Generation Zukunft

Wir haben elf große Talente der Design­szene ­gefragt, was sie ­anders machen wollen.

Luisa Kahlfeldt in ihrem Berliner Atelier

Foto: Maidje Meergans 

Luisa Kahlfeldt

»Einen guten Stuhl designen will jeder, das gilt fast als Initiationsritual«, sagt Luisa Kahlfeldt, die derzeit beim (nicht zuletzt für seine Stühle bekannten) Stardesigner Konstantin Grcic arbeitet. Aber eigentlich finde sie es spannender, Lösungen für Probleme zu finden, die zuvor kaum jemand sah – wie ihre Babywindel aus Eukalyptusfasern und Algen, die sie unter dem Label »Sumo« auf den Markt bringt. Es ist ihr egal, dass sie selbst noch nicht Mutter ist und dass sie Industriedesign gelernt hat, nicht Textildesign: »Es ist befreiend, wenn es noch keine guten Alternativen zu einem Produkt gibt. Und es ist gut, mit einer gewissen Nai-vität ans Entwerfen zu gehen. Dann traut man sich Dinge zu, die nicht auf der Hand liegen.«

Die 1991 in Berlin geborene Designerin wurde für ihre wiederverwendbaren Windeln mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021 prämiert.

Foto: Maidje Meergans

Meistgelesen diese Woche:

Philipp Hainke

Hainke, 1989 in Coburg geboren, wurde mit dem Salone ­Satellite Award und dem Materialica Award ausgezeichnet.

Foto: Philipp Hainke

Einem nachhaltigen Designansatz fühlt sich Philipp Hainke verpflichtet, das beste Beispiel dafür sind seine Raumtrenner »Organico« aus Hanffasern und Naturleim. Darüber hinaus pflegt er eine Handschrift jenseits von Formalismen. Sein Stuhl »Hubert« etwa ist eine Reminiszenz an den Großvater, dessen Erscheinung ihn schon als Kind fasziniert hatte. Die ausladende Rückenlehne soll an die abstehenden Ohren erinnern, das stabile Vollholz an sein einfaches Leben. Er lasse sich gern von Dingen und Personen seines persönlichen Umfelds anregen, sagt Philipp Hainke. Denn neben Zweckdienlichkeit und Ästhetik, erklärt er, sollen seine Entwürfe vor allem Charakter haben – wie sein Großvater.

Hans Ramzan

Der 27-jährige Londoner hat einen simplen HIV-Test für Entwicklungsländer ­entworfen.

Design dürfe viel sein – aber nicht egoistisch. Man solle für die Masse kreieren und nicht für seinen eigenen Ruhm und seine ästhetischen Vorlieben, sagt Hans Ramzan. Ihn beschäftigen in seiner Arbeit vor allem die Themen Armut, Gleichberechtigung und die blinden Flecken in der Gesellschaft. Menschen, die abgehängt sind, ausgeschlossen und mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Dieser Ansatz lässt sich gut an seinem Design »Catch« sehen, einem HIV-Selbsttest. Das kleine, sterile Plastikobjekt kostet weniger als fünf Euro und hat in Entwicklungsländern eine große Zielgruppe, die sonst fast niemand erreicht. Ein Pikser in den Zeigefinger genügt, und schon nach wenigen Minuten wird das Ergebnis angezeigt.

Ayrton und Alán ­Miranda

Die Architekten-Brüder aus Guadalajara, Mexiko, setzen auf Pragmatismus in der Gestaltung.

Foto: Ayrton Miranda Studio

Am Flughafen von Los Angeles wunderten sich Alán und Ayrton Miranda über die unbequemen Sitzbänke. Als Gegenentwurf kreierten sie Stühle aus drei ineinandergesteckten runden Holzflächen. Ihre Designs sollen einfache Alltagsprobleme lösen. In ihrem Dorf, sagen sie, war jeder ein Designer, der beim Nachbarn die Tür reparieren konnte. Künftig wollen die Brüder stärker auf die Sinne zielen, das Riechen, Spüren, Hören: »Es geht uns mehr darum, wie sich Dinge anfühlen, weniger darum, wie sie aussehen.«

Mathijs van Gageldonk

Zusammen mit seinem Zwillings­bruder Michiel denkt der Niederländer den öffentlichen Raum neu.

Mathijs van Gageldonk geht gern spazieren, um auf Ideen für Projekte zu kommen. Dass das so gut funktioniert, liegt vermutlich daran, dass sein Interesse den Räumen der Stadt gilt und den Möglichkeiten, die sie Menschen bieten. Van Gageldonk hat Anatomie, Physiologie, Konstruktion und Architektur studiert, bevor er beim Design ­gelandet ist. Das alles kommt zusammen in seinen Entwürfen: in den Wartebänken »Exercise«, die zugleich Sportgeräte sind, oder in »Urban Sprout« (Bild unten), einem öffentlichen Möbelstück für Haltestellen, das man zum Anlehnen, Lümmeln und Sitzen nutzen kann und das ­unbesetzt aussieht wie eine Skulptur.

Simon Skinner

Mit der Kamm-Kollektion »Afropicks« räumte der Stockholmer den schwedischen Designpreis Ung Svensk Form ab.

Hinter jedem Design stecke ein ganzes Leben, sagt Simon Skinner. Seine Mutter stammt aus Trinidad und Tobago, als er an der Kunsthochschule war, wollte er einen Kamm für sein Afrohaar kaufen, aber die sind rar in Schweden. Zugleich haben sie für viele schwarze Menschen eine besondere Bedeutung. Also entwarf Skinner Afropicks: acht Kämme, die von acht schwarzen Schwedinnen und Schweden erzählen. »Ich möchte schwere Themen wie Rassismus durch Design hinterfragen, das inspiriert«, sagt Skinner. »So, dass Menschen sich darin wieder­finden oder Neues entdecken können.«

Paulien Nabben

Die 24-jährige Niederländerin hat in Ruanda ein nachhaltiges Textillabor aufgebaut.

Bei ihr sei der Designprozess andersherum, sagt Paulien Nabben. Andere überlegen wild drauflos, und wenn ihnen eine Idee gefällt, kreisen sie sie ein. Sie versuche, das gesamte System zu verstehen und den Punkt zu finden, von dem aus sie es verändern kann. »Und dann tobe ich mich aus.« Designer konzentrieren sich zu sehr aufs Erschaffen und zu wenig aufs Verstehen, findet sie. »Wie funktioniert der Mensch, wie seine Umwelt? An einem Gebäude arbeiten Architekten und Ingenieure. Das ist gut, aber warum nicht auch Ökologen und Biologen?« Bei ihren Projekten – für »Ambara« etwa stellt sie mit ruandischen Fachleuten pflanzliche Textilien her – will sie es besser machen. Interdisziplinär arbeiten, alle Wechselwirkungen im Blick haben. Nachhaltig denken. Und immer weiter lernen.

Marisa ­Musing

Die 1994 geborene Kanadierin ist Architektin, Künstlerin und Designerin. Sie lebt in London und New York.

In der Pandemie hat Marisa ­Musing (auch: Müsing) angefangen, Figuren aus den Werken von Hieronymus Bosch detailgetreu auf Kleidungsstücke zu malen. So beginnen viele ihrer Projekte: Sie sucht nach Wegen, das Seltsame und Groteske zum Leben zu erwecken. Mit ihrem Tisch »Set No. 5« aus metallic-lackiertem Holz, den sie zusammen mit dem Architekten Álvaro Gómez-Sellés entworfen hat, möchte sie weg »von der erwartbaren Funktionalität von Alltagsmöbeln«. Das bullige Set aus Tisch, Hocker und Kleiderablage fungiert als Minibar und hat in der De­signszene der USA viel Aufsehen erregt. Aktuell arbeitet Musing an einer Serie digitaler 3-D-Renderings, die von antiken Zeichnungen und Fresken angeregt sind.

Youyang Song

Die vielfach ausgezeichnete Designerin erforscht neue Wege in der Materialentwicklung. Sie lebt in Berlin.

Design kann schön, robust, umweltfreundlich und bezahlbar zugleich sein. Song produziert opake Oberflächenmaterialien in allen Farben aus Bioabfällen wie Bananenblättern, Orangenschalen und Algen und entwirft daraus Produkte wie Tragetaschen, Vasen oder Garn. »Die Welt ist verschmutzt, das ist besorgniserregend«, sagt sie. Aber, und diese Hoffnung macht ihre Arbeit aus: Sie muss es nicht bleiben. »Die konventionelle Stoffindustrie ist sehr ressourcenintensiv. Ich sehe ein enormes Potenzial für Zero-Waste-Produkte in der Lifestylebranche.«

Elissa Lacoste

Die 1994 geborene Französin verbindet Kunst und Design, um ästhetische Normen zur Diskussion zu stellen.

In einer Zeit, in der perfektes Aussehen und Selbstoptimierung hoch im Kurs stehen, müssen Elissa Lacostes Entwürfe provozieren: Ihre gedrungenen Tische, Sessel und freien Objekte aus Silikon und Steinpulver erinnern mal an Tropfsteine, mal an adipöse Wucherungen mit Dehnungsstreifen. »Egal ob Ekel, Angst oder Scham, ein Design ist für mich gut, solange es eine Reaktion hervorruft«, sagt Lacoste. Ziel ihrer Arbeit sei es, geltende Schönheitsideale zu hinterfragen, statt bloß etwas Schönes zu kreieren.