie kommen die bloß da hin?

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So geht das in einem fort. Seitenlang.

Lauter echtes Geld, das ich eben mal rausgehauen habe, weil hier ein Klick: Filmgucken, da ein Klick: Musikhören, Klick: Autofahren, Klick: Textdrucken, Klick Klick Klick: Shoppen!!

Und jetzt kommt der Trick, den Tangentialphilosophen wie ich als Superpraktisches-affektives-Ablenkungsmanöver bezeichnen und bei den Scheuklappenthemen quasi durchgängig anwenden: Ich rege mich ganz schnell irrsinnig über die Anderen auf. Die dummen Amis mit ihrem Trump! Die hirnrissigen SUV-Fahrerinnen, Braunkohleförderer und Kuhfresser! Und, natürlich, meine pubertierenden Kinder! Die mit ihrer Daddelei mein ganzes Geld vom Konto wegsuchten per Playstationnetwork, Amazon Video, ItunesAbo und da, all diesen komischen Posten, die ich nicht mal in Augenschein nehmen möchte, weil ich mich sonst darum bemühen müsste, sie zu identifizieren und dann abzubestellen und das würde mich viel zu viel Zeit und Nerven kosten: eine Babbel-App, eine QStudio-App, eine Familytime-App und was ist denn das:

WWWABOALARMDE 1,75 ???

Alles Posten, die kosten und in meinem Kontoauszug liegen wie Leichen im Keller. Da geh ich auch nie hin. Und wenn – wie jetzt, um die Weichnachts-Deko hochzuholen –, nur mit Scheuklappen. Damit ich das ganze Gerümpel nicht sehen muss. Auf dass es im Oberstübchen umso schöner glitzere und flimmere! Und jetzt ganz schnell Frohe Weihnachten und a Happy New Year und Klickklickklick, Zosch, Bumm, Bähm zum nächsten Thema: GutevorsätzefürsneueJahr!

Einen habe ich schon ins Auge gefasst und die Identität von WWWABOALARMDE eruiert. Das ist ein Service, mit dem man ungeliebte Verträge kündigen kann. Den habe ich – ja: ich! – genutzt, um einen meiner gefühlt sieben Telekommunikationstarife zu kündigen. Und erfolgreich dissonanzreduzierend verdrängt, dass er was kostet. Abbestellen tu ich den dann im neuen Jahr. Echt!

Foto: Luna/Fotolia.de