»Mir geht es darum, wie viele Menschenleben gerettet werden können«

Mit 17 hat Lillian Kay Petersen aus New Mexico eine Methode entwickelt, mit der man Missernten in Afrika voraussagen kann. Im Interview erklärt sie, was an ihrem Modell besser ist als an dem der NASA und was alle Nachwuchsforscher unbedingt können müssen.

Lillian Kay Petersen, 17, stammt aus Los Alamos im US-Bundesstaat New Mexico. Ende Juli gewann sie den mit 250.000 Dollar dotierten Hauptpreis beim »Regeneron Science Talent Search«, dem ältesten und renommiertesten US-Forschungswettbewerb für Jugendliche.

Foto: Society for Science and the Public

Das Problem: Selbst Experten können oft nicht sicher vorhersagen, wo die Hungersnöte am größten sein werden.
Die Lösung: Lillian Kay Petersen hat ein recht zuverlässiges Modell entwickelt, für afrikanische Länder mit Hilfe von Satellitenbildern die Ernten drei bis sechs Monate im Voraus vorherzusagen.

Seit Du elf bist, beschäftigst Du Dich wissenschaftlich mit dem Klimawandel. Was war der Auslöser dafür?
Ich bin eine begeisterte Skifahrerin. Bei uns in New Mexico haben wir einen Hausberg, und mir fiel auf, dass wir immer weniger Schnee kriegen. Ich hatte also eine ganz persönliche Motivation, es war nichts Abstraktes wie der Zustand des ganzen Planeten. Mit 10 Jahren habe ich Programmieren gelernt. Ich war sofort fasziniert davon. Es ist einfach so cool, was man mit Daten alles herausfinden kann. Im Jahr darauf habe ich eine Klasse übersprungen und mein erstes Forschungsprojekt angefangen. Ich wollte für mich selbst herausfinden, ob sich das Klima tatsächlich verändert. Weil über Klimawandel schon so viel geschrieben wurde, beschloss ich, nur die Rohdaten zu verwenden, die direkt von den Messtationen gesendet werden. Ich habe die Daten von 4000 Wetterstationen runtergeladen, 28 Gigabyte Rohdaten, und habe damit eine interaktive Weltkarte programmiert und ins Netz gestellt. Da kann jeder sehen, wie sich das Klima in der eigenen Heimatstadt entwickelt hat, angelegt auf ein Jahrhundert.

Ich finde beeindruckend, dass Du Dich nicht nur selbst informiert hast, sondern eine Informationsseite gemacht hast, die allgemein zugänglich ist.
Wer draufklickt, kann sich jeden einzelnen Ort ansehen und die detaillierten Wetterdaten, wie sich die Temperaturen an diesem Ort im Vergleich zu anderen Orten entwickeln. Da sieht man ganz genau, dass es in den meisten amerikanischen Orten wärmer wird, aber in Europa geht die Erwärmung noch viel schneller. Mich kontaktieren die Leute immer noch regelmäßig im September und fragen, ob sie einen Saisonpass für die Piste kaufen sollen.

Meistgelesen diese Woche:

Für Dein Modell, Hungersnöte mit Hilfe von Satellitendaten vorherzusagen, hast Du gerade den ersten Preis beim »Regeneron Science Talent Search« gewonnen. Gab es für dieses Projekt ebenfalls eine persönliche Motivation?
Vor neun Jahren haben meine Eltern drei Geschwister adoptiert. Alle drei hatten vorher nicht genügend zu essen bekommen und kämpften mit verzögerter Entwicklung wegen der Mangelernährung. Da wurde mir klar, wie wichtig das Thema ist. 2014 und 2015 las ich über die Dürre in Äthiopien, die für viele Hilfsorganisationen unerwartet kam. 18 Millionen Menschenleben waren davon betroffen. Mangelernährung begleitet einen ein Leben lang, wie ich an meinen Geschwistern sehe. Also befasste ich mich damit, wie man das besser vorhersagen kann. Ich habe Praktika am Descartes Lab in Los Alamos und am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse bei Wien gemacht und gelernt, wie man mit Satellitenbildern arbeitet.

Warum ausgerechnet Satellitenbilder?
Weil es tatsächlich sehr schwer ist, Ernten vorauszusagen. In den Vereinigten Staaten gibt es detaillierte Daten zu fast jedem Hektar Ackerfläche und fast allen Nutzpflanzen. Aber in Entwicklungsländern sind die Felder viel kleiner, und es gibt wenig Daten, welche Getreidearten wo gepflanzt werden. Deshalb verlassen sich die Hilfsorganisationen auf Beobachter vor Ort. Das Modell hat vor Covid-19 gut funktioniert, aber jetzt nicht mehr. Viele Frühwarnsysteme sind blind, weil die Beobachter vor Ort nicht reisen können. Gerade wegen der Pandemie ist es aber jetzt noch viel wichtiger zu wissen, wo sich in der nächsten Zeit Hungersnöte entwickeln.

USAID gibt jedes Jahr 25 Millionen Dollar aus, um vorauszusagen, wo Menschen hungern werden. Die Stanford Universität und die NASA Harvest Initiative verlassen sich für ihre Vorhersagen ebenso auf Satelliten. Was kann die NASA von Dir lernen?
Das ist genau der Punkt: Diese Programme kosten Millionen, sind sehr aufwändig und brauchen immer noch Beobachter vor Ort. Ich bin Schülerin, also musste ich notwendigerweise ein viel billigeres Modell finden und zeigen, dass es viel einfacher geht. Ich nehme drei Datensätze. Der wichtigste ist, stark vereinfacht ausgedrückt: Wenn die Pflanzen grüner sind, sind die Ernten gesünder. Das sieht man mit den Satelliten. Ich schaue jeden Tag die Daten an und suche nach Anomalien. Mein Modell Crop4Cast ist so gut wie kostenlos. Ich habe die Vorhersagen gerade letzte Woche für 2020 aktualisiert und mit den Forschern am International Food Policy Research Institut geteilt. Ich erwarte nicht, dass diese großen Institutionen sagen, wir übernehmen jetzt Lilians Modell, die haben ja ihre eigenen Modelle, aber dass Teile meines Konzepts integriert werden, damit es billiger und einfacher geht.

»Lernt programmieren! Das öffnet die Türen zu echter Wissenschaft, egal wie alt du bist«

Was machst Du mit der Viertelmillion Dollar, die Du gerade für Deine Forschung gewonnen hast?
(lacht) Oh, das ging alles so schnell, ich habe noch gar keinen Plan. Ich fange nächste Woche an, in Harvard Mathematik und Molekularbiologie zu studieren. Gleichzeitig werde ich an genetischen Ursachen von Schizophrenie forschen. Ich sehe das Geld einfach als großartige Möglichkeit – wenn ich eine verrückte Idee habe und ein Startup gründen will, dann habe ich schon Startkapital. Aber im Wesentlichen geht es mir darum, wie viele Menschenleben gerettet werden können, wenn die Vorhersagen genauer werden. Mangelernährung ist die wichtigste Todesursache für Kinder auf der Welt. Drei Millionen Kinder sterben daran jedes Jahr. Ich will das Thema von allen Perspektiven angehen. Seit neuestem interessiere ich mich sehr für Genetik und CRISPR, weil wir Mangelernährung auch mit Getreide reduzieren könnten, das dürrebeständiger und umweltfreundlicher ist.

Hast du Vorbilder? Vielleicht Greta Thunberg?
Ich habe schon jahrelang wissenschaftliche Forschung gemacht, bevor Greta Thunberg auftauchte. Ich bewundere Norman Borlaug, den Vater der Grünen Revolution, von dem gesagt wird, er habe über eine Milliarde Menschen vor dem Hungertod gerettet. Er hat sein Leben damit verbracht, Nutzpflanzen zu züchten, die mehr Ernte einbringen, und damit die Landwirtschaft auf der ganzen Welt verändert. Viele Umweltschützer mögen ihn nicht, aber ich halte das für falsch. Ohne ihn wären viel mehr Leute gestorben.

Hast Du einen Rat für Jugendliche, die etwas bewegen wollen?
Lernt programmieren! Das öffnet die Türen zu echter Wissenschaft, egal wie alt du bist. Du brauchst keinen Abschluss, nur einige Grundfähigkeiten, dann kannst du Informationen zu fast jedem Thema runterladen, das dich interessiert, ob Gene oder Klimawandel. Es ist fast unmöglich, Wissenschaft ohne Computerkenntnisse zu betreiben. Und finde einen Mentor. Am Anfang war das mein Vater, der ist Ozeanograf am Los-Alamos-Labor und sagt die Entwicklung der Meere für das nächste Jahrhundert voraus. Außerdem war es mir wichtig, zwei Aufsätze in anerkannten wissenschaftlichen Magazinen zu publizieren, damit ich aus dieser Schülerecke rauskomme und echte wissenschaftliche Arbeit produziere.

Hast du für dein Praktikum in Wien Deutsch gelernt?
Meine Familie stammt aus Deutschland. Meine Großmutter wuchs im Zweiten Weltkrieg im bayerischen Ascholding auf und zog dann mit 17 Jahren nach Amerika. Sie hat einige CDs mit traditionellen bayerischen Volksliedern veröffentlicht. Deshalb hänge ich sehr an der bayerischen Kultur und spiele auch Zither. Wenn meine Oma kommt, dann spielen wir den »Haushammer Ländler« und singen »Du liegst mir am Herzen«.