Schuld ohne Sühne

Am 24. Juli 2010 starben 21 Menschen bei der Loveparade in Duisburg, mehr als 500 wurden verletzt. Bis heute ist die Schuldfrage nicht geklärt, ein Prozess in weiter Ferne. Fünf Jahre danach erzählen Betroffene und Beteiligte von jenem Tag, der alles veränderte - und ihrem Leben nach der Katastrophe. Eine Dokumentation.

Stefanie Mogendorf — hat ihren Sohn Eike verloren.
Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Das sagen viele Hinterbliebene von Loveparade-Opfern. Ich bin sicher, wenn ich sterbe, holt mich Eike ab.

Nadia Zanacchi — hat ihre Tochter Giulia verloren.

Sie ist nicht mehr da, aber auch nicht weg. Ein Geruch, eine Situation lässt dich kurz innehalten, dann geht das Leben wieder weiter.

Frank Andes — hat für den Veranstalter den westlichen Tunneleingang überwacht.

Man hat danach schon mal ne Flasche Alkohol getrunken, obwohl ich wusste, dass das der falsche Weg war.

Nicole Ballhause — war am östlichen Tunneleingang im Securityteam.
Ich hab mir das Datum des Unglücks über die linke Brust tätowieren lassen. Seitdem habe ich nachts im Traum keine Toten mehr vor Augen.

Bahadir Akman — ist im Tunnel fast gestorben.
Ich habe Probleme, U-Bahn zu fahren, vor allem wenn sie voll ist.

Meistgelesen diese Woche:

Paco Zapater — hat seine Tochter Clara verloren.
Sie ist für mich immer noch da, wie eine Matroschka. Ich hole mir immer die Clara raus, die ich gerade brauche.

Jörn Teich — hat die Katastrophe miterlebt und kümmert sich seitdem um Traumatisierte.
Sein Autokennzeichen: EN-LP-247 (nach der Landkreiskennung steht LP für »Loveparade« und das Datum: der 24. Juli).

Es ist einer der aufwendigsten deutschen Justizfälle der Nachkriegszeit. Bis zu fünf Staatsanwälte und 96 Polizisten haben ermittelt, die Hauptakte umfasst mehr als 44 000 Seiten, 3400 Zeugen wurden vernommen. Zu klären ist, wer die Verantwortung dafür trägt, dass eine Massenparty in einer Katastrophe mit 21 Toten und Hunderten Verletzten endete. Beschuldigt werden vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Beschäftigte der Stadtverwaltung Duisburg. Ihnen werden schwere Fehler bei der Planung und im Genehmigungsverfahren zur Last gelegt. Zudem sollen sie gegen Auflagen verstoßen beziehungsweise deren Einhaltung nicht geprüft haben. Sie werden von 22 Anwälten vertreten. Weder gegen Rainer Schaller, den Geschäftsführer des Veranstalters Lopavent, wurde Anklage erhoben, noch gegen Adolf Sauerland, damals der Oberbürgermeister von Duisburg und höchster Entscheidungsträger seiner Behörde. Obwohl das Unglück bereits fünf Jahre zurückliegt, hat das Hauptverfahren noch nicht begonnen. Es ist sogar möglich, dass die Anklage gar nicht zugelassen wird – das entscheidet sich frühestens im Herbst. Noch kämpfen die Verteidiger dafür, dass es gar nicht erst zum Prozess kommt: Sie fechten das Gutachten des Sachverständigen Professor Keith Still an, zentrales Beweismittel der Anklage. Dieser Stand ist schwer zu ertragen für Angehörige wie Nadia Zanacchi und Paco Zapater und seine Frau Nuria, deren Kinder auf dem Weg zur Technoparty starben. Zanacchi lebt in Brescia, Italien, die Familie Zapater in Tarragona, Spanien: Die Loveparade war nicht nur eine deutsche Tragödie.

Nadia Zanacchi — Mutter von Giulia.
Wir in Italien schauten mit Bewunderung nach Deutschland, einem Land, in dem alles zu funktionieren scheint. Als mir Giulia sagte, sie wolle zur Loveparade, hatte ich überhaupt keine Bedenken. Es war nur ein Ausflug, sie studierte Modedesign in Mailand. Das Lebensgefühl seit dem Mauerfall in Deutschland, vor allem in Berlin, faszinierte sie, und die Loveparade war ja ein Teil davon. Wenn ich mir anschaue, wie die juristische Aufarbeitung läuft, weiß ich, wir haben uns geirrt. Ihr seid uns ähnlicher, als wir denken.

Nuria Caminal — Mutter von Clara.

Unsere Tochter hat nichts getan, was ihr Leben in Gefahr gebracht hätte. Sie ist nicht betrunken Auto gefahren. Sie ist einfach auf ein Konzert gegangen, in einem Land, von dem wir dachten, dass es so sicher wäre.

Nuria Caminals Tochter Clara war Erasmus-Studentin in Münster und damals 22. Sie wollte Traumapsychologin werden. Ihre Mutter reicht ein Fotoalbum, das sie als Andenken gestaltet hat. Die Bilder darin zeigen ein lebenslustiges Mädchen, immer lachend: Clara vor den Pyramiden, Clara als Schulmädchen, Clara auf einem deutschen Christkindlmarkt. Ein kurzes, glückliches Leben auf zwanzig Seiten. Das Album endet mit Bildern von Clara auf der Loveparade, ausgelassen feiernd. Wenige Stunden später war sie tot. Das letzte Bild im Album zeigt sie in einer Umarmung mit einem Jungen, der später ebenfalls schwer verletzt wurde. So wollen die Eltern sie in Erinnerung behalten: herzlich und lebensfroh.

Claras Kamera wurde bei den Aufräumarbeiten gefunden, zertreten, die Chipkarte funktionierte noch. Auf der Kamera waren auch Bilder von Clara im Tunnel, als die Stimmung schon gekippt war, in Beklemmung und Angst. Es gibt Fotos bis zu 15 Minuten vor ihrem Tod.

DER TAG

Für Bahadir Akman war Deutschland ein neues, aufregendes Land. Der damals 25-Jährige war erst einen Monat zuvor, am 10. Juli 2010, aus der Türkei nach Köln gezogen, um an einer Sprachschule Deutsch zu lernen. Anschließend wollte er dort sein Master-Studium in Ingenieurswissenschaften beginnen, den Bachelor hatte er bereits in Denizli an der Pamukkale Universität gemacht. Akman kannte die Loveparade nicht, er mochte auch keinen Techno, aber in dem Fitnessstudio, in dem er sich angemeldet hatte, lief dauernd Werbung für das Spektakel. Akman war Mitglied bei McFit, der Fitnessstudiokette von Rainer Schaller, der die Loveparade veranstaltete.

Bahadir Akman — wurde schwer verletzt.
Schon in der Regionalbahn nach Duisburg war es supervoll. Die Leute hatten komische Klamotten an, manche waren fast nackt, andere total besoffen. Ich sah in meinem weißen Hemd aus wie ein braver Junge. Wir waren zu zweit unterwegs, ein Freund aus der Sprachschule und ich. Wir wollten die Kultur kennenlernen. Vom Bahnhof aus sind wir den Leuten einfach gefolgt wie Schafe. Es gab keine Probleme. Nur als wir dann in den Tunnel kamen, wurde es vor uns ziemlich voll. Mir gefiel das nicht, und wir wollten durch den anderen Tunneleingang wieder raus. Aber plötzlich kamen uns so viele Leute entgegen, dass wir zurückgedrängt wurden. Wir steckten in der Mitte fest.

Um zur Party zu gelangen, mussten die Gäste eine etwa 16 Meter breite Rampe hinauf, die aus einem 400 Meter langen Straßentunnel auf das Gelände führte. Beide Enden des Tunnels dienten als Eingang und Ausgang. Etwa in der Mitte, an jener Rampe, trafen zwei Besucherströme aufeinander wie in einem Trichter. Gegen 16 Uhr begann die Lage im Tunnel kritisch zu werden: Oben auf der Rampe versperrten Polizisten den Zu- und Abgang vom Festgelände. Vorher hatten Polizeiketten schon die äußeren Tunnelzugänge gesperrt. Als die Ketten überrannt wurden, geriet die Situation außer Kontrolle. Es gab keine Lautsprecherdurchsagen.

Frank Andes — Bereichsleiter westlicher Tunneleingang.
Der Einlass auf den Straßen vor den Tunneleingängen war durch Absperrungen gesichert. Vor uns standen ein paar Tausend Leute und riefen: »Die Mauer muss weg! Die Mauer muss weg!« Wir hatten die Schleusen kurzfristig dichtgemacht, weil es im Tunnel und auf der Rampe zu voll war. Dann kam der Einsatzleiter der Polizei für diesen Abschnitt und hat mich angewiesen, die Leute durchzulassen. Der wollte seine Straße frei haben. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie dieser Polizist hieß. Er wurde nie zur Verantwortung gezogen. Als wir die Schleusen dann geöffnet haben, fingen die Raver an zu jubeln und rannten in den Tunnel.

Bahadir Akman — wurde schwer verletzt.
Zuerst waren wir wie Wasser, wie eine Welle. Alle schwankten. Dann fielen wir um wie Dominosteine. Tacktacktack. Die Leute unter mir schrien, sie zogen an mir. Jeder wollte atmen. Jeder dachte nur an sich. Dann fiel ein Mädchen auf mein Gesicht, ich kämpfte gegen sie, zog sie an den Haaren. Jeder kämpfte. Du musst kämpfen, damit du lebst. Ansonsten gehst du unter wie in Treibsand. Ich habe versucht, meinen Atem zu kontrollieren. Wenn du zu viel schreist, wirst du bewusstlos, dann ist es vorbei. Ich bin erst ohnmächtig geworden, nachdem sie mich befreit hatten.

Nicole Ballhause — war am östlichen Tunneleingang im Securityteam.
Als der Einlass schon zu war, kam plötzlich jemand und rief: »Im Tunnel ist der Dritte Weltkrieg ausgebrochen!« Also sind wir dort hin, zu sechst oder siebt, wir dachten, da wäre eine Schlägerei. Ich bin durch den Tunnel zur Rampe und stand plötzlich vor drei Toten, die auf dem Boden lagen. Der eine hatte noch die Augen offen. Er lag mit dem Kopf auf dem Schoß seines Freundes, der ihm die Wange tätschelte: »Bleib bei mir, bleib bei mir!« Nach einer Bombe hätte es nicht schlimmer aussehen können. Nur dass hier kein Blut zu sehen war, nur Schuhabdrücke auf T-Shirts. Es war so ein Durcheinander. Ich habe Polizisten weinen sehen. Ein Mädchen haben wir in den Krankenwagen gebracht, aber die Sanis schüttelten nur den Kopf. Die war von ihrem T-Shirt stranguliert worden. Wir haben dann noch die Verstorbenen zugedeckt wegen der Gaffer. Manche Raver riefen ja im Vorbeigehen: Boah, schau mal, die sind schon müde und haben sich hingelegt. Die wussten nicht, was los war. Die Party ging ja weiter.

Nadia Zanacchi — Mutter von Giulia.
Gegen sieben Uhr am Samstagabend rief mich meine zweitälteste Tochter Claudia vom Urlaub aus an: Es sei etwas Schlimmes in Duisburg passiert. Ob ich etwas von Giulia gehört hätte? Ich habe versucht, Giulia auf ihrem Handy zu erreichen, aber sie hat nicht abgenommen.

Norbert Kaufmann — Polizei Duisburg.
Am Tag nach der Katastrophe habe ich das Vermisstentelefon betreut. Es gingen weit mehr als 500 Anrufe ein. Wenn ich aufgelegt habe, hat es sofort wieder geklingelt. »Ich vermisse meinen Bruder.« – »Ich vermisse meine Tochter.« Ich hatte eine Liste mit den Verletzten und eine mit den Toten. Es hat dann auch die Schwester der italienischen Verstorbenen angerufen. Ich durfte natürlich nicht am Telefon sagen, was los ist. Todesnachrichten sollen persönlich überbracht werden. Ich habe dann versucht, die Schwester zu beruhigen, aber ich fürchte, dass ich nicht so cool war. Ich weiß nicht, ob sie was gemerkt hat. Nach dem Gespräch habe ich sofort die zuständigen Kollegen benachrichtigt, die sich dann mit den italienischen Behörden in Verbindung gesetzt haben. Ich war 36 Stunden im Einsatz, die Sache ist psychisch wie physisch nicht spurlos an mir vorübergegangen.

Uns geht es nicht um Geld. Aber 2500 Euro für den Tod eines Kindes empfänden wir als Verhöhnung unserer Tochter und unseres Schmerzes

Nuria Caminal — Mutter von Clara.
Wir wussten gar nicht, dass Clara auf der Loveparade war. Am nächsten Morgen rief die Mutter einer ihrer Freundinnen bei uns an: Ihre Tochter sei mit Clara in Duisburg gewesen und mache sich nun Sorgen, weil sie Clara aus den Augen verloren und nichts mehr von ihr gehört habe. Wenig später meldete sich der spanische Konsul in Düsseldorf und sagte uns, dass Clara verunglückt und gestorben sei. Bis heute mache ich mir Vorwürfe, dass ich in jener Nacht so gut geschlafen habe. Eine Mutter muss doch spüren, dass ihre Tochter im Sterben liegt.

DER SCHMERZ

Klaus-Peter Mogendorf — Vater von Eike.
Anfangs dachte ich: Wenn ich jetzt vor den Baum fahre, auch scheißegal.

Nuria Caminal — Mutter von Clara.
Wir hatten eine Psychologin bei uns zu Hause. Sie sagte, wir sollten Claras Zimmer leer räumen und alles wegschaffen, was uns an sie erinnert. Das haben wir natürlich nicht getan. Ihr Zimmer wurde nicht angetastet. Es ist jetzt kein heiliger Ort für uns oder so etwas, aber es gehört nun mal zu diesem Haus.

Stefanie Mogendorf — Mutter von Eike.

An Weihnachten sind wir von unserem Haus in Osnabrück nach Duisburg zur Gedenkstätte gefahren. Es hat stark geschneit, wir saßen acht Stunden im Auto. Das war das Beste, was uns passieren konnte, denn es kam uns gar nicht wie Weihnachten vor.

Björn Grävell — Rettungsassistent, hat Mogendorfs Sohn Eike mehrere Male wiederbelebt und ihn ins Krankenhaus gefahren.
Der Arzt damals in der Notaufnahme hatte noch Straßenkleidung an, eine schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt. Er war vermutlich gerade erst angekommen, so wie wir. Er konnte Eike nicht mehr retten. In den Wochen danach habe ich diesen Arzt immer wieder gesehen: Er stand plötzlich da, lehnte an der Heckklappe unseres Rettungswagens. Und auf seinem schwarzen T-Shirt leuchtete ein Totenkopf. Es waren Halluzinationen.

Nicole Ballhause — Security.
Ich konnte lange Zeit nicht an Bauzäunen vorbeigehen, ohne zu zittern. Wir haben die Toten damals mit Bauzäunen umstellt und Decken auf sie gelegt.

Bahadir Akman — wurde schwer verletzt.
Ich lag drei Tage im Krankenhaus und konnte mein linkes Bein nicht bewegen. Der Arzt sagte, die Nerven seien kaputt. Niemand hat mich besucht, ich kannte ja niemanden. Der Freund, mit dem ich auf der Loveparade gewesen war, war selbst verletzt. Mittlerweile geht es mit dem Bein wieder. Nur ab und zu spüre ich noch ein Kribbeln, wie wenn es eingeschlafen wäre. Beim Arzt war ich aber nur ein Mal, seitdem ich aus dem Krankenhaus raus bin, weil ich keine gute Auslandskrankenversicherung abgeschlossen habe. Ich hatte damals, bevor ich nach Deutschland kam, natürlich die billigste genommen. Sie hat einen hohen Selbstkostenbeitrag. Bei jedem Arztbesuch muss ich die ersten 150 Euro, die anfallen, selber zahlen.

Stefanie Mogendorf — Mutter von Eike.
Bei mir ist der Knacks erst spät gekommen. Nach vier Jahren. Ich hatte auf einmal keinen Hunger mehr. Konnte nicht an Essen denken, konnte nicht einkaufen. Der Arzt meinte, es könnte eine Depression sein.

Nuria Caminal — Mutter von Clara.
Es ist sehr schwer, zwischen dem Kind, das noch da ist, und dem, das verstorben ist, zu vermitteln. Unser Sohn, er ist dreißig, braucht ja auch Aufmerksamkeit. Er spricht von sich aus nicht über seine Schwester, er hat das verdrängt. Ich will mich natürlich auch um ihn kümmern und nicht nur von seiner toten Schwester reden, aber ich will sie auch nicht wegschweigen.

Ein damaliger Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent, der ein längeres Interview mit dem SZ-Magazin ablehnt.
Ich habe damit abgeschlossen. Ich bin froh, dass ich Abstand dazu habe. Ich würde auch keinem Betroffenen dazu raten, mit Medienvertretern zu sprechen, weil das retraumatisierend auf sie wirkt. Natürlich erhoffen sich die Betroffenen etwas davon, aber das wird enttäuscht werden.

Auch vom Lopavent-Chef Rainer Schaller, der seinen Mitarbeitern damals einen rigiden Sparkurs auferlegt hatte, und dem damaligen Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland wollten wir wissen, wie sie mit der Katastrophe umgegangen sind – mit den Vorwürfen, mit der Last der Verantwortung. Für Rainer Schaller sagte nach einem Monat eine McFit-Mitarbeiterin per E-Mail ab: Vielen Dank für Ihre Geduld. Herr Schaller selbst wird nicht für ein Interview zur Verfügung stehen, bedankt sich aber für Ihr Interesse und Ihre Anfrage. Falls es Fragen gibt, die über seine PR-Agentur beantwortet werden können, können Sie mir diese gerne zuschicken.

Adolf Sauerland lehnt ebenfalls jede Stellungnahme ab. Als die Genehmigungen für die Loveparade damals unterschrieben werden sollten, war er im Urlaub. Zwei seiner Abteilungsleiter sprangen ein. Sie zählen jetzt zu den Angeklagten. Sauerland wurde 2012 per Bürgerentscheid abgesetzt, nachdem er den immer lauter werdenden Forderungen nach seinem Rücktritt nicht nachgekommen war. Ihm wurde Überforderung und Versagen im Umgang mit den Betroffenen vorgeworfen. Er lebt heute zurückgezogen in Duisburg.

DAS GELD

Julius Reiter — Opferanwalt.
Die meisten unserer Klienten sind noch nicht endgültig abgefunden. Einiges haben wir mit der Axa mit Pauschalbeträgen geregelt. Da sind auch kleine Schäden dabei, 500 Euro, zerrissene Jeans, kaputtes Handy. Das Land hat Verletzte mit 500 Euro pro Krankenhaustag entschädigt. Hinterbliebene wurden mit 20 000 Euro vom Land abgefunden. Von der Axa sollen ihnen 5000 Euro Entschädigung angeboten worden sein. Leider haben wir in Deutschland eine Schmerzensgeldregelung, die weltweit ganz hinten rangiert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Angehörigen von Todesopfern bei uns so geringe Beträge erhalten. Da muss sich dringend gesetzlich was ändern. Zum Vergleich: Nach Flugzeugabstürzen gibt es internationale Pauschalen von bis zu 150 000 Euro pro Totem. Die Germanwings-Hinterbliebenen haben für ihr erlittenes Leid vorab jeweils 50 000 Euro von der Lufthansa erhalten. Nach dem Costa-Concordia-Unglück haben die Angehörigen teilweise siebenstellige Summen erhalten. Die Axa dagegen stellt sich sehr formalistisch an.

Daniel Henneke-Sellerio — Anwalt von Nadia Zanacchi.
Für die Ansprüche der Mutter bot die Axa 2500 Euro an, darin enthalten: der »vererbte Schmerzensgeldanspruch« der Mutter »für den Todeskampf der Tochter« und der »Schockschaden« der Mutter. Die Axa wollte das als Zeichen des guten Willens verstanden wissen, denn eigentlich gebe es in Deutschland nur unter strengen Bedingungen einen Anspruch auf Schmerzensgeld für Hinterbliebene, der zudem detailliert zu belegen wäre. Wir haben abgelehnt, denn natürlich steht es einem Regulierer frei, freiwillig höhere Beträge zu zahlen.

Nadia Zanacchi — Mutter von Giulia.
Die 2500 Euro der Axa für Giulias Tod empfand ich als Beleidigung. Bezahlt wurde bisher nur die Überführung meiner Tochter nach Italien. Daran muss ich immer denken, wenn ich Fernsehwerbung von der Axa sehe, in der sie sich als Anwalt der Menschen inszeniert.

Paco Zapater — Vater von Clara.
Sollte uns das angeboten werden, nehme ich das Geld, fliege nach Deutschland und lasse mir einen Termin bei Frau Merkel geben: Sie soll mir das deutsche Gesetz erklären. Uns geht es nicht um Geld. Aber 2500 Euro für den Tod eines Kindes empfänden wir als Verhöhnung unserer Tochter und unseres Schmerzes.

Bernhard Kuchler — Landgericht Duisburg.
Die Axa hat laut dem Veranstalter Lopavent und der Stadt Duisburg Körperschäden in rund 500 Fällen reguliert. Zivilklagen von Hinterbliebenen auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld wurden bisher nicht erhoben.

Für Rainer Schallers expandierende McFit-Kette scheint sich die Loveparade-Katastrophe nicht geschäftsschädigend ausgewirkt zu haben.

McFit-Mitglieder 2009: etwa 800 000. McFit-Mitglieder 2014: etwa 1,2 Millionen. McFit-Umsatz 2009: 134 Millionen Euro. McFit-Umsatz 2014: 290 Millionen Euro.

Bahadir Akman — wurde schwer verletzt.
Ich habe 5500 Euro von der Axa bekommen. Mein damaliger Anwalt sagte mir, das sei eine gute Summe, und ich konnte das Geld dringend brauchen. Ich muss mein Studium finanzieren und mein Visum für Deutschland. Jedes Jahr muss ich nachweisen, dass ich 8000 Euro auf dem Konto habe. Ohne dieses Geld kein Visum. Für die Versicherung musste ich dann etwas unterschreiben, von dem ich gar nicht begriffen hatte, was es bedeutet.

Aus der Abfindungserklärung, die Akman am 14.7.2011 unterzeichnet hat: »Hiermit erkläre ich, dass gegen Zahlung dieses Betrags alle Ansprüche aus dem Loveparade Unglück, die von mir oder meinen Rechtsnachfolgern gegen die Firma Lopavent, gegen mitversicherte Personen, gegen die Axa-Versicherung, gegen die Stadt Duisburg (…), für Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft ohne Vorbehalt auch für etwaige heute noch nicht abzusehende Folgen abgefunden sind.«

Bärbel Schönhof — Anwältin, die Akman nun in einem Zivilverfahren vertritt, in dem sie für ihn Schmerzensgeld erstreiten will.
Meiner Meinung nach ist diese Abfindung in der Höhe sittenwidrig. Das Geld deckt nicht im Geringsten die Schäden ab, die entstanden sind. Herrn Akmans Lebensunterhalt ist in Gefahr, denn es ist vollkommen unklar, wie belastbar er in seinem Berufsleben sein wird. Man muss schauen, ob ein psychischer Dauerschaden entstanden ist.

Sabine Friedrich — Unternehmenskommunikation Axa.
Damit Betroffene entschädigt werden können, ist in jedem Fall deren Mitwirkung erforderlich. Denn wie in jedem anderen Schadenfall auch müssen die geltend gemachten Ansprüche nachvollziehbar und belegt sein. Dass wir wenige Fälle – weniger als zehn Prozent – noch nicht regulieren konnten, liegt häufig daran, dass die Betroffenen oder ihre Anwälte trotz mehrfacher Bitten seitens der Axa keine Entbindungserklärungen von der ärztlichen Schweigepflicht oder notwendige medizinische Unterlagen vorgelegt haben.

DAS MITGEFÜHL

Stefanie Mogendorf — Mutter von Eike.
Wir haben uns auf den Angehörigentreffen kennengelernt und Mail-Adressen ausgetauscht. Dann ist eine richtige Freundschaft daraus entstanden: Einmal im Jahr fahren wir jetzt zu den Zapaters nach Spanien, einmal zu Nadia nach Italien.

Nadia Zanacchi — Mutter von Giulia.
Es ist wichtig für mich, die anderen Eltern zu sehen. Nur mit ihnen kann ich die sein, die ich zuvor gewesen bin. Das ist meine Art der Therapie. Wir sprechen nicht dauernd über das Geschehene. Warum auch? Wir wissen ja, was passiert ist und was wir fühlen.

Klaus-Peter Mogendorf — Vater von Eike.
Im Frühjahr waren wir mit den Italienern und den Spaniern gemeinsam in Madrid. Im Prado, im königlichen Schloss. Wir Männer haben uns dann noch das Bernabéu-Stadion angesehen, während die Frauen auf dem Flohmarkt waren.

Nuria Caminal — Mutter von Clara.
Unser gemeinsamer Schmerz ist eine sehr starke Verbindung. Wir müssen keine Masken aufsetzen.

Klaus-Peter Mogendorf — Vater von Eike.
Wir sagen nur immer, es wäre schöner gewesen, wenn sich unsere Kinder kennengelernt hätten.

Jörn Teich — Betroffenenverein LoPa 2010.
Ich betreue mehr als 400 Leute, als Seelsorger, Lebenshelfer, Krisenhelfer. Ich fülle denen Unterlagen aus, höre ihnen zu. Bin immer erreichbar. Weil’s keiner macht, mach ich es eben. Letztes Jahr hatte ich einen Herzinfarkt, ich habe das Prinzmetal-Syndrom, mein Herz zieht sich bei Stress zusammen. Aber ich kann nicht kürzertreten, weil ich weiß, wie schlimm es ist, wenn keiner für einen da ist. Ich suche eine Freundin, aber als König der Bekloppten ist das natürlich schwer. Ich bin der Sprecher von Hunderten psychisch Gestörten. Ich habe keine Freunde, nur Leute, die Hilfe brauchen. Ich koste ja kein Geld. Ich hätte gerne ein Leben wie jeder andere, ich bin nicht nur die Loveparade. Aber das sieht keiner.

DAS GEDENKEN

Dort, wo sich die Menschen verknäulten und zu Tode gequetscht wurden, stehen heute Grablichter, Kruzifixe und gerahmte Bilder von Todesopfern auf schwarzem Kies. Der Ort des Gedenkens ist staubig und laut, Lastwagen donnern vorbei. Wer ihn besuchen will, muss durch den langen schwarzverrußten Straßentunnel, der breiter als hoch ist. Die Rampe ist heute schmaler, denn der neue Grundstücksbesitzer, der Möbelunternehmer Kurt Krieger, hat sie verengen lassen. Irgendwann sollen oben auf dem ehemaligen Veranstaltungsgelände Möbelhäuser entstehen.

Nach großem Hin und Her trotzten die Angehörigen dem Möbelunternehmer den Rest der Rampe ab, der nun als Gedenkstätte dient. Sie ist mit Blumen, Sträuchern und Efeu begrünt, ein Weg schlängelt sich hinauf bis zu einer Gedenktafel der Stadt, von wo aus man auf das alte Güterbahnhofsgelände blickt. Auch die schmale Betontreppe, wo es die meisten Toten gab, ist geblieben. Heute stehen auf ihren Stufen Blumentöpfe, für jeden Toten einer. Als die Stätte am 24. Juli 2013 eingeweiht wurde, läuteten in ganz Duisburg die Kirchenglocken.

Heute wird die Gedenkstätte immer wieder verwüstet. Aber ab und zu kommen auch Menschen, die den Kies harken und neue Grabkerzen aufstellen. Sie fühlen sich als Bürger der Stadt verantwortlich für diesen Ort, sagen sie.

Klaus-Peter Mogendorf — Vater von Eike.
Als wir beim Bundespräsidenten waren, hieß es ja, dass der Ort nicht erhalten werden kann. Da bin ich aufgestanden und habe gesagt: »Das kann nicht sein.« Wir haben dann einen Entwurf gemacht, mit befreundeten Architekten zusammen. Ich bin nicht der große Zeichner, ich brauche einen kreativen Geist dabei. Stefanie Mogendorf — Mutter von Eike. Erst ging es darum, überhaupt den Ort zu erhalten, und dann darum, wie viel vom Ort erhalten bleibt. Erst wollten sie ein Dach daraufsetzen, wie auf einer Kapelle. Winzig klein, drei Meter hoch, vier Meter breit. Und nur wir sollten den Schlüssel kriegen, nur die Angehörigen. Das müssen Sie sich mal vorstellen! Die Betroffenen und Traumatisierten, die da hinkommen, hätten doch eine Krise bekommen, wenn sie da ausgesperrt worden wären.

Jörn Teich — Betroffenenverein LoPa 2010.
 
Ich bin jeden Tag an der Gedenkstätte gewesen, jetzt nur noch zweimal die Woche. Dass die hin und wieder verwüstet wird, ist normal. Meistens sind es nur kleine Sachen, Bilder kaputt, Vasen zerbrochen, Leute, die Flaschen werfen im Vorbeifahren und rufen: »Verpisst euch, jetzt ist mal gut!« Aber fünf, sechs Mal wurde sie auch komplett verwüstet. Vor allem nach der Abwahl vom Sauerland. Einen älteren Herrn haben wir erwischt, wie er alles einfach wegräumen wollte. Ich denke, viele Duis-burger wollen diesen Stempel nicht mehr haben. Das steht hinter den Angriffen auf unsere Gedenkstätte. Man las ja oft, wie sich um uns gekümmert wurde, wie viel Geld wir bekämen. Die denken: Was habt ihr denn, es wurde doch alles gemacht für euch! Die wissen nicht, wie es wirklich ist.

Nicole Ballhause — Security.
Ich gehe jedes Jahr zur Jahrestagsveranstaltung. Ich muss da hin, auch wenn es mir schwerfällt. Einmal sollten 21 Luftballons aufsteigen, aber sie haben sich in einem Baum verfangen. Da dachte ich: Die wollen nicht weg, die gehen erst, wenn hier unten alles geklärt ist.

Warum weinst du? Wir sind dir dankbar. Du warst bei unseren Kindern, als sie da unten lagen.

DAS IMAGE

Die Loveparade in Duisburg sollte nicht nur Rainer Schallers Sportstudiokette McFit bewerben, sondern eine ganze Region attraktiver machen. Sie war ein Baustein der Idee von der »Metropole Ruhr«, in die Politiker, Stadtplaner und Kulturmanager sich verliebt hatten. Sie wollten endlich das Kohlenpott-Image loswerden. Ein bisschen Ibiza, ein bisschen Berlin für die Provinz. Nachdem die Loveparade 2009 in Bochum wegen Sorgen um die Sicherheit der Besucher abgesagt worden war, sollte dies in Duisburg nicht noch einmal geschehen. »Eine richtige Metropole kann das stemmen«, sagte beispielsweise Dieter Gorny, einer der Direktoren der »Kulturhauptstadt Ruhr 2010«, in einem Interview mit der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«: Ein Scheitern wäre peinlich und eine Ohrfeige für das gesamte Ruhrgebiet. Auch Adolf Sauerland zählte anfangs zu den Skeptikern, wandelte sich aber zum Fürsprecher.

Gäste-Übernachtungen in Duisburg
2009: 361 561
2014: 459 092

Uwe Gerste — Leiter des Stadtmarketings Duisburg.
Nach der Katastrophe war unser Ziel ganz, ganz hohe Neutralität in der Kommunikation. Wir haben zum Beispiel unseren Katalog für Touristen umbenannt: von »Duisburg erleben« in »Duisburg Städtereisen«. Wir sind auch sehr sensibel geworden bei der Bekanntgabe von Besucherzahlen bei Stadtfesten oder Ähnlichem. Wir haben diese Zahlen aus unserer Kommunikation rausgenommen. Wir wollten keine Angriffsflächen bieten.

McFit-Markenbekanntheit 2009 (aus einer Studie des Marktforschungsinstituts Skopos, repräsentative Umfrage unter 1002 Teilnehmern):
49 Prozent der Befragten kennen McFit.

McFit-Markenbekanntheit 2014 (aus einer Studie des Marktforschungsinstituts Dr. Grieger & Cie., repräsentative Umfrage unter 2013 Teilnehmern):
84 Prozent der Befragten kennen McFit.

Sören Link — Oberbürgermeister von Duisburg, sagte 2014 eine Kunstinstallation in Form einer tunnelartigen Skulptur ab.
Ich habe darum gebeten, dass dieses Kunstwerk in einer anderen Stadt realisiert wird. Ich habe das getan aus Respekt vor den Angehörigen. Die Triennale war kurz vor dem vierten Jahrestag. Ich wollte den Angehörigen ein Déjà-vu ersparen. Ich möchte weiter in der Stadt Veranstaltungen realisieren, aber ich muss auch sensibel sein, das ist das Spannungsfeld, in dem ich mich bewege. Die Katastrophe hat sich ins kollektive Gedächtnis der Duisburger eingebrannt.


DIE SCHULD


Eine damalige Beschäftigte der Stadtverwaltung Duisburg, die am Genehmigungsverfahren beteiligt war und anonym bleiben möchte:

Man hat ja über Jahrzehnte gelernt, wenn es eine Ansage von oben gibt, dann ist die zu realisieren, auch wenn ich aus meiner Sicht vielleicht denke: Das geht nicht.

Nadia Zanacchi — Mutter von Giulia.
Ich kann nicht fassen, dass der Prozess immer noch nicht begonnen hat. Die Spitzfindigkeiten und Ablenkungsmanöver der Verteidigung kränken sehr. Sie wollen den Prozess natürlich platzen lassen. Ich weiß, dass es schuldige Menschen gibt, sonst wäre ja nichts passiert. Ehe diese Leute nicht ihre Schuld und ihr Fehlverhalten eingestehen, können wir nicht abschließen. Das gilt auch für Schaller und Sauerland. Sie würden uns und unseren Kindern damit Respekt erweisen. Die Veranstaltung hätte an diesem schrecklichen Ort nie durchgeführt werden dürfen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Paco Zapater — Vater von Clara.
Ich als Rechtsanwalt für Strafsachen kann das deutsche Strafrecht nicht nachvollziehen. Es wirkt auf mich archaisch. Warum wird der Verteidigung so viel mehr Raum und Zeit eingeräumt als der Anklage? Das ist unverhältnismäßig. Ich verstehe außerdem nicht, wie die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft die letzten drei Jahre hinter verschlossenen Türen stattfinden konnten, ohne dass beide Parteien über den Stand der Dinge informiert wurden. Und es erscheint mir grotesk, dass der Oberbürgermeister der Stadt und der Veranstalter nicht angeklagt wurden. Warum gibt es keine Schadensersatzregelung für solche Katastrophen? Warum gibt es kein zeitliches Limit? Irgendwann hat ja auch kein Zeuge mehr die Dinge genau vor Augen, jede Erinnerung verblasst irgendwann. Für uns Eltern ist es wie Folter, dass es keinen Abschluss gibt. Am liebsten würde ich selbst vor Gericht für meine Tochter kämpfen, aber das geht leider nicht.

Klaus-Peter Mogendorf — Vater von Eike.

Für mich gibt es drei Verantwortliche: Veranstalter, Stadt und Polizei. Ursache war die Planung, und der Auslöser waren die drei Polizeiketten vor den Tunnelenden und an der Rampe. Bis heute ist nicht geklärt worden, warum die an den Stellen waren. Wegen der Polizeiketten hat es sich gestaut, und nachdem die Ketten sich aufgelöst hatten, trafen die Festivalbesucher auf der Rampe und den Tunnelzugängen schlagartig aufeinander. Erst dadurch kam es zu der Massenpanik.

Nicole Ballhause — Security.
Noch heute mache ich mir Vorwürfe: Ich habe die Leute reingelassen, ich habe sie in den Tunnel, in den Tod geschickt. Ich wollte mich sogar bei den Eltern entschuldigen, weil ich nicht mehr machen konnte, weil mir das alles so sehr leid tut. Da sagte ein Vater zu mir: Warum weinst du? Wir sind dir dankbar. Du warst bei unseren Kindern, als sie da unten lagen.

Frank Andes — Bereichsleiter westlicher Tunneleingang.
Ein Jahr später hat mir die Polizei erst Fotos vorgelegt, auf denen ich den Polizisten wiedererkennen sollte, der mich aufforderte, die Vereinzelungsanlage aufzulösen. Ich konnte ihn nicht identifizieren, auch nicht auf den Fotos. Ich habe mir zwei Jahre lang Vorwürfe gemacht. Albträume gehabt. Aber mir ging es bestimmt nicht so schlimm wie anderen.

Stephan Hegger — Pressesprecher der Polizeigewerkschaft NRW.
Die Kollegen, die im Tunnel am Tag der Katastrophe im Einsatz waren, würden gerne erzählen, was damals passiert ist und wie es ihnen heute geht. Sie haben aber Sorgen wegen des laufenden Verfahrens. Das könnte negative Konsequenzen für sie haben, weil es von interessierter Seite immer wieder Versuche gegeben hat, die Polizisten, die versucht haben, die im Tunnel eingekeilten Menschen zu retten, zu Mitschuldigen an der Katastrophe zu machen.

Das von der Anklage in Auftrag gegebene Gutachten von Professor Keith Still geht davon aus, dass die Zu- und Abwege zur Veranstaltung, also die Rampe, aufgrund von Planungsfehlern dem Besucherstrom nicht standhalten konnten. Die Katastrophe war demnach nicht aufzuhalten. Sollte die Anklage in diesem Herbst zugelassen werden, wird das Hauptverfahren voraussichtlich im Frühjahr 2016 beginnen. Die Polizei wird nicht vor Gericht stehen. Gegen sie wurde ermittelt, aber nie Anklage erhoben. Mögliche polizeiliche Vergehen könnten ohnehin nicht mehr verfolgt werden: Sie werden am 25. Juli 2015, fünf Jahre nach der Katastrophe, verjährt sein.

Klaus-Peter Mogendorf — Vater von Eike.

Ich hab nix davon, wenn der Schaller oder der Sauerland im Knast sitzen. Ich will, dass die sagen: Ich hab einen Fehler gemacht. Den kleinen Bauamtsmitarbeitern, die jetzt den Kopf hinhalten müssen, mache ich keine Vorwürfe, die sind Opfer der Profilierungssucht einiger hoher Herren.

Fotos: Dominik Asbach