Die Gewissensfrage

»Eine Freundin von mir führt seit vielen Jahren den Haushalt eines älteren Ehepaars. Vor einiger Zeit half ich ihr beim Putzen. Im Arbeitszimmer des Hausherrn stieß ich in einer schwer einsehbaren Ecke auf ein Porträt von Adolf Hitler. Ich staubte es nicht ab, was bestimmt niemandem auffallen wird. Ich aber frage mich seitdem, ob es korrekt war, das Hitler-Bild nicht zu reinigen, da ich ja für das Staubwischen bezahlt wurde. Um Unstimmigkeiten zu vermeiden, habe ich nicht mit den Hausbesitzern über den Vorfall gesprochen.« HILDEGARD K., München

Das Entstauben von Hitler-Bildern birgt erhebliche Risiken: Der letzte weithin bekannt gewordene Versuch erschütterte vor 25 Jahren die Illustrierte Stern, als man dort meinte, wegen der später als Fälschung entlarvten Hitler-Tagebücher müsste nicht nur der Führer selbst in ein neues Licht gerückt, sondern gleich ein großer Teil der deutschen Geschichte umgeschrieben werden. Ihre Entdeckung in der Schmuddelecke hingegen hat lediglich die Arbeitgeber Ihrer Freundin in ein neues, unschönes Licht gerückt.

Das scheint mir zur Lösung Ihrer Frage hinzuführen, die eigentlich in zwei Richtungen zielt: Hätten Sie Ihren Job machen sollen? Oder hätten Sie umgekehrt den Hausherrn zur Rede stellen sollen, was ihn dazu bewogen hat, sich das Bild eines Massenmörders über den Schreibtisch zu hängen? Tatsächlichen Klärungsbedarf sähe ich, wenn Sie nicht nur einmalig im Haus tätig wären. Für mich wäre es entscheidend für den Verbleib an einem Arbeitsplatz, ob der Chef eine intolerable politische Einstellung aufweist oder nur einen schlechten Humor. Und Sie als Aushilfe? Ob Sie noch einmal dort einspringen wollen, können Sie sich gut überlegen. Strafbar macht sich der Hausherr mit der eigenwilligen Dekoration seiner Privaträume nicht, deshalb würden Sie mit dem Polieren auch keine kriminelle Beihilfe leisten; dennoch lagen Sie meines Erachtens völlig richtig mit Ihrer Weigerung, falsche Glanzpunkte zu setzen. Pflichterfüllung mag eine Tugend darstellen, als sogenannte Sekundärtugend ersetzt sie jedoch keine Werte und Überzeugungen. Wenn Sie diese wie hier verletzt sehen, scheint mir Ihre fast schon schwejkesk anmutende minimale Variante von zivilem Ungehorsam keinesfalls übertrieben. Ob eine klare Unmutsäußerung irgendetwas bewirkt hätte, kann man nicht sagen, fehl am Platze wäre sie allerdings auch nicht gewesen.

Illustration: Jens Bonnke

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