Kühe mit guten Freundinnen

Was wir von Milchvieh und Aristoteles über Freundschaft lernen können und die Toten Hosen schon lange prophezeit haben.

Illustration: Dirk Schmidt

Vor einigen Tagen las ich mal wieder in der schönen Doktorarbeit von Krista Marie McLennan (University of Northampton, 2013). Es geht um Soziale Bindungen bei Milchvieh. Zu den Ergebnissen der Studie gehört, dass unter Kühen etwas wie Freundschaft existiert. In einer großen Herde verbringe mehr als die Hälfte der Tiere, schrieb McLennan, die Zeit des Grasens und Ruhens an der Seite eines bestimmten anderen Tieres.

Trennte man nun Kühe von der großen Herde, so ergab sich, dass diejenigen, die mit ihrer Freundin zusammenbleiben durften, einen ruhigeren Puls behielten und überhaupt weniger aufgeregt waren, sie stampften nicht mit den Hufen und schaukelten nicht ihre Köpfe, wie es jene taten, die mit einem x-beliebigen anderen Tier ihre Zeit verbringen mussten. Zwei Freundinnen, kann man hier sehen, ist der Rest der großen Rinderherde weitgehend wurscht, wenn sie nur zusammen sein können – wen erinnert das nicht an den Song Freunde von den Toten Hosen?
»Der Rest der Welt, wir scheißen drauf
Alles, weil wir Freunde sind.«
Ja, wir scheißen drauf, das ist ein Text wie gemacht für Rinder aller Art.

Man könnte es aber auch mit Michel de Montaigne sagen, der in seinem Essay Von der Freundschaft (mit dem er seinem früh verstorbenen Freund Étienne de La Boétie ein Denkmal errichtete) das Feuer und die Fieberhitze der Liebe von jenen Temperaturen unterschied, die in der Amitié herrschen: »In der Freundschaft ist es eine allgemeine und alles erfüllende Wärme, milde überdies und gleichmäßig; eine beständige und ruhige, ganz Innigkeit und Zartheit, die nichts Brennendes oder Durchbohrendes hat.«

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Interessant, nicht wahr, dass wir über eng­lische Rinder, die Toten Hosen und Mon­taigne plötzlich bei dem Beruhigenden sind, das zur Freundschaft gehört. Ein Freund ist der, den man anruft, wenn man aufgebracht ist, durcheinander, verwirrt, und es ist der Gleichklang mit diesem Freund, der einen ruhiger ticken lässt und in stillere Gewässer lotst. Müsste man nicht in diesen hysterischen Zeiten auf der Stelle einen Essay über den Wert der Freundschaft gerade jetzt ­schreiben? Also: dass jeder von uns nun gute Freunde braucht (nicht solche bei Facebook, sondern wahre, anrufbare, anfassbare Freunde), die einen vor den Ausrastern bewahren, die schon morgendliche Zeitungslektüre an einem beliebigen Tag mit sich bringen kann.

Ja, das müsste man, aber wir wollen lieber noch mal auf die Rinder zu sprechen kommen, die sich (das wissen wir aus der 2009 erschienenen Studie Individual Recog­nition in Domestic Cattle, also Indivi­duelles ­Wiedererkennen bei Hausrindern, von Marjorie ­Coulon und anderen) sogar auf Fotos, wie gesagt: wiedererkennen! Anfang der Achtzigerjahre untersuchte man Zebu-Rinder in Kenia – siehe dazu den Artikel in der Zeitschrift Behaviour, Band 77, Nr. 3 (1981), Seite 121 ff. – und stellte fest, dass sich Freundschaft bei ihnen vor allem durch gegenseitiges Ab­schlecken ausdrückt, wobei in der Regel eine Kuh die Schleckerin, die andere die Geschleckte ist, die Sache aber reziprok nicht funktioniert.

Wie interessant ist das denn?!

Auch ist keineswegs das dominante Rind der Zebu-Herde das am häufigsten geschleckte, nein, Freundschaft funktioniert nach anderen Kategorien, sie müsse auf Gegenseitigkeit beruhen, schrieb ja bereits Aristoteles: Es gebe keine einseitige Freundschaft, Gegen­seitigkeit sei eine ihrer Voraussetzungen, die zweite Wohlwollen, die dritte, dass dieses Wohlwollen für den jeweils anderen auch ­erkennbar sei.

Übrigens geben Kühe mit guten Freundinnen mehr Milch und sind generell gesünder, weshalb es für den Menschen wirklich keinerlei Grund gibt, Milchviehfreundschaften irgendwie im Wege zu stehen. Dies zum Schluss als dringender Hinweis an die Rinderzüchter unter den Lesern.