»Mitleid wäre das Letzte, das sie wollen«

Mexiko ist berühmt für Mariachi-Musik. In einer aufwändigen Foto-Reportage dokumentiert Rubén Salgado Escudero, wie die Musikerinnen und Musiker in der Pandemie um ihre Kultur und ihren Lebensunterhalt kämpfen – und warum die mexikanische Regierung alles nur noch schlimmer macht.

Name: Rubén Salgado Escudero
Geburtsjahr: 1979
Wohnort: Mexico City
Ausbildung: Savannah College of Art and Design, Georgie, USA
Website: rubensalgado.com
Instagram: /rubensalgadoescudero

SZ-Magazin: Wie würden Sie die mexikanische Mariachi-Musik jemandem beschreiben, der noch nie davon gehört hat?
Rubén Salgado Escudero:
Mariachi ist eigentlich kein Musikstil, sondern der Name einer traditionellen Musikformation, bei der meist zwischen sieben und zwölf Musiker mit Gitarren, Geigen, Trompeten und der Bassgitarre Guitarrón mexikanische Volks- und Tanzmusik spielen. Ein markantes Merkmal sind die feinen Anzüge der Musiker, meist schwarz mit silbernen Beschlägen. Die Mariachi-Formation entstand vor über zweihundert Jahren in der Provinz Jalisco, dank Radio und Kino ist sie nun aber seit Jahrzehnten in ganz Mexiko populär. Ich denke, kaum etwas drückt den Geist und die Gefühle der Mexikaner besser aus Mariachi, inzwischen ist Mariachi typisch für das Land und auch von der Unesco in die Liste des Kulturerbes der Menschheit aufgenommen worden.

Auf Ihren Fotos sehen wir Mariachi-Musiker, die es wegen der Corona-Pandemie schwer haben, Jobs zu finden. Zu welchen Anlässen würde jemand in Mexiko denn normalerweise ein Mariachi-Ensemble engagieren?
Für jede Art von Feier, von der größten, wichtigsten bis zur alltäglichsten. Mariachi-Ensembles spielen bei Taufen, Hochzeiten und Geburtstagen, aber auch bei ganz normalen Partys oder kleinen Feiern, wo ein paar Freunde zusammensitzen und lachen, Bier trinken, singen. Auch bei Beerdigungen kann man sie oft hören, wo sie für die trauernden Angehörigen vielleicht nochmal die Lieblingslieder des Verstorbenen spielen.

Meistgelesen diese Woche:

Mögen Sie selbst eigentlich Mariachi-Musik?
Ich liebe sie! Ich komme aus Andalusien, und Mariachi erinnert mich an unsere Flameco-Musik. Beide Stile sind sehr gefühlvoll und tief empfunden, in beiden geht es viel um Liebe, Schmerz und Leidenschaft. Es gibt einige Mariachi-Lieder, bei denen ich jedes Mal eine Gänsehaut bekomme.

Den Rahmen Ihrer Fotoserie bildet die Corona-Pandemie. Wie ist die Situation in Mexiko?
Für mich als Europäer ist es sehr lehrreich zu sehen, wie man hier mit der Pandemie umgeht. In Europa verlässt man sich ja darauf, dass der Staat Regelungen vorgibt und die Grundversorgung der Bürgerinnen und Bürger garantiert. In Mexiko ist das anders, da sind Menschen und die einzelnen Gemeinden viel mehr auf sich gestellt. Mexiko ist ein großes Land mit einer sehr diversen Bevölkerung; es gibt verschiedene Sprachen, verschiedene Ethnien und eine gewaltige Kluft zwischen dem Wohlstand und dem Bildungsstandard der urbanen Oberschicht und der Lebensweise der indigenen Landbevölkerung. Die Art, wie die Regierung auf die Pandemie reagiert hat, war vor allem anfangs eher verwirrend, aber für mein Empfinden hängt das auch mit der Komplexität des Landes zusammen.

Wie meinen Sie das?
Man schätzt, dass rund 60 Prozent der Mexikaner lediglich informell beschäftigt sind. Sie arbeiten als Tagelöhner, Straßenverkäufer, Handwerker oder auch Musiker und müssen ihren Lebensunterhalt von Tag zu Tag neu verdienen, ohne soziale Absicherung. Aus diesem Grund konnte die Regierung keinen Lockdown verhängen und die Menschen zwingen, daheim zu bleiben. Hinzu kommt, dass die Regierung zu Beginn der Pandemie keine klare Linie hatte und der Präsident anfangs sogar behauptete, Talismane könnten gegen das Virus helfen und es sei in Ordnung, sich weiter zu umarmen. Momentan ist es so, dass es in verschiedenen Teilen des Landes ganz unterschiedliche Reaktionen auf die Pandemie gibt. In der Provinz schotten sich viele Kommunen ab, in Mexico City und den anderen Großstädten sieht man in der Regel nur minimale Schutzmaßnahmen. Dabei wurden in Mexiko schon über 60.000 Corona-Tote und über 500.000 Infizierte gezählt.

Auf Ihren Fotos ist zu sehen, dass die Mariachi-Musiker auf einem leeren Platz in Mexico City stehen und vergeblich auf Kunden warten.
Ja, es ist katastrophal. Wenn sie nicht spielen, verdienen sie nichts. Staatliche Unterstützung gibt es nicht. Aber wer engagiert während einer Pandemie schon Musiker? Dafür hatte in den vergangenen Monaten kaum jemand Geld, und die Stimmung war auch nicht danach. Viele Musiker sind zurück in ihre Heimatdörfer gefahren, wo sie billiger leben können, viele sind aber auch gestorben. Anfangs haben etliche Musiker das Virus leider nicht sonderlich ernst genommen, teils wegen der unklaren Ansagen der Regierung, teils aber auch, weil die Mexikaner generell eher wenig Angst vor dem Tod haben. Wenn meine Zeit kommt, werde ich gehen, sagen viele.

Die Plaza Garibaldi, der wichtigste Treffpunkt der Mariachi-Musiker, wirkt auf Ihren Bildern einsam und verlassen. Wie würde es dort ohne Corona aussehen?
Der Platz wäre voller Menschen, die etwas trinken, Freunde treffen, und den Musikern zuhören. Für Einheimische und Touristen ist es eine Ort der Freude und des Lebens! Und das schon seit 75 Jahren, so lange gilt die Plaza Garibaldi bereits als das Mariachi-Mekka.

Auf Ihren Fotos sehen viele Musiker trotz der schwierigen Situation stolz und stark aus.
Die Mexikaner sind generell ein stolzes Volk. Ich habe sie als bodenständig, arbeitsam, großzügig und optimistisch kennengelernt. Gerade geht es ihnen schlecht, aber Mitleid wäre das letzte, das sie wollen. Ich finde, der Stolz der Musiker kommt schon in ihren Kostümen zum Ausdruck, den extravaganten Charro-Anzügen, die sehr sorgsam gepflegt werden.

Kann die Musik selbst die Krise vielleicht manchmal ein wenig lindern?
Ja, ein bisschen schon. Einige Mariachi-Ensembles haben zum Beispiel in Krankenhäusern für die Patienten gespielt. Und in der Provinz Quintana Roo kam die Polizei auf die Idee, für den berühmten Song »Mariachi Loco« einen neuen Text zu schreiben, der vom Virus handelt und wie man sich davor schützen kann.

»Salvemos Al Mariachi«

Zur Unterstützung notleidender Mariachi-Musiker hat Ruben Salgado zusammen mit anderen ein Projekt namens »Salvemos Al Mariachi« gestartet. Dort kann man Mariachi-Musiker Spenden zukommen lassen, im Gegenzug spielen die Musiker dann einen Song für den Spender, gerne auch mit Widmung oder auf andere Weise personalisiert. Die Aufführung wird als 360°-Video gefilmt und dem Spender zur Verfügung gestellt. Wie das aussehen kann, sieht man hier.

Dieses Fotoprojekt wurde von der National Geographic Society mit einem »Covid Relief«-Zuschuss unterstützt.