Model ohne Beine

Die wenigsten Frauen wissen, dass Tampons ein tödliches Risiko bergen können. Auch das Model Lauren Wasser ahnte nichts - und verlor ein Bein. Dabei wäre die Abhilfe so einfach.

Das Problem: Immer wieder sterben Frauen am toxischen Schocksyndrom, der sogenannten Tamponkrankheit. Lauren Wasser verliert dadurch beide Beine.
Die Lösung? Tampons aus Bio-Baumwolle.

Lauren Wasser, 29, sieht man schon von weitem an, dass sie ein Supermodel ist. Die blonden Haare, die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen – auch ungeschminkt sieht die Kalifornierin aus, als könnte sie sofort aufs Titelbild. Schon ihre Mutter war 20 Jahre lang eine gefragte Kollegin von Cindy Crawford, und Lauren Wasser gab ihr Model-Debut im zarten Alter von zwei Monaten in der italienischen Vogue. Bis heute läuft sie regelmäßig über den Laufsteg, und nur wer genau hinsieht und wenn der Designer den Schock-Effekt liebt, sieht man unter der Couture das goldene Ersatzbein blitzen.

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Wasser erinnert sich mit Mühe an einen Herbsttag vor vier Jahren in Santa Monica. Da fühlte sie sich nicht gut, hatte Kopfschmerzen, dachte, sie bekäme eine Grippe. Außerdem hatte sie ihre Tage und kaufte eine Packung Kotex Tampons, wie jeden Monat. Dreimal am Tag wechseln – wie für fast jede Frau waren Tampons auch für Wasser normale Routine.

Das nächste, woran sich Lauren Wasser erinnert, ist, dass die Polizei an die Tür hämmerte und ihr blinder Cocker Spaniel Madison wild bellend auf ihrer Brust herumsprang. Wie lange sie in ihrer Wohnung lag, weiß sie nicht mehr. Ihre Mutter hatte aus Sorge die Polizei alarmiert, weil Lauren sich nicht meldete. Der Notarzt diagnostizierte 42 Grad Fieber, multiples Organversagen und einen massiven Herzinfarkt – wäre der Arzt nur wenig später gekommen, hätte Lauren Wasser nicht überlebt.

Im Krankenhaus machten sich die Ärzte auf die Suche nach der Ursache. Wie konnte eine 24 Jahre alte, blühend aussehende, gesunde Frau plötzlich in Lebensgefahr geraten? Aber ein Spezialist für Infektionskrankheiten fragte sofort: »Trägt sie einen Tampon?« Ja, trug sie. Den schickte der Arzt ins Labor und von dort bekam er die Diagnose: toxisches Schocksyndrom (TSS), auch Tamponkrankheit. Lauren Wasser war noch halb im Delirium, als sie die Ärzte diskutieren hörte, dass sie ihr rechtes Bein und die Zehen des linken Fußes wegen des Wundbrands amputieren müssten.

Wasser schrie, protestierte und weinte. Sie war nicht nur Model, sondern auch Sportlerin, spielte Basketball auf Turnieren: »Meine Beine bedeuteten mir alles.« Im Frühjahr dieses Jahres wird Wasser auch ihr zweites Bein amputieren lassen, weil sie die Schmerzen nicht mehr aushält.

   
Und seit der ersten Amputation ist sie auf einem Kreuzzug, andere Frauen über die Risiken von Tampons zu informieren. »Das ist nun meine Lebensaufgabe«, sagt sie. »Jede Medikamentenwerbung informiert über die Risiken und Nebenwirkungen, aber ich ärgere mich über Tampon-Werbungen, in der sorglose Teenager in Bikinis an Stränden tanzen.«

Jetzt mal ehrlich: Wie viele Leserinnen wissen, dass ein Tampon ein Gesundheitsrisiko sein kann? Wie viele lesen den Warnaufdruck auf der Tampon-Packung, der vor dem toxischen Schocksyndrom warnt?

Während Lauren Wasser davor warnt, Tampons über Nacht drinzulassen, sagen die deutschen Hersteller, das Risiko sei gering und das Problem sehr selten. Wer toxisches Schocksyndrom googelt, erfährt, das betreffe in Deutschland pro Jahr nur einen von 200.000 Menschen, in Amerika drei bis vier. Aber diese Zahlen können gar nicht stimmen, sondern sind grobe Schätzungen, denn TSS wird nirgendwo gemeldet oder gezählt. Keiner kann sagen, wie oft die Infektion zu lebensgefährlichen Komplikationen oder zum Tod führt, und wie oft sie als Ursache gar nicht erkannt wird. »Ich will einfach nur, dass Frauen sich dessen stärker bewusst sind, was sie in ihren Körper stecken«, sagt Wasser. »Wenn ich herumfrage, wer schon mal davon gehört hat, schütteln fast alle den Kopf. Dabei kann es innerhalb von fünf Minuten passieren, es kann dir bei deinem allerersten Tampon passieren, den du jemals benutzt.«

Die wenigsten Frauen wissen, dass viele kommerzielle Tampons Chemikalien und Plastik enthalten, vor allem die superabsorbierenden Tampons. Die wirken im warmen, feuchten Milieu wie eine Petrischale und lassen Bakterien wuchern, auch lebensgefährliche Staph-Bakterien oder Streptokokken, und das ausgerechnet in der Vagina, von der aus Bakterien und Schadstoffe in den Blutkreislauf absorbiert werden können.

Vor zwei Jahren machte ein dreizehn Jahre altes Mädchen in London Schlagzeilen, das durch die Tamponkrankheit starb. Auch Diaphragmen oder Menstruationskappen können Brutstätten sein.
Ärzte raten: Händewaschen, Tampons alle vier bis fünf Stunden wechseln, über Inhaltsstoffe informieren. Hätte Lauren Wasser zumindest von dem Risiko gewusst und wäre bei den ersten, grippeähnlicen Symptomen gleich zum Arzt gegangen, hätte sie die Infektion vermutlich in den Griff bekommen. Aber weil sie davon noch nie gehört hatte, tippte sie auf eine Grippe und legte sich – mit Tampon – ins Bett.

Wasser meint, es werde so getan, als seien diese Komplikationen unheimlich selten, aber durch ihre Kampagne hört sie täglich von neuen Fällen. »Es betrifft Tausende«, sagt sie. »TSS tötet und schädigt Frauen seit mehr als 30 Jahren. Stell dir das vor. Wie viele müssen sterben, bevor sich etwas ändert?«

Tatsache ist, dass das Problem viel zu wenig erforscht ist. Das beginnt schon bei der Frage: Welche Chemikalien stecken überhaupt in Tampons? Seit 1998 kämpft die amerikanische Kongressabgeordnete Carolyn Maloney dafür, dass Robin-Danielson-Gesetz durchzubringen, benannt nach einer Frau, die an TSS gestorben ist. Das Gesetz verlangt einfach, dass die Hersteller alle Inhaltsstoffe von Hygieneprodukten und ihre Wirkung offenlegen müssen. Es wurde bisher zehn Mal abgeschmettert.

Das gefährlichste Produkt, einen superabsorbierender Tampon aus Polyester namens »Rely«, hat Procter & Gamble nach zahlreichen Zivilklagen vom Markt genommen, aber ansonsten hat sich die Tampon-Industrie von diesen Todesfällen erstaunlich wenig beeindrucken lassen. Die Hersteller drucken eine Warnung auf die Packung, wie bei Zigarettenschachteln, und das war's.

Dabei wäre Abhilfe so einfach: Tampons aus 100 Prozent Bio-Baumwolle sind erwiesenermaßen sicherer.