Alles beim Alten

Gleichberechtigung? In Deutschland? Soll das ein Witz sein?

Von Gleichberechtigung kann in Deutschland keine Rede sein. Wer das Gegenteil behauptet, geht den Männern auf den Leim:
45 Prozent von ihnen behaupten, »Männer und Frauen sind in der heutigen Arbeitswelt gleichberechtigt« – aber nur 14 Prozent der Frauen. Selbst die färben die Tatsachen noch schön. In Wahrheit nämlich ist ihr Anteil im Topmanagement deutscher Großunternehmen im vergangenen Jahr sogar zurückgegangen, von 7,5 auf 5,7 Prozent. Und bis heute sitzt in den größten börsennotierten deutschen Unternehmen, den Dax-30-Konzernen, keine einzige Frau im Vorstand. Wer von Gleichberechtigung spricht, meint also die »gefühlte Gleichberechtigung«.

Dass Frauen in den Medien zurzeit so sein Thema sind, mag daran liegen, dass diese vollkommen unterschiedliche Einschätzung der Chancen eine gesellschaftliche Reibung erzeugt, die irgendwann ihren Weg in die Öffentlichkeit findet; die Menschen bei
Maischberger
diskutieren, ob Frauen weniger wert sind, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung fragt sich, warum Frauen keine Start-ups gegründet haben oder wenigstens in einer Garage ein Computersystem; Spiegel Spezial widmet dem »starken Geschlecht« ein ganzes Heft. Es gibt Bücher, die heißen Wir Alphamädchen oder Neue deutsche Mädchen, in denen berichten Frauen, dreißig und jünger, sehr emotional, sehr ehrlich, wie Frauen eben sind, dass sie sich unabhängig und stark fühlen, frei entscheiden wollen, ob Kind oder Karriere oder beides. Und spätestens im dritten Absatz steht, dass sie Alice Schwarzer zwar viel zu verdanken haben, aber ihre Art zu denken heute doch ein bisschen verbiestert und altmodisch daherkomme. Und irgendwie beschleicht einen bei all der Lektüre das Gefühl: Freundinnen, ich kenne euch schon so lang, mindestens seit 1994. Hat sich denn gar nichts geändert?

Da nanntet ihr euch Girlies oder wurdet so genannt, aber die Fotos damals im Jugendmagazin Jetzt mit den Schottenröcken und dem selbstbewussten Blick in die Kameras ähneln denen der Alphamädchen von heute frappant. Damals wie heute glauben sie an sich selbst und dass alles gut wird mit der Emanzipation und auch mit den Jungs. Dass Mädchen schlauer sind als Jungs, besser in der Schule und den Unis, darüber brauchen wir Gott sei Dank gar nicht zu mehr reden. Wenn nur die Hälfte von dem, was die Girlies damals forderten, eingetreten wäre, dann müsste es heute in den Chefetagen von Alphafrauen nur so wimmeln – oder wenigstens von
drei-, vierhundert Manager-Girlies.

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Kann es daran liegen? Frauen unter dreißig sind überzeugt, dass ihnen neben vielem anderen auch eine große Karriere offen stünde – vorausgesetzt, sie wollten. Frauen über dreißig klingen sehr viel resignierter. Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, Jahrgang 1970, schreibt in ihrem Buch Schwestern. Streitschrift für einen neuen Feminismus: »Die Retro-Apostel haben wieder Oberwasser, zumindest an der Geschlechterfront.« Und Barbara Bierach, eine kluge Autorin, die den Bestseller mit dem ziemlich dämlichen Titel: Das dämliche Geschlecht geschrieben hat, sagte zum Manager-Magazin: »Die Emanzipationsbewegung war eine der spannendsten Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts, aber jetzt ist das alles zum Stillstand gekommen.« – »Also Moooment mal«, so fängt ein seit drei Jahren oft gehörter Satz an, »wir haben doch jetzt eine Bundeskanzlerin!« Ja, haben wir. Liberia und Chile haben auch eine Regierungschefin. Selbst Pakistan ist uns weit voraus. Als Benazir Bhutto 1988 zum ersten Mal Premierministerin wurde, war Angela Merkel noch Kreisleitungsmitglied der FDJ in Ostberlin. Irgendwo auf dem langen Weg von den starken Mädchen in der Schule bis zu Kohls Mädchen, der heutigen Kanzlerin, gehen die Frauen in Rudeln verloren. Ärgert das überhaupt jemanden?

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Von Gleichberechtigung kann in Deutschland keine Rede sein. Wer das Gegenteil behauptet, vergisst, dass der Wind sich gedreht hat.
Stark in Richtung Konservativismus. Was viele schon länger beobachten, wurde jetzt durch eine Studie des Deutschen Wirtschaftsinstitutes belegt: Die Angst vor dem sozialen Abstieg hat nun auch die Mitte der Gesellschaft erreicht. Und wie immer, wenn die Zeiten schlechter werden, erleben einfache Antworten eine Renaissance: Männer sind die Ernährer. Und Frauen Mütter, die zu Hause bleiben sollen. Nun können sich viele den Luxus nicht leisten, auf das Einkommen der Frau zu verzichten. Manche jedoch schon.

Es mag eine verschwindend kleine Schicht sein, aber eine, die Vorbildfunktion hat, jene, die sich abgrenzen will von denen da unten: die ganz da oben. In Kreisen, in denen die Mädchen Assunta und Philippa heißen, halten es Frauen mit einer internationalen Spitzenausbildung inzwischen wieder für erstrebenswert, zu Hause zu bleiben und auf den Rat ihres Frauenarztes zu hören, die Kinder nicht nur ein halbes, sondern ein ganzes Jahr zu stillen. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass im Wort Stillstand auch das Wort stillen steckt.

Die Zeiten sind zurück, in denen man alles auf die Biologie und auf die natürliche Bestimmung schiebt. In ihrem Bestseller The Sexual Paradox behauptet die kanadische Psychologin Susan Pinker, es seien eben doch die Hormone, die Frauen den Weg in die Chefetagen blockierten. Männer produzieren viel mehr Testosteron als Frauen, das steigere deren Leistungswillen und die Lust am Wettbewerb, an Aufstieg, Macht und Geld. Susan Pinker hat aber auch Trost für die Frau parat: »Sie hat einen Vorteil gegenüber dem Mann beim Einfühlungsvermögen und bei der sozialen Vernetzung.« Darauf ein Eierlikörchen, oder?

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Von Gleichberechtigung kann in Deutschland keine Rede sein. Wer das Gegenteil behauptet, der vergisst, dass Mütter in der Ideologiefalle sitzen.
Unsere Nachbarinnen in Dänemark, Holland oder Norwegen würden sich auf die Schenkel klopfen, widmete sich ihr wichtigstes politisches Magazin seitenlang
der Frage, ob es Kindern in Krippen gut gehe oder ob sie doch als Terroris-ten endeten, weil ihren Rabenmüttern die Karriere wichtiger sei. Der Spiegel jedenfalls schreibt im Jahr 2008 elf Seiten darüber.

Wenn überhaupt, so die allenfalls noch akzeptierte Meinung, dürfe eine Mutter nur Teilzeit arbeiten. Aber wer Teilzeit arbeitet, dessen Karriere holpert, der verdient auch nur Teilzeitlohn und bekommt nur Teilzeitrente. Frauen und Altersarmut – da rollt bald ein großes Thema auf uns zu. Das Schlimme dabei: Frauen, die versuchen sich halbwegs nüchtern diesen emotional aufgeladenen Themen zu nähern, haben mit zwei Feinden zu kämpfen – Männern. Und Frauen. Mit denen eigentlich noch mehr. Wenn Bischof Mixa Ursula von der Leyens Pläne, die Zahl der Krippenplätze zu verdreifachen, mit den Worten kritisiert, Frauen würden dadurch zu »Gebärmaschinen« degradiert, dann fallen die Frauen in der Mehrzahl nicht etwa über den Bischof her, sondern schlagen sich die Köpfe ein bei der Frage, ob er nicht vielleicht recht hat. Wer zwei Mütter in ein Zimmer sperrt, die eine berufstätig, die andere nicht, kann von zehn runterzählen, bis die Fetzen fliegen. Die Männer stehen dabei vor der Tür und klatschen sich feixend ab. Super, wieder mal gut rausgekommen aus der Nummer. Denn die Frauen haben versäumt, die Männer in die Pflicht zu nehmen. »Auch Männer können putzen«, sagt die Buchautorin Claudia Pinl. Aber sie tun es nicht. Vielleicht weil sie wissen, dass »Frauen, die von Männern ein hohes Maß an Beteiligung fordern, nur geringe Chancen auf dem Zeugungsmarkt« haben, wie Meike Dinklage in ihrem Buch Der Zeugungsstreik schreibt. Wer den Geburtenrückgang den Frauen in die Schuhe schiebt, sollte auch mal von den Männern reden, die diese Kinder vielleicht nicht zeugen wollen.

Nun werden jene, die Kinder gezeugt haben, an dieser Stelle die neuesten Zahlen hoch halten, wonach seit der Einführung des Elterngeldes der Anteil der Männer, die Elternzeit nehmen, von 3,3 auf zehn Prozent gestiegen sei. Nur: Sie tun es in der Regel bloß zwei Monate. Sybille Hartmann, die 1994 als eine der Ersten einen Teilzeitjob im Management des Lebensmittelskonzerns Unilever durchgesetzt hat, sagte der Zeit: »Ich kann es nicht mehr hören, wenn beklagt wird,
dass so wenig Frauen im Management sind. Es muss heißen: wieder kein Mann in Elternzeit.«

Ein Kind und einen Topjob unter einen Hut zu bringen verlangt ein Höchstmaß an präziser Organisation – für eine Frau. Solange Kinder aber als romantisches Projekt behandelt werden, werden Frauen wie Giftschlangen angefaucht: Kaum schwanger, schon will sie das Baby wegrationalisieren!

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Von Gleichberechtigung in Deutschland kann keine Rede sein. Wer das Gegenteil behauptet, vergisst, dass Frauen der Stallgeruch fehlt.
Inzwischen haben ja vierzig Prozent der Akademikerinnen kein Kind und hätten Zeit, um haufenweise ins Topmanagement vorzudringen. Fehlanzeige. Männer wollen lieber unter sich bleiben. »In den Chefetagen sitzen seit Generationen Männer, und die suchen ihresgleichen«, sagt der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann, der Eliten erforscht. »Maßgeblich dafür, ob man glaubt, jemandem vertrauen zu können, und damit auch für die Entscheidung, ob diese Person als Vorstandskollege akzeptiert wird, ist letztlich der Habitus der Person. Männliche Eliten wollen habituelle Ähnlichkeit, sie suchen also wiederum männliche Eliten. Und Frauen passen nun mal nicht in dieses Muster.«

Die Berliner Soziologin Hildegard-Maria Nickel hat eine Fallstudie in einer Bank durchgeführt, in der siebzig Prozent Frauen arbeiten – in der Führungsetage aber kaum eine. Einer der befragten Chefs sagte ihr: »Frauen in diesen Positionen haben schon schwer zu kämpfen gegen die Kumpanei der Männer. Männer gehen nach Sitzungen noch zu einem Edel-Italiener, ja, Männer trinken Bier, trinken Schnaps, sie trinkt ihren Wein, schon ist sie draußen.«

Und manchmal gehen Männer auf einer Geschäftsreise noch zu Prostituierten.

Andreas Lebert ist Chefredakteur der Brigitte. Er sagt: »Da beschäftigen wir uns jahrelang damit, wie Frauen es ganz nach oben schaffen können, betrachten das Thema aus allen Blickwinkeln. Dann kommt die VW-Affäre ans Licht, die vielen Lustreisen mit den brasilianischen Prostituierten, und alles wurde von oberster Stelle gedeckt. Plötzlich wurde mir klar, dass in einem solchen System schon eine einzige Frau genügen würde, um alle Spiele zu verderben. Wenn man Frauen nach oben befördert, müssen sie irgendwann mit auf Geschäftsreise. Dann wird’s aber schwierig.«

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Von Gleichberechtigung in Deutschland kann keine Rede sein. Wer das Gegenteil behauptet, vergisst, dass Frauen die Preise verderben.
Frauen studieren nämlich das Falsche und somit das schlechter Bezahlte: Geisteswissenschaften oder Lehramt statt Informatik, Architektur statt Maschinenbau, Biologie und Chemie statt Physik. Drängen sie aber in Berufe, die früher Domänen der Männer waren wie Jura oder Journalismus, sinken die Gehälter und im selben Zug das Prestige rasant. Man muss nur die Verweiblichung des Arztberufes betrachten, um zu begreifen, wie sehr ein ganzer Berufsstand durch Frauen entwertet wird: Bereits 40 Prozent der Ärzte in Deutschland sind Frauen und 63 Prozent der Studienanfänger in der Medizin weiblich. Niedergelassene Ärztinnen verdienen im Jahr durchschnittlich 78 000 Euro, ihre männlichen Kollegen 128 700 Euro, schreibt das Deutsche Ärzteblatt. Im Krankenhaus sieht es nicht viel anders aus. »Viel Arbeit, große Verantwortung, wenig Geld – das spricht sich herum«, sagt Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Ärztekammer Bremen. Und von der Familienforscherin Gisela Erler stammt der Satz: »Je näher eine Arbeit am Menschen verrichtet wird, desto billiger wird sie.« Je abstrakter, je technischer, desto teurer wird Arbeit bezahlt. In diese Nischen ziehen sich die Männer zurück. Männer forschen, Frauen behandeln die Patienten, Männer werden Chirurgen, Frauen heilen. Und lassen sich abspeisen für lau.

Aber egal ob Ärztinnen oder Obstverkäuferinnen, Frauen kämpfen viel weniger um bessere Löhne als Männer. Eine gängige Antwort lautet, weil Geld ihnen nicht so wichtig ist, sie es zum Leben brauchen, jedoch nicht, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern; eine andere: Frauen scheuen Risiken, gründen deshalb seltener Unternehmen; sind sie angestellt, verzichten sie auf variable Gehaltsbestandteile und bevorzugen ein höheres Fixum; eine dritte Begründung: Frauen wechseln seltener den Arbeitgeber, dadurch fallen die Gehaltssprünge geringer aus. Man kann einem Mann, der Geld verdienen will, nur raten, eine Firma zu suchen, in der wenige Frauen in der Führungsebene arbeiten. Denn da wird gut bezahlt.

Aus all diesen Gründen verdienen Frauen nur 67 Prozent von dem, was Männer für die gleiche Tätigkeit bekommen. Wenig Geld für viel Arbeit, das kennen Frauen – aus dem Haushalt. Im Job verlangen sie auch nicht viel für sich. Und noch dazu sitzen sie in der »Fleißfalle«. Annette Anton, Programmleiterin des Campus Verlags und Autorin des Buches Raus aus der Mädchenfalle, sagt: »Junge Frauen sind strebsam und hoffen, dass ihr Chef dies bemerkt und sie mit Beförderung und Gehaltserhöhung belohnt.« Frauen warten am Schreibtisch darauf, entdeckt zu werden. Männer dagegen gehen zum Chef und erzählen von ihren tollen Erfolgen. Frauen aber zweifeln an ihren Leistungen, weil es zu ihrer Grundausstattung gehört, die Schuld bei sich zu suchen.

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Von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Wer das Gegenteil behauptet, ignoriert, dass Frauen sich von ihrem Beruf anderes erwarten als Männer.
Die Berliner Soziologin Hildegard-Maria Nickel sagt: »Männliche Machtstrukturen fordern extensive Arbeitszeiten und permanente Präsenz.« Nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Prinzip, sonst könnte ja einer den anderen unbeobachtet überholen. »Frauen aber stellen sich die Sinnfrage: Was habe ich sonst noch vom Leben?« Es muss doch mehr zu bieten haben als asoziale Arbeitszeiten, permanenten Wettkampf und Hamsterrad.

Wer behauptet, Frauen in Deutschland sind gleichberechtigt, wird in zehn bis 15 Jahren recht bekommen.
Die Brigitte-Studie Frauen auf dem Sprung belegt dies eindeutig. Spätestens dann wird der Geburtenrückgang so dramatische Auswirkungen zeigen, dass die Wirtschaft es sich nicht mehr leisten kann, auf 50 Prozent ihrer besten Kräfte zu verzichten. Mehr noch: »Diese Frauen werden die Gesellschaft wach rütteln«, sagt Jutta Allmerdinger, die Leiterin der Studie. Und das Schöne daran: »Die Frauen von morgen werden nicht die Männer von heute sein.« 

Mitarbeit: Sabine Magerl