Rolf Henke: früher Drucker, heute Biobauer

Ob er Flugblätter gegen den Imperialismus druckt oder tanzende Kühe züchtet – Rolf Henkes Arbeit ist immer politisch.

Rolf Henkes erste Laufbahn begann am 2. Juni 1967: »Da hat mir ein Polizist in der Berliner Grolmannstraße seinen Knüppel auf den Kopf gehauen. Seitdem räche ich mich dafür.«

Als Henke wütend war, versteckte er eine Druckerpresse im Keller der »Kommune 2« in Berlin-Charlottenburg. Henke gehörte nicht zur Apo, aber bald druckte er für sie alles, was man in der Adenauer-Zeit aus Bibliotheken und Buchläden verbannt hatte: Wilhelm Reichs Die Funktion des Orgasmus oder Flugblätter für die Liga gegen Imperialismus. Den Raubdrucken folgten die ersten linken Stadtmagazine.

Er war ein Tüftler, der wissen wollte, wozu die kleinste Schraube in der Druckerpresse dient, und er war ein Stratege, der überlegte, wie Chef und Arbeiter zugleich von ihrer Arbeit gut leben könnten. Er hatte schnell Erfolg, obwohl er nur druckte, was ihm gefiel, was er für gesellschaftlich wertvoll hielt. Druckaufträge für die SPD unter Willy Brandt nahm er nicht an, das Stadtmagazin Zitty und das Fußballmagazin Kicker druckt er bis heute. Aber Drucker ist er nur mehr nebenbei. Rolf Henke ist jetzt vor allem Biobauer. Er pendelt jede Woche zwischen der Uckermark, Berlin und Köln am Wochenende, wo Frau und die beiden Kinder bleiben wollten.

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Heute hängt Willy Brandt in Henkes Küche in der Uckermark. In seinem zweiten Leben ist er auch gegenüber der SPD milder geworden. Er lobt Brandt, und in dem gleichen Ton lobt er die Köchin im Gästehaus auf dem Gut für ihre großartige Idee, weißen statt schwarzen Pfeffer zu verwenden, denn »der weiße Pfeffer verleiht der Erbsensuppe doch eine beinahe orientalische Note, nicht wahr?« Ein Mann, der von der Schönheit der Uckermark schwärmt, der träumt nicht mehr von Rache. Fast zärtlich spricht Henke von seinen zufriedenen Kühen, manchmal sehe er sie auf der Weide tanzen. Wie das denn bitte schön geht? Er deutet es mit den Händen an: eine Art Bocksprung mit den Vorderhufen.

1997, da war er fünfzig, hat Henke Gut Temmen von der Treuhand gekauft. Es liegt etwa achtzig Kilometer nördlich von Berlin. Henke mag das Wort nicht, aber Temmen ist ein altes Rittergut, seit 1290 bewirtschaftet, und er ist eben doch ein echter Gutsherr über 2500 Hektar Weiden, Wiesen und Äcker. Henke hat einen erfahrenen Bauern als Geschäftsführer eingestellt und sofort auf ökologische Landwirtschaft umgestellt. 1500 Rinder, 200 Schweine, zwanzig Angestellte.

Der Hof ist bis nach Berlin bekannt für seine Salami, die hier Stracke genannt wird. Sie wird aus allen Teilen des Schweins gemacht, selbst der teure Schinken wandert in Henkes Strackwurst. In einem eigenen Hofladen kann man sie kaufen. Einen Pferdestall und eine Gärtnerei für seltene Wildsamen hat Henke noch als Untermieter aufgenommen. Besucher dürfen sich im Gästehaus einmieten.

Das Gut liegt idyllisch, Angela Merkel hat ihr Wochenendhaus im Nachbarort. Im Sommer kann man im eigenen See schwimmen, im Winter in einer Wohnwagensauna schwitzen. Sogar seltene Schwarzstörche findet man. Henke träumt von einer Eichendorff-Lesung an einer der schönsten Stellen, dem Fischerwinkel.

Das Gut muss sich rechnen, aber Henke und sein Geschäftsführer, Hans-Martin Meyerhoff, experimentieren lieber mit dem Anbau von Klee und Luzernen, die sie zwischen dem Getreide wachsen lassen, das ist gut für ausgelaugte Böden. Einige Biobauern probieren das, die beiden Leiter von Gut Temmen schrecken auch vor ausgefalleneren Ideen nicht zurück: Dieses Jahr walzten sie ein Feld mit Sonnenblumen platt und säten Roggen darin, ohne vorher zu pflügen. In den pfluglosen Ackerbau setzen sie große Hoffnung, denn beim Pflügen in der flachen Uckermark fegt der Wind viel wertvolle Feinerde weg; in den Sonnenblumenresten konnte der Roggen windgeschützt wachsen.

Fünfzig verschiedene Landschaftsformen findet man auf Gut Temmen. Hügel, morastiges Seeufer, auch sehr sandige Ackerböden, die sich gut als Winterstellplatz für die Rinder eignen. Selbst bei zwanzig Grad minus stehen Henkes Herden noch auf der verschneiten Weide.

Die meisten Bauern in der Nachbarschaft pflanzen nur mehr Mais und Raps. Der bringt die meisten Fördergelder. Für Biobauern hat das deutsche Gesetz zur Förderung des Anbaus von Energiepflanzen verheerende Folgen. Die Pflege des Bodens und der Landschaft durch den Bioackerbau wird nicht mehr genügend honoriert. Henkes Wut von früher ist der Sorge um die Umwelt gewichen: »Die Gesellschaft muss verstehen lernen, dass unsere Wurst und unser Fleisch etwas teurer sind.«

Die Gesellschaft lernt schnell: Allein fünfzig Rinder im Jahr liefert das Gut an das Berliner Lokal »Grill Royal«. Roast Beef und Färsenfleisch vom Gut Temmen sind in Berlin längst ein Begriff geworden.

Der Weg vom Drucker zum Bauern war nicht weit, sagt Henke. Es sind keine zwei Leben, die er geführt hat.

Als Drucker in Köln und Berlin habe er das Gleiche gemacht wie nun als Ökobauer in der Uckermark: bestehende Strukturen hinterfragt, er nennt das: »seine strategische Denke in die Kultur der Arbeit einbringen«.

Dass seine Arbeit auf dem Gut und in der Druckerei mehr oder weniger die gleiche sein soll, glaubt man ihm natürlich nicht sofort. Aber dann erzählt er, wie er einmal ein Buch über Landwirtschaft aus dem Jahr 1905 zur Hand nahm. Er fand darin eine ausgeklügelte Kuhstalllüftung mit diffizilen Wärmeberechnungen.

Und dann musste er 1997 eine moderne Druckerei in Berlin bauen. Er sah gleich, dass sich das Prinzip der natürlichen Lüftung eines Kuhstalls auf die Druckerei übertragen ließ und sich so die enormen Kühlkosten für die Abwärme einer Druckerpresse verringern würden.

Er hat in den ersten Jahren viel Geld in den maroden Hof gesteckt, neue Traktoren gekauft, einige Scheunen repariert, gerade erst hat er ein großes Futtersilo gebaut. Aber seine Kühe haben Henke auch schon Millionen gespart. Seine Druckerei funktioniert jetzt wirklich wie ein Kuhstall.

Gut Temmen, Henke Ökoland GmbH, Dorfstraße 3 a, 17268 Temmen, Tel. 039881 / 208.

Fotos: Felix Brüggemann/Brigitta Horvat