Wie riecht die Pandemie?

In etlichen Ländern werden Spürhunde ausgebildet und teils schon eingesetzt, die Corona-Infizierte am Geruch erkennen sollen. Kann das funktionieren?

Cynthia Otto ist Trainerin am Hundezentrum der Universität von Pennsylvania in Philadelphia. In den vergangenen Wochen hat sie neun Corona-Spürhunde ausgebildet.

Foto: Eric Sucar/University of Pennsylvania

Das Problem: Corona-Tests von Reiserückkehrern sind chaotisch und langwierig.
Die Lösung: An den ersten internationalen Flughäfen, etwa in Dubai, werden Hunde eingesetzt, die Infizierte am Geruch erkennen.

Die derzeit schnellste Corona-Testerin kommt auf vier Beinen, hat schwarzes Fell und wird mit Würstchen bezahlt. Miss M. beschnüffelt ein Gebilde, das wie eine futuristischer Raumstation aussieht. Ein sternförmiges Metalldrehkreuz, ein sogenanntes »Geruchskreuz« mit Metalldosen an den zwölf Enden: Darin verbergen sich einzelne Urin- und Speichelproben, darunter eine oder zwei von Covid-19 positiven Patienten.

Abrupt bleibt Miss M. bei einer Probe stehen, als sei sie plötzlich eingefroren und setzt sich hin. »Gutes Mädchen!«, lobt die Trainerin am Hundezentrum der Universität von Pennsylvania in Philadelphia. Miss M. ist der Star der Stunde: Nach einigen Wochen Training am Good Dog Trainingszentrum kann sie zuverlässig erschnüffeln, ob sie eine Covid-19-positive Probe vor sich hat.

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Die Veterinärschule der Universität von Pennsylvania hat neun Hunde zu Corona-Testern ausgebildet, acht Labradore wie Miss M. und einen Belgischen Malinois. Die Trefferquote liegt bei 95 Prozent, hat die Universität jetzt bekanntgegeben. »Hunde sehen die Welt durch ihre Nase«, sagt die Studienleiterin Cynthia Otto. »Sie können jetzt schon Krankheiten wie Eierstockkrebs erkennen.« Otto hat zuvor  mit Hunden gearbeitet, die verschiedene Krebsarten, Malaria oder Unterzucker bei Diabetikern riechen. Die Theorie dahinter: Massive Infektionen oder Krebs verändern Zellen und damit auch den Geruch unseres Atems, unseres Schweißes und unseres Urins. »Geruchsspürhunde riechen niedrige Konzentrationen von flüchtigen organischen Verbindungen«, sagt Otto. »Viren haben ihre eigene olfaktorische ›Signatur‹. Dass Hunde Viren erschnüffeln können, steht außer Frage.«

Genau genommen riechen Hunde nicht die Viren an sich, sondern die biochemischen Veränderungen, die entstehen, wenn Viren Zellen angreifen. Für Menschennasen sind die Zellveränderungen durch Krankheiten nur im Extremfall erkennbar, aber der Geruchssinn von Hunden ist um ein Vielfaches sensibler als unserer. Die meisten von uns haben zwar die Nase voll von Corona, aber riechen können wir das Virus nicht.

Wie riecht die Pandemie? Miss M. am »Geruchskreuz«.

Foto: Pat Nolan/University of Pennsylvania

Im Labor gelingt den Hunden das Erkennen der Corona-Proben zuverlässiger als bei den kommerziellen Tests, aber wird es auch in der chaotischen Geruchsvielfalt eines Flughafens so gut klappen? Tausende Menschen aus Dutzenden von Ländern bringen unzählige Gerüche mit. Andererseits werden Hunde ohnehin schon oft an Flughäfen eingesetzt, etwa um Drogen, Geldscheine oder verbotene Substanzen zu erschnüffeln. Da liegt es nahe, sie auch zu trainieren, um infektiöse Krankheiten zu erkennen.

»Das Ziel ist, die Hunde an Flughäfen einzusetzen, wo Tausende von Menschen durchlaufen, so wie jetzt schon Sprengstoffhunde eingesetzt werden« sagt Cynthia Otto. Sie kooperiert unter anderem mit der amerikanischen Armee, die ohnehin bereits gut organisierte Hundeschulen hat und lebensrettende Spürhunde ausbildet. Wenn alles klappt, sind die Hunde als Corona-Tester nicht zu schlagen: sie schaffen bis zu 400 Leute in einer Stunde, können an Flughäfen, aber auch in Pflegeheimen oder Supermärkten eingesetzt werden, um Infizierte in Menschenmengen zu identifizieren.

Wie gut das im Alltag funktioniert, ist umstritten. In ernstzunehmenden Studien variiert die Zuverlässigkeit enorm. Vermutlich hängt es vom Training ab, von der Art der Erkrankung, die sich mal mehr, mal weniger olfaktorisch auswirken mag, und vielleicht hat auch ein vierbeiniger Profi mal einen guten oder einen schlechten Tag. Auch weiß man immer noch sehr wenig über das Corona-Virus, darüber, wie es genau die Zellen angreift und wie sehr sich das Virus auch selbst im Lauf der Ausbreitung verändert.

Hunde könnten durch Warteschlangen von Flugreisenden geführt werden, und wenn sie bei einzelnen Passagieren anschlagen, könnten diese Personen zu weiteren Tests aufgefordert werden

Miss M. hat inzwischen zehn Wochen Training hinter sich. Zuverlässigkeitsrate: nahezu 100 Prozent. Sie arbeitet verlässlicher als jeder kommerzielle Covid-19 Test, der derzeit auf dem Markt ist. Trotzdem ist es ein Riesenschritt vom Labor zum Flughafen oder ins Krankenhaus. Selbst Cynthia Otto glaubt nicht, dass Hunde die Tests alleine bewältigen könnten. Aber als Teil umfassender Testmodelle könnte ihr Einsatz sinnvoll sein. Hunde könnten durch Warteschlangen von Flugreisenden geführt werden, und wenn sie bei einzelnen Passagieren anschlagen, könnten diese Personen zu weiteren Tests aufgefordert werden. So ähnlich funktioniert es ja jetzt schon bei Drogen- oder Sprengstoffspürhunden: Einzelne Reisende werden dann eingehender überprüft. Die Penn Universität wird demnächst die nächste Stufe des Trainings angehen, die sogenannte »T-Shirt-«: Statt der Urinproben werden den Hunden T-Shirts von 200 Covid-negativen und 200 Covid-positiven Menschen vorgelegt. Weil sich viele Sorgen um die Hunde machen, sei dazu gesagt: Die Versuche werden so gestaltet, dass sich die Hunde bei den Studien nicht selbst mit dem Virus infizieren können; sie werden aber zur Sicherheit trotzdem regelmäßig auf Covid getestet.

Der internationale Flughafen von Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist nun der erste, der tatsächlich seit Anfang August Corona-Spürhunde für die eintreffenden Reisenden einsetzt. Ankömmlinge aus Risikoländern geben mit Hilfe eines Teststäbchens eine Schweißprobe aus den Achselhöhlen ab. In einem laborähnlichen Nebenraum schnüffelten die Hunde in den letzten Wochen mehr als 400 Proben. Die Zuverlässigkeitsquote liege bei knapp 92 Prozent, sagen die Studienleiter. Theoretisch müssten alle Proben negativ sein, weil die Arabischen Emirate negative Testergebnisse verlangen, bevor Reisende überhaupt in ein Flugzeug nach Dubai steigen dürfen. Die Hunde arbeiten sozusagen als Backup für die konventionellen Tests aus anderen Ländern.

Es ist noch zu früh zu sagen, ob das ein Modell für andere Länder und Flughäfen sein kann. Belgien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Australien und mehrere lateinamerikanische Länder melden ebenfalls erste Erfolge und arbeiten mit Hochdruck an seriösen Studien.

In Deutschland bildet die Bundeswehr-Hundeschule Ulmen Corona-Spürhunde aus: 83 Prozent der positiven Proben und 96 Prozent der negativen Kontrollproben hätten die Hunde richtig erkannt, berichtet das Team der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Die Initiative machte kurz Schlagzeilen als Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Diensthundeschule Ende Juli besuchte und die Anstrengungen der vierbeinigen »Kameraden« als »sehr ermutigend« lobte. 

Wenn die Kameraden so eifrig weitermachen, werden womöglich auch deutsche Flughäfen noch bald auf den Hund kommen.