Ausgeschüttelt 

Auch unser Autor leidet sehr unter der Pandemie. Und doch gibt es da eine kleine Veränderung, die er begrüßt.

Illustration: Ryan Gillett

Nie mehr Hände schütteln! Jaaa! Vorbei! Okay, es wäre mir lieber, es hätte dazu keine Pandemie gebraucht. Aber immerhin. Wir haben eine einmalige Chance. Vielleicht kommt es nicht mehr wieder.

Wenn ich da zurückblicke: Wie es mir kalt über den Rücken läuft, weil mir jemand eine Schlabberhand hinhält, die an alte Milchtüten erinnert. Wie ich den unappetitlichen Mann begrüße und dann beim Gespräch an nichts anderes denken kann als Muss-Handschweiß-abwaschen, Muss-Handschweiß-abwaschen. Wie ich bei besonders jovialen Leuten das Gefühl habe, wir plaudern seit einer Stunde, aber die schütteln meine Hand offenbar bis Sonnenuntergang weiter! Wie der Mensch vor mir Guten Tag sagt, aber seine kalte, weiche Hand flüstert: Ich bin ein toter Aal. Wie ich bei anderen Typen denke, wenn der Kerl noch fester zudrückt, war’s das mit dem Klavierspielen.

Überhaupt, die Kraftmeier, die per Powershake erst mal ihr Revier markieren wollen. Als sich Donald Trump damals diese Hochdruckmeisterschaften mit Trudeau und Macron lieferte, hat es mir schon von den Bildern gegraust. Warum nicht gleich nackt tanzen und auf die Brust trommeln?

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Der Handschlag hat Symbolkraft, mag ja sein. Sich die Hand reichen. Frieden schließen. Hand drauf. Versprechen geben. Mit Händedruck besiegeln. Ja, ja, ja. Aber wie verlogen sind demonstrative Handschläge? Hitler und Chamberlain. Rabin und Arafat. Trump und Kim Jong-un. Kann doch kein Mensch behaupten, der Handschlag hätte einen einwandfreien Ruf!

Trotzdem jammern jetzt viele. Die Zeit forderte vor Kurzem: »Rettet den Händedruck!« Der Autor verwies entsetzt auf die Hippies der Sechzigerjahre, die den Handschlag auch schon blöd fanden: »Hob man nicht stattdessen die Hand und sagte ›Hi‹ nach ur­amerikanischer Freiheitssitte? Oder rief sogar ›Peace‹ und reichte ein Haschpfeifchen zur Bekräftigung der friedlichen Absichten?« Na ja, wer sich von Peace-Rufen und Haschpfeifen bedroht fühlt, sollte sich wohl dringend irgendwo festhalten. Vielleicht an der Hand eines Kollegen.

Vor Urzeiten sollte der Handschlag bei der Begegnung demonstrieren, dass man keine Waffe trägt.

Dabei ist es doch nicht mehr als ein ri­tualisierter Aberglaube. Vor Urzeiten sollte der Handschlag bei der Begegnung demonstrieren, dass man keine Waffe trägt (muss vor der Erfindung der Jackentasche gewesen sein). Bis heute legen manche bei der Begrüßung in Gruppen Wert darauf, dass man sich bloß nicht über Kreuz die Hände gibt, weil: Bringt Unglück! Wieder andere finden, der Händedruck sei eine besonders menschliche Form der Annäherung. Noch mal die Zeit: »Für einen Moment hat man sich der gegenseitigen Gutartigkeit versichert, Haut und Körper sind in Kontakt getreten, die gemeinsame Kreatürlichkeit zweier Wesen aus Fleisch und Blut ist offenbar geworden.« Hat mal jemand ein Glas Wasser für mich?

Klar, es ist nicht so leicht, sich das Händeschütteln abzugewöhnen. Vielen geht es wie Prince Charles in diesem sagenhaft lustigen Video, wo er bei einem offiziellen Termin ständig Menschen die Hand entgegenstreckt und dann im letzten Moment zurückzuckt, ach ja, oh dear, Ansteckung!

Aber uns wird schon etwas anderes einfallen. Die einen grüßen jetzt mit dem Handzeichen aus Star Trek, die anderen hip-hop-mäßig mit den Knöcheln. Auch nicht alberner, als die Hände ineinanderzulegen und damit zu wackeln, oder? Schön finde ich die indische Anjali-Geste: aneinandergelegte Handflächen plus angedeutete Verbeugung. Und der Ellenbogengruß? Na ja, ein bisschen doof ist er schon. Wird ja auch nur mit erheblichem Ironie-Zwinker-Zwinker verwendet. Aber wenn wir uns mal daran gewöhnt haben, wer weiß: Dann hätte zumindest der Begriff Ellenbogen­gesellschaft eine neue Bedeutung.