Die Oma-Kolumne geht in den Ruhestand

In der letzten Folge erzählt unsere Senioren-Kolumnistin von den berührenden Erfahrungen des vergangenen Jahres – und erklärt, warum sie so offen aus ihrem Leben berichten wollte.

Illustration: Nishant Choksi

In meinem Leben hatte ich nie einen Beruf, für den ich morgens mit einer Aktentasche das Haus verlassen musste. Stattdessen kümmerte ich mich zu Hause um die Kinder und pflegte meine Mutter. Das war natürlich genauso viel Arbeit wie ein Bürojob. Aber manchmal habe ich mich nach dem Berufsleben gesehnt. Nach der Herausforderung, mich in unbekannten Situationen beweisen zu müssen.

Mit dieser Kolumne habe ich auf meine alten Tage einen Einblick in das Arbeitsleben bekommen. Natürlich erledigte meine Enkelin vieles: Sie schrieb nach unseren Gesprächen meine Gedanken auf und erzählte mir von all den Rückmeldungen – vielen, vielen E-Mails und einmal sogar einer Geburtstagskarte für mich.

Meine Aufgabe bestand vor allem darin, über mein Leben nachzudenken. Ich bin froh über den Anstoß. Denn so grübelte ich darüber, wie sich Einsamkeit, Trauer und, viel wichtiger, das Glück im Alter bemerkbar machen. Ich dachte darüber nach, wie die Welt früher war, wie meine Welt heute ist und warum eigentlich alles gut gekommen ist. Und ich dachte viel über die Liebe nach – wie ich sie fand, wie sie sich durch die Alzheimererkrankung meines Mannes veränderte, was eine gute Beziehung ausmacht und wonach ich heute eigentlich suche.

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Ich hatte von Anfang an mit meiner Enkelin besprochen, dass wir das mit der Kolumne ein Jahr lang machen wollen. Jetzt läuft die Kolumne sogar schon ein paar Wochen länger  – und ich liebe mein Leben als Kolumnistin. Aber gerade weil es mir so Spaß macht, möchte ich jetzt aufhören. Ich folge damit einer alten Regel, an die ich mich schon bei Feiern immer gehalten habe: Gehe, wenn es am schönsten ist. Und dank all der netten Worte, die mir LeserInnen Woche für Woche schicken, weiß ich, dass es gar nicht mehr schöner werden kann.  Danke dafür.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Enkelin mich am Telefon fragte, ob ich mir das mit der Kolumne vorstellen könnte. Sehr vielen Menschen ganz genau zu erzählen, wie es mir mit dem Alter geht. Ich sagte sofort zu. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst finde ich, dass über die schönen und weniger schönen Seiten des Alters viel zu wenig gesprochen wird. Ich weiß noch, wie ich mich als junge Frau davor gefürchtet habe, irgendwann nicht mehr jung zu sein. Und ich weiß, dass mir eine Kolumne, die mir einen Einblick in die Facetten des Älterwerdens gegeben hätte, damals sehr geholfen hätte. Denn sobald man über Themen spricht, verlieren sie jede Drohkraft. Wenn durch meine Worte auch nur ein paar wenige Menschen wissen, dass das mit dem Älterwerden überhaupt nicht schlimm sein muss, sondern das Alter sogar eine besonders schöne Phase des Lebens sein kann, habe ich mein Ziel erreicht.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich über mein Leben offen sprechen wollte. Meine Eltern waren sehr verschlossene Menschen. Auf viele Fragen, die ich ihnen stellte, habe ich nie eine Antwort bekommen. Es war ein schlimmes Gefühl, in seiner eigenen Familie nicht über alles reden zu können, immer Grenzen einhalten zu müssen. Ich wollte keine Grenzen um meine Erfahrungen ziehen. Ich wollte sie teilen. Damit jeder, der seinen eigenen Großeltern oder Eltern keine Fragen mehr stellen kann, vielleicht durch meine Augen zumindest einen kleinen Einblick in ihre Lebenswelt bekommt.  Und natürlich auch, damit meine eigene Enkelin mein Leben noch besser kennenlernt. Damit sie weiß, dass auch ich Fehler gemacht habe, dass jeder Mensch Fehler macht, dass das absolut in Ordnung ist und uns vielleicht sogar auch erst zum Menschen macht.

Die Kolumne führte dazu, dass meine Enkelin und ich so intensive Gespräche hatten. Sie durfte mich alles fragen, was sie interessierte. Wirklich alles, das sagte ich ihr von Anfang an. Also sprachen wir über Themen, über die wir sonst niemals besprochen hätten. Ob ich mich nach Liebe und Zärtlichkeit sehne, wie mein Leben früher als junge Studentin in München war, wie unterschiedlich unsere Jugend verlief und wie gleich doch in den wichtigen Dingen. Ich liebte es.

Von all diesen schönen Momenten habe ich ihr und damit auch den Lesern erzählt. Aber auch von den weniger schönen Seiten: der Trauer, dem Tod, der Einsamkeit und Angst. Aber wie ich gelernt habe, sind das auch nicht immer schlechte Gefühle – denn oft bedeuten sie nur, dass man das Glück hatte, jemanden geliebt oder gemocht zu haben.

Um jede Woche eine neue Folge fertig zu bekommen, telefonierten wir viel häufiger. Außerdem besuchte ich sie oft in München. Jedes Mal nahmen wir uns vor, auch an diesen Wochenenden viele Kolumnen zu schreiben. Aber was soll ich sagen? Das hat nicht immer gut geklappt. Unsere gemeinsamen Wochenenden waren dann doch gefüllt mit gutem Essen, Spaziergängen zu Museen und gemütlichem Zusammensitzen bei einem Glas Riesling. An diesen Wochenenden habe ich gelernt, wie schön es sein kann, sich vor der Arbeit zu drücken.

Jetzt liegt ein Jahr voller guter Gespräche hinter mir. Und auch voller berührender Rückmeldungen von LeserInnen. Manchmal schrieben mir jüngere Menschen und berichteten von ihren Erfahrungen mit ihren Großeltern. Das bewegte mich sehr. Vielleicht gibt es jetzt noch ein paar mehr EnkelInnen, die sich wie meine Enkelin vorstellen können, dass ihre Großeltern auch mal eine aufregende Jugend hatten, tanzen waren  und wie ich früher nach dem Ausgehen noch Gulaschsuppe gegessen haben.

Ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie mich als LeserIn dieser Kolumne begleitet haben. Jetzt bin ich wieder Vollzeitseniorin, und wer die Kolumne etwas verfolgt hat, weiß, was das bedeutet: Ich werde lesen, gutes Essen genießen und abends mein Glas Wein. Im Frühling fahre ich dann mit meiner Enkelin nach Amsterdam. Ich will die Tulpenfelder sehen. Und all das Leben, das noch auf mich wartet. Danke, dass Sie mich durch einen Teil davon begleitet haben.