Von innen heraus plastifiziert

Pro Jahr gelangen bis zu 120 000 Mikroplastikteilchen in den menschlichen Körper. Sind wir also quasi schon Plastikmenschen? Und könnte das vielleicht sogar Vorteile haben?

Illustration: Dirk Schmidt

1967 erschien das Album Absolutely Free der Mothers of Invention von Frank Zappa. Der erste Song heißt Plastic People und handelt von gedankenlosen Konsumbürgern, die viel Plastik verbrauchen und letztlich selbst aus Plastik sind, synthetisch, biegsam, angepasst, gedankenlos, serienmäßig reproduzierbar, wie das Mädchen, über das es heißt, sie kleistere ihr Gesicht mit Plastikschmiere zu und ruiniere sich das Haar mit irgendeinem Waschmittel.

She paints her face with plastic goo
And wrecks her hair with some shampoo

Die Stadt sei, singt Zappa, voll von solchen plastic creeps, widerlichen Plastiktypen, they got no balls, they got no roots, ohne Eier, ohne Wurzeln, man solle mal hinausgehen, herumspazieren, sich die Leute anschauen und dann heimkommen, sich selbst besinnen und darüber nachdenken, ob sie hier wirklich von jemand anderem sängen als dem, der den Song gerade höre …

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Then go home and check yourself
You think we’re singing ’bout someone else …

Plastic people, das ist 52 Jahre her, aber man könnte den Song genauso wieder herausbringen, weil Anpassung bis zur Unkenntlichkeit in der Masse ein Menschheitsthema ist und Knet- und Formbarkeit des Einzelnen nichts ist, was das Kunststoffzeitalter erst hervor­gebracht hätte.

Erstaunlich ist etwas anderes: Plastic people – das ist heute offensichtlich keine Metapher mehr, es ist nicht mehr bloß ein Bild für geistiges und seelisches Kriechertum. Es ist physische Wirklichkeit!

Auf der Internetseite der American Chemical Society konnte man kürzlich Untersuchungsergebnisse von Forschern der Universität von Victoria in Kanada nachlesen, wonach jeder Mensch pro Jahr zwischen 70 000 und 120 000 Mikroplastikteilchen über die Nahrung in seinen Körper aufnehme. Dazu kommen noch einmal 90 000 solcher Partikel, die aus Kunststoffflaschen stammen. Das ist aber längst nicht alles. Denn untersucht wurden nur Lebensmittel wie Fisch, Meeresfrüchte oder Honig, über die entsprechende Daten vorlagen. Sie machen jedoch nur 15 Prozent der Kalorienzufuhr eines Durchschnittsbürgers aus, Fleisch und Gemüse konnten in die Studie überhaupt nicht einbezogen werden. Plastic people.

Wir werden von innen heraus plastifiziert. Allein in Deutschland werfen wir pro Stunde, ich wiederhole: pro Stunde, 320 000 Kunststoffbecher in den Müll, von den Deckeln noch gar nicht zu reden, das sind locker noch mal 150 000: Becher, aus denen sich, wie ich wohl nicht zu Unrecht vermute, Teilchen in unseren Körpern abgesetzt haben, während andere sich in der Umwelt verteilen, um später über Umwege auch von uns aufgenommen zu werden. Sodass wir in jedem Moment nicht mehr nur aus Fleisch und Blut, Fett und Knochen, Haut, Haaren und anderem Naturmaterial bestehen.
Sondern zunehmend auch aus verarbeitetem Erdöl.

Ja, manches wird den Körper auf den üb­lichen Wegen verlassen, aber vieles bleibt uns, denke ich. Zunächst werden vermutlich innere Organe verplastikt, die Leber soll sich gut eignen, aber vermutlich wird da drinnen irgendwann nicht mehr genug Platz sein. Von Loriot gibt es diesen Sketch über Pneumatische Plastologie, in dem Professor Heubl durch schieres Anhalten des Atems Körperteile überdimensional vergrößern kann, Finger oder Ohren. (Und natürlich bleibt die Frage des Interviewers nicht aus, ob das, äh, auch mit anderen Körper­teilen …)

Man sollte sich also nicht wundern, wenn uns bald Zeitgenossen begegnen, die, als Folge nutritiver Plastologie, vielleicht eine zweite Kunststoffnase aufweisen oder ein drittes Ohr. Es sollen auch schon Mitbürger gesehen worden sein, denen aus dem Unterarm ein Tupperware-Behälter wuchs (was nicht unpraktisch sein muss) oder eben, direkt in der linken Hand, ein Kaffeebecher.