Das Statement-Getränk

Es geht bei der Bionade eigentlich nicht um Litschi, Holunder oder Zitrone-Bergamotte. Es geht um die Launen des Schicksals.

Foto: Maurizio Di Iorio

Plötzlich war dieses Getränk überall. Hatte es davor nicht einfach Wasser gegeben, wenn man Durst hatte, Zuckerwasser, wenn man Glück hatte, und Alkohol, wenn man alt genug war? Aber dieses bewusste Trinken von angeblich gesunder Limo – das war neu.

Es wurde damals viel über die Bionade geschrieben. Aus zwei Gründen. Zum einen barg das Getränk eine schöne Familiengeschichte. Ein Tüftler aus der fränkischen Provinz hatte das Getränk erfunden, aus Geldnot, um seine kleine Brauerei-Anlage auszulasten: eine gebraute Limo ohne Alkohol. Seine beiden Stiefsöhne halfen, seine Frau auch. Irgendwann war die Familie fast pleite, das Getränk war gut und patentiert, hatte aber kaum Käufer. Da gewann die Frau eine Million Mark im Lotto und steckte sie in die kleine Firma. Und dann, irgendwann: der Durchbruch. Ein Getränkemärchen.

Der zweite Grund: Die Bionade war ein Statement-Getränk, man konnte sich mit ihr sehen lassen, eine Art alkoholfreier Aperol Sprizz. Elternbrause, kronkorkengeprüft, gesundes Image, und dann noch Litschi- oder Holunder-Geschmack, hey, cool! Es passierte damals etwas, was man sich mit keiner Marketingkampagne kaufen kann und auch Influencer niemals so gut hinbekommen. Gut gekleidete Menschen mit bester Laune tranken Bionade öffentlich und aufrichtig direkt aus der Flasche. Erst in Hamburg, dann überall.

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Das war insofern besonders witzig, als die Macher von Bionade gar nicht hip waren und den Hype zwar registrierten, ihm aber ungerührt gegenüberstanden. Alles war einfach so passiert, ohne Werbung, weil die Brauer-Familie aus Ostheim vor der Rhön ja chronisch pleite gewesen war. Auch das Bionade-Logo hatte der Tüftler einfach selbst erfunden, blau, rot und weiß – nicht gerade Trendfarben. Um nicht unterzugehen, hatte die Brauerfamilie übrigens noch eine Dorfdisco betrieben. Die Zufälligkeit des Aufstiegs machte uns Journalisten nur noch wuschiger.

Jetzt weiß ich nicht, ob Sie sich mal mit der Psyche von Journalisten beschäftigt haben, aber es gibt etwas, was Journalisten lieben: wenn sie etwas verstehen, am besten noch vor allen anderen, gern auch vor den Beteiligten selbst. Ich wollte das auch – und recherchierte für einen großen Bionade-Artikel. Ich fuhr nach Ostheim vor der Rhön, ich sprach mit den Gebrüdern Kowalsky, ich beobachtete ihren gealterten Stiefvater, den Tüftler, beim Herumwuseln auf dem Brauerhof, ich traf einen Kowalsky in Maryland auf einer Bio-Messe. Das war 2007. In Deutschland produzierte die einst kleine Firma inzwischen 200 Millionen Flaschen pro Jahr. Es ging das Gerücht um, Coca-Cola wolle die deutsche Marke kaufen. Als ich in Maryland danach fragte, grinste Herr Kowalsky und schwieg. Die Organic Trade Association, also der US-Handelsverband für Bio-Produkte, sagte dem Bio-Markt in den USA ein großes Wachstum voraus. 2007 ging der Verband von jährlich elf Prozent aus, bis 2025. Kowalsky stand da tapfer im Convention Center in Balti­more in seiner hoch sitzenden Männerhose und erklärte sein Produkt, die Luft war schlecht, das Licht künstlich, und der Funke sprang irgendwie nicht über. Bionade eroberte nicht den amerikanischen Markt.

Immer wenn ich sehe, wie jemand Bionade trinkt, muss ich an den Zufall denken.