"Die Arbeitszeiten sind sehr mütterfeindlich"

Wer Konzerne und Vereine organisieren kann, schafft eine Familie mit links. Sollte man meinen. Vier Spitzenmanager über ihre Fähigkeiten als Väter und Gatten.

SZ-Magazin: Herr Hartmann, welche Position kann eine Frau allenfalls am Theater bekleiden, wenn sie der Kinder wegen Teilzeit arbeiten möchte?
Matthias Hartmann: Jede außer der Intendanz. Eine Teilzeitintendanz – das geht einfach nicht.

Wie reagieren Sie, wenn eine Mitarbeiterin Ihnen sagt, sie möchte weniger arbeiten?
Ich finde Kinder am Theater toll. Eine junge Mutter spielt als Schauspielerin dann eben nicht mehr in drei Stücken, sondern nur in einem. Das Gleiche gilt für die Kostümbildnerin, die Dramaturgin, die Souffleuse…

Am Theater sind die Arbeitszeiten sehr mütterfeindlich, tagsüber wird geprobt, abends und am Wochenende gespielt.
Bei uns gibt es wahnsinnig viele Mütter. Natürlich ist es sehr anstrengend, wenn man Theater und Kind unter einen Hut bringen will, andererseits ist das Theater flexibel und die Menschen sind tolerant.

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Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag?
Ich zähle die Stunden nicht. Wenn ich Regie führe, dauern die Abendproben bis zehn, halb elf. In den Monaten ohne Proben treffe ich fast jeden Abend Autoren, Dramaturgen und Bühnenbildner bei mir zu Hause. Wir erfinden Konzepte und reden bis tief in die Nacht. Nach jeder Vorstellung schickt mir der Regieassistent eine SMS, wie es gelaufen ist. Vorher ist an Schlaf sowieso nicht zu denken.

Was machen Sie regelmäßig mit Ihren Kindern?
Wenn ich nicht inszeniere, bringe ich sie abends ins Bett. Wir erzählen uns den Tag und beten zusammen. Dabei entsteht eine innige Atmosphäre, das ist mir als Ritual sehr wichtig. Außerdem bin ich zuständig fürs Kasperltheater, für die Kinderoper und für Zoobesuche. Oft kompensiere ich den Mangel an Zeit damit, dass ich großzügig bin, nicht immer zur Freude meiner Frau.

Sagen Sie: Ich sehe meine Kinder nicht häufig, dafür intensiv?
Vor einer Premiere kann es sein, dass ich die Kinder zwei, drei Wochen nicht sehe, obwohl ich mit ihnen unter einem Dach wohne. Ich schleiche dann nachts ins Kinderzimmer und gucke in ihr Bettchen. Und natürlich sind wir dann in den Ferien und am Wochenende zusammen.

Halten Sie sich für einen guten Vater?
Ich frage meine Frau so wahnsinnig gern über die Kinder aus, dass ich manchmal überlege, ob ich das Erzählen über die Kinder vielleicht mehr genieße als die Zeit mit den Kindern selbst. Natürlich liebe ich sie über alles, das genetische Programm funktioniert. Trotzdem glaube ich nicht, dass ich das Beste bin, was meinen Kindern passieren konnte. Diese Rolle kann ich auch vor meinen Kindern nicht spielen.

Was machen Sie in Ihren Augen falsch?
Ich bin extrem ungeduldig. Dass meine ältere Tochter bei allen Spielen immer neue Regeln erfindet, macht mich beispielsweise wahnsinnig. Ich habe eine Eigenschaft von meinem Vater geerbt: Er war ein Mensch, der sich immer Sorgen machte. Jetzt bin ich 44 und stelle die gleiche Unruhe bei mir fest. Ich kann nachts oft nicht schlafen, frage mich, ob es den Kindern gut geht, ob die Türen abgeschlossen sind, die Steckdosen sicher – furchtbar… Was mir wirklich wichtig ist: Die Kinder sollen wissen: Papa ist eine Burg. Auf den kann man sich verlassen.

Machen Sie Hausarbeit?
Neuerdings koche ich sehr gern, wenn es die Zeit zulässt.

Welchen Beruf hat Ihre Frau?
Regisseurin. Im Moment übt sie ihn nicht aus, dabei arbeitet sie wie ein Berserker: Drei Kinder kurz hintereinander, das ist ungeheuer anstrengend. Meine Aufgabe ist es, dass meine Frau bei der Arbeit im Haus entlastet wird, das ist der Deal. Die Verabredung lautete – schon beim ersten Kind –, dass ich aufhöre zu rauchen und sie Unterstützung durch eine Haushälterin bekommt. Dass sie wieder inszenieren will, ist klar. Da ist eine große Sehnsucht bei ihr.

Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Frau inszeniert und Sie zu Hause bleiben?
Nein, das geht nicht bei meinen Aufgaben als Intendant am Schauspielhaus in Zürich und bald am Burgtheater in Wien.

Kennen Sie einen Mann in einer Top-Position, der wegen seiner Kinder seine Arbeit aufgegeben hat?
Nein.

Haben Sie manchmal Streit mit Ihrer Frau, weil sie findet, Sie arbeiten zu viel?
Da meine Frau denselben Beruf hat wie ich, weiß sie, was los ist. Das Leben, das wir uns gewählt haben, ist unsere gemeinsame Entscheidung gewesen. Und wir hadern jetzt nicht mit dem gewählten Schicksal.

Zwacken Sie im entscheidenden Moment Zeit von der Familie ab und nicht von Ihrem Job, weil Sie wissen, zu Hause ist jemand, der sich kümmert?
Ja. Dass das mit einer gerechten Arbeitsteilung funktioniert, glaube ich nicht.

Beruhigt es Sie zu wissen, Ihre Frau ist hauptberuflich zu Hause?
Zu wissen, den Kindern geht es gut, ist natürlich toll. Dass ich ein schlechtes Gewissen meiner Frau gegenüber habe, ist auch logisch. Aber ich entspreche schon dem absoluten Klischee – und auf das wollen Sie doch hinaus.

Haben Sie noch Zeit für sich?
Abends, wenn meine Frau und ich unser immenses Pensum abgewickelt haben, fragen wir uns manchmal: Wann findet eigentlich unser Leben statt? Ist das dann, wenn wir beide abgehetzt und die Kinder im Bett sind? Im Urlaub? Immerhin, ich habe ein Boot, mit dem fahre ich im Sommer auf dem Zürichsee. Dann brettere ich mit 70 km/h über das Wasser, meine Frau übrigens auch. Alles, was mit Geschwindigkeit zu tun hat, macht mir Spaß.

Wovon träumen Sie, wenn Sie Zeit dazu haben?
Ich habe so eine Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben. Ich lebe in einer schizophrenen Situation: Unter meinen Freunden sind untypischerweise viele Ärzte, Juristen, Banker. Wenn ich mit denen in ihren Vorstadtvillen zusammensitze und den Weinkeller leer trinke, muss man nicht in jeder Sekunde die Abgründe der menschlichen Seele ausleuchten, dann mache ich mir die Illusion, dass ich auch ein normaler Mensch sei. Aber im Theater funktioniert das nicht, denn ohne Schmerz entsteht kein kreativer Prozess. Am Theater kratzt man sich die Seele wund.

Matthias Hartmann, 44. Intendant des Zürcher Schauspielhauses und ab 2009 des Wiener Burgtheaters, drei Kinder (zwischen 10 Monate und 4 Jahre).

Foto: Thomas Schuppisser

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