Warum progressive Modeschöpfer spinnen

Spinnenseide ist ein Wunderfaden. Doch um sie zu gewinnen, mussten bislang unzählige Spinnen sterben. Findige Startups arbeiten daran, den Stoff im Labor herzustellen – und so die Kleiderproduktion zu revolutionieren.

Das Problem: Fast alle Kleidung wird aus umweltschädlichen Materialien oder mit umweltschädlichen Methoden hergestellt.
Die Lösung: Spinnenseide ohne Spinnen.

Erinnern Sie sich an die Szene aus »Spiderman 2«? Wo der Superheld eine New Yorker U-Bahn zum Halten bringt, indem er sein Netz über die Schienen spannt? Das ist mehr als Hollywood-Garn: Die Fäden mancher Spinnen, etwa der Radnetzspinne, sind tatsächlich so stark, dass sie sogar einem Hurrikan standhalten könnten.

Spinnenseide hat erstaunliche Eigenschaften. Mit Spinnenseide umgarnte Brust- und Hüftimplantate sind leichter verträglich, Spinnenseide ist widerstandsfähiger als Stahl, zehn Mal belastbarer als der Kunststoff Kevlar und von Natur aus steril, denn sie bietet Bakterien keine gute Heimat. Spezialisten wie der Bayreuther Professor Thomas Scheibel hoffen sogar, dass sie eines Tages mit Spinnenseide beschädigtes Herzgewebe wiederherstellen können.

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Aber es kostet ein Vermögen, viel Zeit und viele Tierleben, sie zu gewinnen. Denn die Spinnen müssen einzeln gemolken werden. Für ein einziges Kleid aus Spinnenseide müssten laut Peta etwa 50.000 Seidenraupen ihr Leben lassen. Deshalb arbeiten Biotechniker seit Jahren daran, Spinnenseide im Labor herzustellen. Und sie glauben, das Geheimnis von Spiderman nun geknackt zu haben: Seit die Gensequenz des Seidenproteins entschlüsselt wurde und die genetische Information in Bakterien und Pflanzen eingebaut werden kann, sind sie damit zunehmend erfolgreich. Für Herzgewebe reicht es noch nicht ganz, aber immerhin schon für Haute Couture.

An dem fließenden, goldfarbenen Kleid aus Spinnenseide, das Stella McCartney für das New Yorker MoMA entworfen hat, war keine einzige Spinne beteiligt. Die Seide sieht aus und fühlt sich an wie echte Seide, wurde aber im Labor hergestellt, mit manipulierten Bakterien. Stella McCartney ist bekanntlich Veganerin, die niemals Leder, Pelze oder Federn in ihrer Mode verwendet, und das schon seit 20 Jahren, lange bevor es trendy war. »Dieses Material wird die Zukunft der Mode«, begeistert sich McCartney. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir mit dieser Technologie die Mode revolutionieren, denn die Modeindustrie ist eine der schädlichsten Industrien auf unserem Planeten.« Die Hälfte ihrer Kollektionen sind aus nachhaltigen Materialien, das schafft derzeit kein anderer renommierter Designer auch nur annähernd.

Für ihre Verwendung von Seide wurde die Designerin bisher allerdings von Tierschützern als »Heuchlerin« kritisiert. Nun kreiert sie mit der »Mikroseide« des kalifornischen Biotech-Startups Bolt Threads Haute Couture, für die kein Tier leiden musste. Noch dazu ist die Spinnenseide aus dem Labor biologisch abbaubar: Sie besteht schlicht aus Eiweiß. So wie die Spinne ihr Netz auffrisst, so kann die Natur auch die künstliche Spinnenseide einfach verdauen.

Wenn Sie in das Etikett Ihrer Kleidung schauen, steht da in den meisten Fällen Polyester oder Nylon. Die synthetischen Fasern sind billig, praktisch und dehnbar - und sie überleben in der Mülldeponie oder im Ozean gut 200 Jahre. Multipliziert mit den 80 Milliarden Kleidungsstücken, die die Menschheit jedes Jahr benutzt, ergibt das einen Müllberg aus alten Hosen und Billig-T-Shirts, der bis zu den Lebzeiten meiner Großenkel nicht wieder abgebaut ist.

Kein Wunder, dass sich die modernen Alchemisten wie Bolt Threads als Vorreiter einer neuen ökologischen Mode positionieren. Paypal-Gründer Peter Thiel hat mehr als 90 Millionen Dollar investiert, und der Outdoor-Ausstatter Patagonia hat Bolt Threads angeheuert, um die erste Luxuskollektion aus Biotechseide zu produzieren. Der Konkurrent North Face dagegen hat mit dem japanischen Startup Spiber den »Moon Parka« vorgestellt, eine Jacke, die mit synthetischer Spinnenseide beschichtet ist.

Aber auch ein bayerisches Startup ist schon ziemlich weit: Amsilk in Martinsried bei München, eine Ausgründung der TU München, über die die SZ schon öfter berichtet hat.

Amsilk manipuliert Kolibakterien, damit sie Eiweiß produzieren, das sich dann getrocknet wie Seidenpulver in Kleidung, Medizinprodukten und sogar Hautcremes nutzen lässt. Aus dem Pulver kann man Seidenfasern herstellen und daraus Seidenfäden spinnen. Adidas hat aus der synthetischen Amsilk-Seide einen Schuh gestrickt. Sein größter Vorteil: Er ist nicht nur stabil, sondern wie Stella McCartneys Mode ebenfalls hundertprozentig biologisch abbaubar. Ein normaler Turnschuh dagegen verschluckt im Durchschnitt sechs Liter Petroleum. Amsilk nennt die Seide »Biosteel«, also Biostahl, weil sie so geschmeidig und gleichzeitig so fest ist, dass, siehe oben, sogar Spiderman damit einen Zug aufhalten könnte. »In einigen Jahren«, glaubt der Geschäftsführer Jens Klein, »finden Sie unsere Produkte in jeder Sport- und Kosmetikabteilung.«

Die einzigen Spinnen, die mit dem Schuh in Berührung kamen, sind die, die die Putzkolonne in der Ecke der Fabrik übersehen hat.

Foto: Bolt Threads