»Der perfekte Aktivist weiß, wann er ein Clown sein muss«

Srdja Popovic hat vor Jahren geholfen, den serbischen Präsidenten zu stürzen. Heute bringt er Aktivisten in aller Welt bei, wie man Diktatoren los wird.

Srdja Popovic, 42, leitet seine unabhängige Organisation Canvas (Center for Applied Nonviolent Action and Strategies) von Belgrad aus. Canvas berät Bürgerrechts- und Demokratiebewegungen in aller Welt. In Kürze erscheint Popovics Buch »Protest! Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt« (S. Fischer Verlag).

SZ-Magazin: Sie haben in Belgrad eine Organisation gegründet, die in den vergangenen zwölf Jahren Aktivisten in mehr als vierzig Ländern beraten hat. Ist Revolution heute eine Frage der PR?
Srdja Popovic: Nein. PR ist wichtig, aber ohne Inhalt wertlos. Ein Werkzeug, um eine Vision zu verkaufen. Aber man kann mit noch so guter PR nicht alles verkaufen. Niemand kann auf Dauer lügen.

Was verkaufen Sie? Demokratie, Umweltschutz, Menschenrechte?
Ich selbst verkaufe gar nichts, ich berate Menschen, die für eine soziale Vision eine Mehrheit in der Gesellschaft suchen. Ich verteile die Werkzeuge des zivilen Ungehorsams, damit Menschen sich gegen Ungerechtigkeit effizient zur Wehr setzen können. Letztlich befördere ich damit natürlich Demokratie und ihre Werte überall auf der Welt. Aber Aktivismus fängt vor der Haustür an, etwa wenn sich in Belgrad die Nachbarn zusammentun, um etwas gegen die Rattenplage zu unternehmen. Schon dafür muss man wissen, wie man Leute hinter einer Vision sammelt und gegen untätige Vermieter in Aktion tritt.

Sie meinen, es gibt gar keinen großen Unterschied, ob man eine Bewegung gegen Vermieter oder gegen Diktatoren gründet?
Vom Prinzip her nicht.

In der Regel sind Ihre Gegner Diktatoren. Hat schon eine Regierung versucht, Ihre Arbeit zu behindern?

Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Ländern, die uns die Einreise verweigern, und einige Regierungen betreiben auch regelrechte Propaganda gegen uns.

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Wer denn?
Russland behauptet, wir wären böse Serben, die von der CIA finanziert würden, um amerikanische Interessen durchzusetzen. In Venezuela machte der damalige Präsident Hugo Chavez im Fernsehen Stimmung gegen uns. Ich würde es auf keinen Versuch mehr ankommen lassen, dort einzureisen.

In Venezuela haben Sie einige Studentengruppen beraten. Aber in Russland haben Sie doch bisher nie gearbeitet?
Stimmt. Aber das russische Verteidigungsministerium und der Geheimdienst FSB sind paranoid. Sie machen in sozialen Medien Propaganda und rufen die Jugend dazu auf, sich in Kursen gegen serbische Verführer zu immunisieren. Für den Fall, dass wir wirklich kommen.

Wie groß ist Ihre Organisation?
In Belgrad sind wir sechs Leute plus Praktikanten, und wir haben zwölf Trainer in Serbien, Georgien, Südafrika und auf den Philippinen, die auf der ganzen Welt unsere Workshops für Aktivisten durchführen. Unsere Fixkosten werden von etwa 15 privaten Sponsoren getragen, für die Workshops und Reisekosten suchen wir jeweils projektbezogene Spenden von Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen.

Schon mal ausgewiesen worden?
Offiziell nie. Man wies uns im Libanon während der Zedernrevolution 2005 die Tür. Ein Mitarbeiter wurde aus den Malediven ausgewiesen – er wurde nicht offiziell verhaftet, aber die Polizei setzte ihn in den Flieger. Schlimmer ist allerdings, wenn die Leute bestraft werden, die unsere Hilfe angefragt haben, das passierte 2009 im Iran. Der sensibelste Zeitpunkt ist die Zeit nach einem Treffen. In Syrien wurden einige Aktivisten nach einem Workshop bei uns gleich bei der Einreise am Flughafen verhaftet. So etwas darf nicht wieder passieren. Auch deswegen gehen wir jetzt online und entwerfen in Zusammenarbeit mit der Harvard-Universität einen kompletten Online-Kurs über das, was wir vermitteln wollen. Unsere Bücher kann man sich ja längst von unserer Homepage gratis in mehreren Sprachen herunterladen.

Haben Sie je die Zusammenarbeit mit jemandem abgelehnt?
Ja, eine Gruppe im Libanon hatte zu engen Kontakt zur Hisbollah und eine gewaltsame Vergangenheit. Wir fordern unbedingte Gewaltfreiheit, wir dulden nicht einmal Gewalt gegen fremdes Eigentum. Und das nicht unbedingt aus moralischen Gründen, sondern weil gewaltfreie Bewegungen statistisch betrachtet mit 53 Prozent viel höhere Erfolgsaussichten haben als gewaltsame Kampagnen, da sind nur 26 Prozent erfolgreich.

Wie entscheiden Sie, wem Sie helfen?
Wir holen Hintergrundinformationen ein. Das Spektrum sozialer Bewegungen ist in der Regel überschaubar, und Aktivisten kennen sich untereinander. Die einzige rote Linie für uns ist ein gewaltsamer Hintergrund. Ansonsten würde ich mit jedem sprechen. Denn egal ob Bewegungen links oder konservativ sind, alle brauchen eine Vision, mit der sie die Mitte erreichen, um überhaupt etwas verändern zu können. Wenn sich eine radikale Gruppe mittel-fristig nicht auf die Mitte der Gesellschaft zubewegt, wird sie keinen Erfolg haben.

Was trainieren Sie in den Workshops? Rollenspiele mit Polizist und Demonstrant?
Nein, nein. Unsere Workshops dauern in der Regel fünf Tage, jeweils mit verschiedenen Fragen als Schwerpunkt: Was könnte als Vision dienen? Wie eint man die Opposition? Wie bringt man die Säulen der Macht ins Wanken? Wo ist der politische Gegner am schwächsten? Welche Strategien sind geeignet für den gewaltfreien Widerstand? Am dritten Tag etwa überlegen wir, wie man Protest in eine geordnete Bewegung verwandelt, und lassen dafür die Leute beispielsweise eine Geburtstagsparty organisieren. Für eine gelungene Party muss man fünfzig Punkte bis hin zum Abwasch und der Müllentsorgung erledigen – genau wie bei einer Demonstration. Und selbst wenn die Aufgabenliste abgearbeitet ist, kann eine Demonstration oder Party noch ins Wasser fallen, weil das Wetter nicht mitspielt.

Niemand hat Angst, auf eine Party zu gehen. Bei einer Demonstration kann viel passieren.
Ja, wenn 30 000 Leute friedlich zusammenkommen und nur drei einen Stein werfen, berichten die Zeitungen allein über die Steinewerfer, und die Veranstaltung wird zum Misserfolg. Und je höher das Risiko, desto weniger Demonstranten. Deshalb gilt es genau zu überlegen, welche Taktiken die Leute aus der Mitte mittragen, welche nicht. Wie hoch ist das jeweilige Risiko? Ein Restrisiko bleibt immer. Und eine soziale Bewegung hat nur eine Chance, wenn ihre Identität stärker als die Angst ist. Aber man kann der Angst begegnen, man kann die Menschen vorbereiten.

Wie nehmen Sie Aktivisten in einer Diktatur die Angst?
Was ist Angst? Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum wir Angst haben und in die Hose pinkeln?

Aus Furcht vor der Ungewissheit?
Ich meine die körperlichen Begleiterscheinungen: Das Herz schlägt schneller, manch-mal scheißt man sogar in die Hose. Das Blut geht in den Kopf und ins Herz, Wunden bluten weniger. Angst ist sehr natürlich, jeder hat Angst. Mutter Natur präpariert uns durch Angst zur Flucht oder zum Kampf. Aber man kann den mentalen und physiologischen Effekten begegnen und Leute für Situationen präparieren, in der sie Angst und Terror ausgesetzt werden.

Wie geht das denn?
Ich war als Aktivist im Kampf gegen die Diktatur von Slobodan Milosevic beteiligt. Unser Plan B in Serbien war eine Kurzwahl auf dem Handy. Damit schickte ein Aktivist, dem die Verhaftung drohte, zwanzig SMS gleichzeitig los, die Eltern, Freunde und einen Anwalt benachrichtigten. Der Anwalt fuhr dann sofort aufs Revier, und dort machten Zuschauer Krach, sodass der Verhaftete sie drinnen hören konnte. Jeder Aktivist wusste, dass in der Regel erst rechte Schläger kommen, bevor man von Polizeibeamten festgenommen wird. Jeder von uns wusste, dass er von zwei Beamten verhört wird, der eine bietet Kaffee an, der andere schlägt den Verhafteten, sobald der erste den Raum verlässt. Jeder kannte die Liste von Fragen, die ihm gestellt werden, und wusste die Antworten, die er geben sollte. Wenn jemand tatsächlich verhaftet wurde, war er vorbereitet.

Hat die Theorie funktioniert, als Sie selbst verhaftet wurden? Hatten Sie wirklich keine Angst mehr?

Doch, aber ich verhielt mich trotzdem frech, schmiss mein Handy weg, machte Krach. Vier Leute schlugen mich eine halbe Stunde lang, brachen mir zwei Rippen, das war nicht schlimm, aber unangenehm genug, und dann steckten sie mir eine Waffe in den Mund. Ich sagte ihnen: Ihr erschießt mich nicht mit eurer Dienstwaffe auf der Wache am helllichten Tag. Wenn ihr mit mir reden wollt, nehmt die Waffe weg. An diesem 15. Dezember 1998 hatte ich jede Menge Angst, aber ich zeigte sie nicht, und deswegen hörten sie auf. Wäre mir das Gleiche im Wald passiert, hätte ich wahrscheinlich nicht so kühl reagieren können.

Es gibt doch sicherlich Situationen, auf die man sich als Aktivist nicht vorbereiten kann.
Man kann Menschen auch emotional auf Angst vorbereiten: einige durch Gebet, andere durch Gesang oder Gesellschaft oder einen guten Scherz. Vor einer Operation will man auch nicht genau wissen, wann das Herz stehen bleibt, damit der Bypass eingesetzt werden kann, man bekommt lieber einen Klaps auf den Rücken und einen blöden Spruch zu hören.

»Wir haben in den Neunzigern ein Fass mit dem Gesicht von Milosevic auf die Straße gestellt, jeder Passant durfte mit einem Baseballschläger draufhauen«

Sie meinen, der perfekte Aktivist sollte zugleich ein Clown sein?
Der perfekte Aktivist weiß, warum, wie und wann er ein Clown sein muss.

Einer Ihrer Slogans heißt, lachen sei zehn Mal effektiver als schreien. Meinen Sie das damit?
Humor erfüllt drei Funktionen in sozialen Bewegungen: Ein Witz kann die Angst mindern, das ist physiologisch messbar. Außerdem ist es cool, über sich selbst zu lachen und sich nicht allzu ernst zu nehmen. Die Leute finden Humor anziehend. Politiker nehmen sich oft viel zu ernst, was drittens zur Folge hat, dass Humor oft sehr dumme Reaktionen provoziert und deshalb sehr wirksam sein kann.

Wann zum Beispiel?
Nehmen wir die Spielzeug-Demonstration gegen Putin in einer sibirischen Stadt namens Barnaul. Bei den Wahlen 2012 waren Putins Anhänger zu eifrig gewesen, sie ließen ihn mit 86 Prozent gewinnen. Das brachte die Opposition auf die Straße. In den großen Städten waren die Behörden schlau genug, der Opposition zu erlauben, ein bisschen Dampf abzulassen. In diesem kleinen Dorf verboten sie eine Demonstration. Daraufhin bauten die Leute auf zwei Quadratmetern eine kleine Lego-Stadt und malten Protestplakate für die Figuren, auf denen sie freie Wahlen forderten. Die Polizei reagierte gelassen, sie drehten sogar eigene Filmchen mit dem Smartphone, in einem kleinen Ort kennt man sich. Aber irgendjemand stellte einen Film auf Youtube, die Behörden in Moskau bekamen Wind von der Sache und ordneten an, dass weitere Spielzeug-Demonstrationen zu verbieten seien. Der Mann, der so viel in sein Macho-Image investiert hat, zeigt Angst vor Spielzeug.

Die Öffentlichkeit hat von der Aktion doch kaum Notiz genommen.
Das sehe ich anders. Angesichts des geringen Aufwands war die Aufmerksamkeit im Internet recht beachtlich: Der Wert des Spielzeugs ist niedrig, fünf Väter können es bei ihren Kindern ausleihen. Das Risiko ist niedrig, weil es keine Aggression provoziert und es nirgendwo auf der Welt verboten ist, Spielzeug mit nach draußen zu nehmen. Und es bringt die Regierung in eine Zwickmühle: Soll sie es durchgehen lassen, Putin lächerlich zu machen, und in Kauf nehmen, dass andere so etwas nachmachen? Oder es verbieten und sich nachsagen lassen, dass Putin Angst vor Spielzeug hat? Die Behörden können in so einer Situation nur verlieren. Die Aktion ist also nicht nur lustig, sondern sie zwingt den Gegner, sich entweder dämlich zu verhalten oder schwach zu wirken.

Würde eine Spielzeug-Demonstration woanders funktionieren?
Der Gegner ist nicht immer so einfach gestrickt wie Putin. Milosevic etwa hätte sich nicht so leicht provozieren lassen, seine Frau allerdings trieb ihn stets an, sich nichts gefallen zu lassen. Über George Bush konnte man sagen, er sei ein schießwütiger Cowboy – und am nächsten Tag trug er einen Cowboy-Hut. Er reagierte wie Teflon, jeder Witz über ihn schmierte ab. Der Premierminister von Montenegro war auch zu clever. Sein Gepäck ging in Brüssel verloren, er musste sich für ein Treffen einen Anzug kaufen. Aber er kaufte auch einige Unterhosen – und ließ sich auch deren Rechnung vom Staatshaushalt erstatten. Das fand eine Gruppe junger Aktivisten gegen Korruption heraus. Sie sammelten Unterhosen bei der Bevölkerung ein und hängten die ganze Wäsche vors Parlament. Der Premier reagierte gut, er kam heraus und sagte vor laufender Kamera: »Okay, ihr habt mich erwischt. Gratuliere. Tut mir leid.« Das war die einzige Reaktion, mit der er sich retten konnte. Und die Öffentlichkeit ließ ihm das durchgehen. Viele Politiker haben über die Jahre dazugelernt.

Auch Putin ist noch an der Macht.
Gandhi hat ebenfalls nicht sofort die Unabhängigkeit von Indien erreicht, und doch hat er den Dilemma-Aktivismus erfolgreich eingesetzt: Bei dem von ihm organisierten Salzmarsch gegen die englische Salzsteuer hatten die Engländer die Wahl, entweder mit Gandhis Verhaftung dumm auszusehen, oder schwach, wenn sie ihn gewähren ließen. Genau vor dieses Dilemma muss eine Bewegung die Regierenden stellen. Im Iran besuchten einige Frauen ein Qualifikationsspiel für die Fußball-WM, sie waren verkleidet, weil Frauen im Iran nicht ins Stadion dürfen. Auf der Tribüne legten sie ihre Verkleidung ab. Mit ihrer Verhaftung hätte man Fifa-Sanktionen riskiert, deshalb ließ man sie gewähren und sah schwach aus. Am besten funktioniert der Dilemma-Aktivismus mit Humor. Wir haben in den Neunzigern ein Fass mit dem Gesicht von Milosevic auf die Straße gestellt, jeder Passant durfte mit einem Baseballschläger draufhauen. Die Polizisten blieb die Wahl, schwach auszusehen – oder dumm und das Fass zu verhaften. Sie wählten die dumme Variante.

Warum werden solche Aktionen nicht öfter kopiert?
Manchmal werden sie das ja. Denken Sie nur daran, was Aktivisten 2011 mit den Schlaglöchern in Sibirien gemacht haben: Sie malten das Gesicht des korrupten Bürgermeisters drumherum, das Schlagloch selbst war der riesige Mund des Mannes, der Steuergelder kassierte, ohne die Straßen zu reparieren. Und wissen Sie, wie die Gemeinde reagiert hat? Sie hat die Farbe von der Straße entfernt, statt endlich die Löcher instandzusetzen. Wieder hieß die Wahl dumm gegen schwach, der Bürgermeister hat sich für dämlich entschieden. Aktivisten in Guatemala und Panama haben das gleich adaptiert. In Jekaterinburg hat man sogar das Dokument auf die Straße gemalt, in dem versprochen worden war, die Schlaglöcher zu reparieren. In den USA wurden Blumen in Schlaglöcher gepflanzt. Oder Eishockeypucks mit einem Sender hineingelegt. Jedesmal wenn jemand drüberfuhr, haben die Pucks einen Tweet gesendet: »Reparier mich«. Wir haben nie mit den Jungs gearbeitet, aber sie haben perfekt den Sinn von Dilemma-Aktivismus verstanden.

Waren Sie schon als Kind lustig?
Ja, das habe ich von meinem Vater. Aber auch alle Mitstreiter in der Bewegung gegen Milosevic haben ständig Witze gerissen. Wenn wir als Chaoten und Wahnsinnige verteufelt wurden, sind wir am nächsten Tag mit einem Sticker erschienen: Ich bin eine Kraft des Chaos und Wahnsinns. Die Neunziger waren eine depressive Zeit in Serbien, überall herrschte Hoffnungslosigkeit. Witze waren alles, was uns blieb.

Versuchen Sie jetzt in Ihren Workshops, den Aktivisten Humor beizubringen?
Nein, das geht natürlich nicht. Aber wir ermutigen sie, lustig und kreativ zu sein.

Kann man Kreativität lehren?
Auch nicht wirklich, doch man kann Situationen schaffen, für die man kreative Lösungen entwickeln muss. Wir liefern ja keine fertigen Ideen. Wir liefern den Aktivisten nur eine Blaupause und das passende Werkzeug. Aber manchmal erfindet man das Rad auch zweimal. Was waren wir stolz, als wir die Idee hatten, aus Protest gegen Milosevic nur noch ganz langsam Auto zu fahren! Bis wir irgendwann erfuhren, dass die Chilenen das schon zwanzig Jahre zuvor bei Pinochet gemacht hatten. Aber grundsätzlich müssen Aktivisten begreifen, dass man sich nicht wiederholen und die Leute langweilen darf. Das war ein Grund für das Scheitern der Bewegung in Hongkong: Denen fiel nichts anderes ein, als jeden Tag zum selben Ort zu gehen. Es gibt so gut wie immer etwas Schlaueres, als 20 000 Menschen für zwei Stunden irgendwo zu versammeln und das Risiko einzugehen, dass irgendjemand einen Stein wirft. Viel besser kann schon eine Aktion sein, bei der die Leute dazu ermuntert werden, ihre Hosen aus dem Fenster zu hängen. Oder das Radio in ihren Autos laut zu stellen.

In Polen fuhren die Leute Anfang der Achtzigerjahre während der Hauptnachrichten ihre Fernseher spazieren, um zu demonstrieren, dass sie den Lügen des kommunistischen Regimes nicht mehr glaubten.

Eine großartige Aktion. Auch die konnte nur den Polen selbst einfallen. Mit Humor und Kreativität gewinnt man mehr Unterstützer als mit gewöhnlichen Demonstrationen. Außerdem hält man das Risiko nied-rig. Wie will man den Leuten verbieten, mit ihrem Fernseher herumzuspazieren?

Hätte man Hitler mit Witzen verhindern können?
Die Frage zielt darauf, ob man Hitler mit gewaltfreiem Widerstand hätte aufhalten können. Da bin ich unschlüssig. Zu Beginn sicherlich. Das Problem bei Hitler war aber, dass ihn Anfang der Zwanzigerjahre niemand ernst nahm. Als es dann zu spät war, hat ihm Chaplins Film immerhin immens geschadet. Die gleiche Frage stellt sich ja auch beim IS. Wir arbeiten jedenfalls mit der Gruppe aus dem Libanon zusammen, die Sketche über die radikalen Islamisten entwickelt.

Wer sind Ihre derzeitigen Klienten?
Ich arbeite an dem Online-Projekt mit Harvard. Meine Mitarbeiter haben sich zuletzt in Seoul mit Flüchtlingsgruppen aus Nordkorea getroffen und überlegt, was man da anstellen könnte. Das lässt sich vielversprechend an. Zum ersten Mal stammen die Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Schichten, zuvor sind zumeist Intellektuelle geflohen.

Wie wollen denn Flüchtlinge von Seoul aus die Entwicklung in Pjöngjang beeinflussen?
Sie schmuggeln Informationsmaterial ins Land, sie schicken Ballons rüber. Es gibt eine Million DVD-Geräte in Nordkorea – gekauft auf dem chinesischen Schwarzmarkt, um Seifenopern aus Südkorea zu sehen. Jeder DVD-Spieler hat einen USB-Anschluss. Also schmuggeln sie USB-Sticks.

In dem Buch Protest!, das nun in Deutschland erscheint, veröffentlichen Sie Ihre Mail-Adresse: psrdja@gmail.com. Ist das Ihre Privatadresse?
Ja. Ich habe das gemacht, um mir über die Post ein Bild von den Bewegungen in den Ländern machen zu können, in denen das Buch jeweils erscheint. Aus Mails habe ich zum Beispiel erfahren, wie stark in den USA die Themen Schwulenrechte und Legalisierung von Cannabis die Menschen umtreiben.

Sie haben mal geschrieben: Ich bin kein Politiker, sondern Revolutionär. Wo ist der Unterschied?
Ich bin früh in die Politik gegangen und liebe die Dinge, die ich dabei gelernt habe: Reden halten, Demonstrationen organisieren, Strategien entwickeln. Aber ich habe mich im Parlament nie wohlgefühlt, wenn ich mit Anzug und Krawatte den roten Knopf für Nein und den grünen für Ja gedrückt habe. Ich habe das drei Jahre nach dem Sturz von Milosevic bis 2003 gemacht – bis Zoran Djindjic von der Mafia ermordet wurde. Er war mein Mentor, mein Freund, mein Held. So einen Mann trifft man nur alle fünfzig Jahre. Nach seinem Tod hatte ich keine Lust mehr aufs Parlament. Außerdem ist mein Lieblingstier der Haifisch. Haie sind primitive Maschinen, sie müssen sich ständig bewegen; wenn sie aufhören, gehen sie unter, wie soziale Bewegungen auch. Politische Parteien hingegen dürfen im Status quo verharren.

Gehören Sie auch einer sozialen Bewegung an?
Nein, aber wenn ich Zeit hätte, würde ich eine Bürgerbewegung gegen Hundescheiße gründen. Belgrad ist die Welthauptstadt der Hunde, für Kinder bleibt kein Platz.

(Fotos: Charles Emir Richards, Picture Press/David Levene/Eyevine; Czuko Williams/Demotix/Corbis; Anton Butsenko/picture alliance/TASS; Splash News)