Wie damals im Raucherabteil

In deutschen Zügen gilt Maskenpflicht – außer wenn man ein Attest vorweisen kann. Bei den anderen Passagieren sorgt das oft für Unmut. Dabei gäbe es eine ganz einfache Lösung für das Problem.

Illustration: Nishant Choksi

Die Durchsage der Zugbegleiterin klang regelrecht verzweifelt: »Ich weise Sie noch mal auf die hier geltende Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes hin. Ich sehe hier, dass der Mund-Nase-Schutz abgezogen wird, sobald der Zugbegleiter weg ist«. Jetzt klang die Stimme wütend: »Das kann doch nicht sein, dass es so schwer fällt, diese Mund-Nase-Bedeckung anzuziehen, in Läden müssen Sie das doch auch tun.« Diese Durchsage habe ich im Sommer gehört, vor etwa zwei Monaten. Damals gab es viele Fahrgäste, die es mit der Maskenpflicht nicht allzu ernst nahmen. Inzwischen hat sich die Maskendisziplin verbessert. Die meisten Fahrgäste tragen sie über Mund und Nase. Aber es gibt weiterhin Ausnahmen.

Vor anderthalb Wochen sitze ich im ICE Frankfurt-Zürich. Der Zug ist zu einem Drittel gefüllt, angenehm, alle tragen Maske – fast. Drei Reihen weiter sitzt an einem Tisch ein Pärchen, er wohl Ende 30, sie Mitte 20. Sie reden laut, spielen Karten, telefonieren – alles ohne Maske. Angenommen, sie, er oder beide würden Sars-Cov 2-haltige Aerosole ausatmen, vier Stunde lang. Mit meiner einfachen OP-Maske habe ich zwar eine gewissen Eigenschutz, aber der könnte in dem Fall nicht ausreichen, um mich vor einer Infektion zu schützen. Als ich gerade dabei bin, mir zurechtzulegen, wie ich sie am besten auf die Maskenpflicht ansprechen kann, kontrolliert der Zugbegleiter die Fahrkarten. »Sie weisen ja sicher auch auf die Maskenpflicht hin?«, frage ich ihn und deute zu dem Pärchen. Er nickt. Kurz darauf sehe ich, wie er mit den beiden spricht. Dann kommt der Zugbegleiter zu mir zurück. »Die beiden haben ein Attest«, sagt er und zuckt die Schultern. »Sie wissen ja, da kann man leider nichts machen.« In seiner Stimme schwingt Resignation mit.

Wer kann sich vom Arzt von der Maskenpflicht befreien lassen? Laut Ärzteblatt Menschen mit einer instabilen Angina pectoris, also einer schweren Herzkrankheit, und solche mit eingeschränkter Lungenfunktion. Ärztliche Atteste sind bei uns heilig, wir ziehen sie normalerweise nie in Zweifel – aber, nun ja, es gab Ärzte, die Blanko-Atteste ausstellten, es gibt unter Medizinern Corona-Leugner. Auch ich zweifele angesichts meiner Mitreisenden. Sie sind relativ jung, wirken gesund und alles andere als kurzatmig. Außerdem, wie hoch sind die Chancen, dass ausgerechnet bei zwei Menschen in dem Alter, die liiert sind, jeweils eine Erkrankung vorliegt, die eine Befreiung von der Maskenpflicht rechtfertigt? Außerdem frage ich mich auch: Würde jemand, der so schwere erkrankt ist, der folglich zur Covid-19-Risikogruppe gehört, sich wirklich ohne Maske der Gefahr einer Ansteckung aussetzen?

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Es steht mir natürlich nicht zu, ärztliche Atteste anzuzweifeln

Dass oftmals andere Beweggründe hinter der Maskenverweigerung stecken, zeigen mir Zuschriften, die ich auf meine letzte Kolumne  bekam. Ein Leser empörte sich über die Maskenpflicht – er könne kaum einen Mund-Nase-Schutz tragen, weil er Pollenallergiker sei. Nun bin ich selbst schwerer Pollenallergiker und weiß: Masken halten erstens sogar Pollen ab– und zweitens kann man die Symptome, die das Maskentragen erschweren, wie Niesen und Sekretfluss aus der Nase, durch Medikamente gut in den Griff bekommen. Auch der Deutsche Allergie und Asthmabund rät nicht von Masken für Allergiker ab.

Ein anderer Leser schrieb mir, dass er unter der Maske an Erstickungsängsten leide  und somit aus psychischen Gründen keine Bedeckung tragen könne. Das ist natürlich schrecklich. Aber abgesehen davon, dass solche Phobien in der Regel mittels »Flooding«, also dem bewussten Aussetzen des Angstreizes unter therapeutischer Begleitung, behandelt werden können – es gibt so viele Ängste. Menschen mit sozialer Phobie bekommen trotzdem kein eigenes Abteil bei der Bahn, ganz zu schweigen von Menschen, die unter Nomophobie leiden, der Angst, ohne Mobiltelefonkontakt zu sein; denen wird deshalb auch kein dauerhafter Empfang zur Verfügung gestellt. Zusammenfassend: Die Emails, die ich von Menschen bekam, die sich von der Maskenpflicht ärztlich haben befreien lassen, haben mich nicht überzeugt.

Aber es steht mir natürlich nicht zu, ärztliche Atteste anzuzweifeln, die ja auch begründet sein können. Vielleicht hat sich das Pärchen in einer Reha-Klinik für Herzpatienten kennen gelernt? Genauso wenig wie ich, können die armen Zugbegleiter medizinische Indikationen überprüfen. Ich ziehe also meinen Joker aus dem Rucksack – die FFP2-Maske, durch die man zwar schwerer Luft bekommt, die mich aber mit höherer Wahrscheinlichkeit vor Virenflug schützen wird.

Währenddessen kommt mir eine Idee. Dass Menschen etwas ausatmeten, das andere Passagiere nicht einatmen wollten, gab es doch schon mal bei der Bahn. Damals mussten sich diese Menschen ins Raucherabteil setzen. Wie wäre es, wenn alle Maskenverweiger, ob mit Attest oder ohne, sich einfach in ein festgelegtes Abteil begeben müssten? Dann könnten sie dort ohne Maske sitzen, und niemand würde sich belästigt oder stigmatisiert fühlen. Der Zugbegleiter könnte dort mit FFP2-Maske reingehen, oder vielleicht ließen sich Tickets ja sogar durch die Abteilscheibe scannen. Ob solche Abteile dann neue Infektionsherde würden, wäre natürlich noch eine andere Frage.

Oder würden diese Abteile ziemlich leer bleiben, weil die Maskenverweigerer es am Ende doch ganz gut finden, dass andere Menschen sie schützen, indem diese einen Mund-Nase-Schutz tragen? Ich erinnere mich jedenfalls an meine einzige Reise, die ich mal wegen Platzmangels im Raucherabteil verbringen musste. Die Raucher kamen, zogen ihre Zigaretten weg – und verschwanden wieder zu ihren Sitzen im Nichtraucherbereich. Außer mir saß kaum jemand permanent dort – die verpestete Luft war einfach zu eklig.