Revanche einer Unverstandenen

Seit dem Skandal um ihren Debütroman »Axolotl Roadkill« denken viele, dass sich in Helene Hegemanns Leben alles um Sex und Drogen dreht. Nun hat sie den Roman verfilmt, um mit den Vorurteilen aufzuräumen – ein bisschen.

    Helene Hegemann sitzt auf dem Beifahrersitz, ihre Schriftstellerkollegin Nora Bossong sitzt auf der Rückbank des Wagens, der beide zur Lesung bringen soll. Die Sonne blitzt immer wieder ins Auto, wenn die Dächer der Häuser eine Lücke freigeben. Beide Frauen haben die Fenster geöffnet. Man hört Motorräder in der Ferne bremsen und anfahren, es ist warm, die Leute an der Ampel sprechen Französisch. Die Autorinnen wurden vom Goethe-Institut für eine Lesung nach Nancy eingeladen. Hegemann mag Einladungen ins Ausland, da kennt sie keiner, da wurden über sie noch keine Urteile gefällt. Da muss nicht alles aufgearbeitet werden: der Skandalroman mit Parties, Sex und Drogen und auch nicht die anschließenden Plagiatsdebatte, in der es darum ging, dass die Autorin auf 21 Seiten Wörter und Szenen vom Autor Airen übernommen hatte.

    Trotzdem sprechen die beiden Autorinnen über die Rezeption ihrer Arbeit. Hegemann erzählt, wie sie die Kritik an ihrem Debüt Axolotl Roadkill erlebt hat. Nora Bossong gibt einen Tipp: Hegemann soll ab sofort nur noch Lyrik schreiben. Sie selbst habe damit gut Erfahrungen gemacht. »Zu egal, um es zu verreißen.« Sie lachen. Aber Hegemann ist das Thema ziemlich ernst. Ob die Aufregung ihr nicht auch genutzt habe? Hegemann sieht das anders. Sie fühlt sich seit dem Debüt und der Debatte darum missverstanden. Ihr Anliegen wurde nicht erkannt, ihre Figuren falsch gedeutet und sie selbst arg reduziert.

    Wer ist also diese Frau, die mit 17 Jahren einen Debütroman vorlegt und ihn mit 25 in die Kinos bringt, um mit den Missverständnissen aufzuräumen? Helene Hegemanns Eltern lernen sich am Theater kennen. Der Vater ist Dramaturg, die Mutter Praktikantin beim Bühnenbild. Helene wird 1992 geboren, in Freiburg im Breisgau, sie kommt zu früh auf die Welt, verbringt die ersten anderthalb Monate im Brutkasten. Die Ärzte befürchten eine Leukämie-Erkrankung bei der Neugeborenen. Aber Helene Hegemanns Eltern glauben dem Befund nicht. Sie sind sich einig, dass das schlichtweg nicht sein kann, geraten gar nicht groß in Panik, so erzählt Hegemann diese Anekdote über ihren Start ins Leben. Und als ein paar Tage später das Ergebnis kommt, behalten die Eltern Recht mit ihrer Intuition. Ihr Kind ist gesund.

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    Es gibt wenige Geschichten, in denen Hegemanns Eltern beide vorkommen. Als Hegemann drei Jahre alt ist trennen sie sich. Ihr Vater Carl Hegemann zieht nach Berlin, wird dort Dramaturg am Berliner Ensemble, später an der Berliner Volksbühne. Die Mutter, Brigitte Isemeyer, und die Tochter Helene bleiben in Bochum. Die Mutter stirbt an einem Aneurysma im Gehirn, da ist Hegemann gerade 13 Jahre alt. Hegemann zieht zu ihrem Vater, um ihn kennen zu lernen. Erst nach dem Umzug nach Berlin beginnt sie zu schreiben und sich künstlerisch auszudrücken. Seit sie 14 ist produziert sie: Theaterstücke, Filme, Bücher. »Ihre Art der Bewältigung«, sagt Leonie Hahn, die Hegemann kennt seit sie Babies waren. Und die beide Leben kennt, die Hegemann mit ihren heute 25 Jahren schon gelebt hat – das in Bochum, in dem Hegemann sich wertlos und alleine gefühlt hat, wie sie heute sagt, und das in Berlin, in dem sie berühmt wurde.

    Am 29. Juni kommt Hegemanns Film Axolotl Overkill ins Kino. »Es wäre schön, wenn der Stoff eine zweite Chance kriegen würde«, sagt sie. Und dasselbe gilt irgendwie auch für sie selbst. Im großen SZ-Magazin-Porträt gibt Lara Fritzsche Einblick in die beiden ungewöhnlichen Leben, die diese junge Frau gelebt hat, und verrät auch, dass es etwas viel Intimeres als Partynächte, Drogen-Exzesse und brutaler Sex ist, das Helene Hegemann ihren Figuren von sich mitgibt.

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    Neuauflage

    Hoffnung der jungen deutschen Literatur oder Plagiatorin? Für Helene Hegemann war der Erfolg ihres Debütromans "Axolotl Roadkill" Fluch und Segen zugleich. Jetzt hat sie ihren Bestseller selbst verfilmt - auch, um mit einem Missverständnis aufzuräumen

    Foto: dpa