Hast du Töne?

Einen Strauß Blumen – mit einem USB-Stick dran? Oder ein Download-Link per SMS? Unser Autor würde so gern mal wieder jemandem Musik schenken. Aber das geht ja in Zeiten der Streamingdienste leider nicht mehr.


Das Internet schenkt dem Menschen Freiheit – und nimmt ihm Freiheit beim Schenken.

Illustration: Sergio Membrillas

Entwarnung: Ich werde hier nicht rumjammern, dass früher alles besser war. Ich will nicht vom Gewicht alter Vinyl­platten schwärmen (»Boah, die180-Gramm-Pressung von Round Midnight, das waren noch Alben!«) nicht den Zeiten der Kassette hinterhernostalgieren (»Voll witzig, wie wir die immer mit dem Bleistift vorgespult haben, um Walkman-Batterie zu sparen!«). Alles oft genug beschworen und beschrieben.

Nein, ich bin vollauf zufrieden mit der Gegenwart. Meine Platten verstauben im Schrank, meine CDs stapeln sich unberührt im Regal. Ich habe eins von den gängigen Streaming-Abos und kann mir für zehn Euro im Monat Berge von Musik aufs Smartphone laden, aktuell sind es so um die fünfzig Gigabyte. Ich liebe es, wenn mir der Name einer obskuren Band einfällt, von der ich vor siebzehn Jahren mal auf einer Party was gehört habe, und jetzt muss ich nur dreimal mit der Fingerspitze tippen und höre das Album, das damals lief. Science-Fiction, wahr geworden und alltagstauglich, das gesamte popkulturelle Gedächtnis der Welt, jederzeit verfügbar. Ich sage: Yeah!

Ich sage aber auch: Schade. Denn ich kann keine Musik mehr verschenken. Weil es ja allen so geht wie mir, weil alle nur auf ihre Telefone drücken müssen und weil, abgesehen von ein paar Hobby-DJs, alle ihre CD-Player und Plattenspieler ausgemustert haben. Bis vor ein paar Jahren war eine CD ein sehr okayes Mitbringsel. Würde man jetzt so ein Ding auf einem Geburtstagsfest präsentieren: allseits belustigtes Schulterzucken. Wohin mit dem mittelalterlichen Werkzeug, du lustiger Zeitreisender?

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Dabei ist es so schön, Musik zu schenken! Man überlegt, worüber jemand sich freuen könnte, und kommt zum Beispiel darauf, dass diesem Menschen ein bisschen aristokratischer Schwung gut täte, also ein Album von Divine Comedy, am besten Casanova, herrlich! Schon der bloße Gedanke, dass es im Leben der anderen fortan auch dieses einmalige Funkeln geben wird, das einem selbst so oft gute Laune macht, ach – es gibt ja diesen Satz, der André Gide zugeschrieben wird: »Wer andere glücklich macht, wird glücklich.« Und so ziemlich am glücklichsten macht mich eben das Glücklichmachen per Musik.

Ich liebe es auch, Musik geschenkt zu kriegen. Auf neue Bands, Komponisten, Lieder zu stoßen beziehungsweise gestoßen zu werden, erweitert den Horizont. Mongolischer Obertongesang? Immer her damit! Skandinavischer Stoner-Rock mit sehr vielen øøø im Bandnamen? Au ja, mal reinhören! Double Sextet von Steve Reich? Kannte ich noch nicht, play! Das Öffnen der CD-Hülle kann das Öffnen einer Tür sein, der Weg in eine neue Welt, auf zu neuen Klängen, neuen Erfahrungen, neuen Gefühlen.

Pathetisch gesagt: Wer Musik schenkt, schenkt Emotionen. (Hoppla, das klingt jetzt doch mehr nach Pralinenwerbung, als es sollte, aber wir ver­stehen uns.) Musik kann erfreuen oder melancholisch stimmen, aufregen oder beruhigen. Sie ist vielschichtiger als ein Kleidungsstück, bunter als Blumen, unmittelbarer als ein Buch. Musik zu verschenken bedeutet, in einer ganz eigenen Sprache mit anderen zu sprechen.

Das Problem ist, man braucht etwas zum Überreichen. LP, CD, Mixtape, man muss ja was in der Hand haben. Aber wenn ich eine Playlist auf Apple Music teile oder ein Spotify-Album per WhatsApp weitergebe – gilt das dann überhaupt als Geschenk? Wer fühlt sich beim Versenden einer Playlist, als würde er etwas schenken? Das geht höchstens als Tipp durch. Als würde man jemandem im Vorbeigehen zurufen, hey, hör dir mal die Sleaford Mods an, ziemlich genau das Gegenteil von Divine Comedy, ganz großartig!

Was tun? Ich könnte Konzertkarten verschenken. Aber das ist was ganz anderes. Damit zwinge ich Menschen, genau zum Zeitpunkt X am Ort Y zu sein. Man schenkt – und bedrängt. Unangenehm. Eine CD, eine Platte dagegen ist ein freundlicher Vorschlag, ich überlasse der oder dem Beschenkten, wann, wo, bei welchem Licht, in welcher Situation sie oder er die Musik hören will. Kommt hinzu: Kein Mensch kann wissen, ob die Musik beim Konzert gut aufgeführt wird. Ich habe mal Miles Davis erlebt, wie er einen ganzen Abend über so sagenhaft schlechte Stimmung verbreitete, dass ich mir lieber zwei Stunden lang U-Bahn-Durchsagen angehört hätte.

Ich könnte es so machen wie Barack Obama, der hat Queen Elizabeth mal als Gastgeschenk in London einen iPod überreicht, mit Musik drauf. Als Geste durchaus cool. Leider hatte die Queen schon einen. (Sie hat bis heute nicht verraten, was da so drauf ist. Ich vermute: weniger Jay-Z als bei Obama).

Also einfach ein schönes großes Vinyl-Album schenken – und parallel dazu den Download-Link per SMS?
Hm.
Einen Strauß Blumen – mit einem USB-Stick dran?
Hm hm.
Persönlich mit Gitarre vorbeikommen, ein paar Lieder vorsingen und dann auf dem iPhone die Playlist dazu raussuchen?
Hm hm hm.

Es ist schwierig. Und solange ich nirgends Präsident bin, ist mir ein iPod als Geschenk eine Nummer zu groß. Können wir uns vielleicht einstweilen auf eine Übergangslösung einigen? Ich verschenke weiter CDs – und ihr da draußen, liebe Freunde, Kollegen, Nachbarn, tut so, als sei das immer noch normal. Ihr lächelt höflich, legt das Geschenk diskret auf den Tisch und vermeideteinen Blick zu der Lücke im Regal, wo vor ein paar Jahren noch der CD-Player stand. Irgendwann fällt uns dann vielleicht gemeinsam was ein.