Hände weg vom Klavier

In Hannover gewesen, Bob Dylan gesehen: ein paar Kommentare zu einem sehr schönen Konzert.

Da in Hannover leider niemand fotografieren durfte, stammt dieses Bild von einem früheren Bob-Dylan-Konzert.

Um acht Minuten nach acht geht das Licht aus in der AWD-Hall von Hannover. Bob Dylans Musiker treten auf die Bühne und haben bereits mit dem Opener angefangen, als der Chef von hinten herangeeilt kommt und unter dem Jubel des Publikums die ersten Worte ins Mikro krächzt: »Well I see you've got your leopard skin pillbox hat«.

Ich juble mit, und bin dennoch ein wenig enttäuscht. Vorgestern in Kopenhagen hatte Dylan seinen Auftritt noch mit »Gotta Serve Somebody« eröffnet, einem meiner Lieblingsstücke, hier spielt er nun das oft gehörte »Leopard Skin Pillbox Hat«. Vielleicht war an diesem Moment schon klar, dass es kein überragendes Konzert werden würde; es wurde dann aber doch ein gutes, mit einigen überragenden Momenten. Vor allem wurde es ein Konzert, dass deutlich machte, nach welchem Konzept Dylans Auftritte seit einigen Jahren funktionieren. Das wichtigste dabei: Die Musik mag krachen und rocken und poltern, tatsächlich lebt sie jedoch vor allem von Nuancen. Nur dadurch, dass Dylan bei jedem Auftritt zahlreiche Feinheiten seiner Interpretation verändert, hat er tausendmal gespielte Songs wie »Like A Rolling Stone« und »All Along The Watchtower« lebendig gehalten. So macht es ihm noch Spaß – und auch jenen Fans, die bereit sind, ihm ins Innere der Stücke zu folgen.

Was man nun aber problematisch finden kann: Diese Feinheiten der Interpretation sind inzwischen hauptsächlich im Gesang und in den Arrangements zu finden – kaum noch im Spiel von Dylans Begleitern. Während früher die Gitarristen Charlie Sexton und Larry Campbell ein stratosphärisches Solo nach dem anderen raushauten, während Dylan dazu milde lächelte, spielt seine jetzige Band auch in Hannover weite Strecken des Konzerts mit angezogener Handbremse.

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Die Gitarristen Denny Freeman und Stu Kimball sehen mit ihren schwarzen Hüten nicht nur wie Zwillinge aus, sie haben auch einen nahezu identischen Ton; und ein Solo dürfen beide nur selten spielen. Der dritte Saitenmann, Donnie Herron, wechselt stets behende zwischen Pedal Steel Guitar, Geige, Banjo und elektrischer Mandoline, ist jedoch kaum zu hören. (Nur Drummer George Receli darf bei jedem Stück ein rechtes Donnerwetter veranstalten.) Diese Bescheidenheit des Ausdrucks liegt nun nicht daran, dass die drei nicht könnten, sondern dass sie nicht dürfen: Musikalische Flamboyanz passt nicht mehr in Bob Dylans Konzept.

Die erzwungene Zurückhaltung der Band lenkt das Augenmerk auf – Dylan selbst. In Hannover ist seine Orgel deutlich lauter als auf früheren Touren, bei etlichen Stücken greift er zur Mundharmonika; bloß die Gitarre die für ihn bereitliegt, fasst er leider nicht an. Vor allem singt er aber mit großem Einsatz und sichtlich Spaß an der Sache. Es scheint, als habe er das Gerüst seiner Band fester im Boden verankert, um sich gesanglich umso freier und von musikalischen Zwängen unbeschwerter bewegen zu können.

So beweist sich der alte Werbespruch »Nobody sings Dylan like Dylan« bei jedem Song aufs Neue. Während sein Orgelspiel recht simpel bleibt, zeigt er sich bei der gesanglichen Neuerfindung seiner Stücke, bei Phrasierung, Betonung und Variation des Ausdrucks als absoluter Meister.

Schon »The Man In Me«, das zweite Stück, bereitet mir diesbezüglich große Freude. Wie er die Zeile »Ah, what a wonderful feeling« herausgurgelt und dabei klingt, als würde man seine Fußsohlen mit glühenden Eisen bearbeiten – toll. »Sets my, sets my heart a-reeling«, sing er weiter, »from my toes up to my ears – and everywhere«. Dieses letzte »and everyhwere« kommt im Originaltext nicht vor. Wurde es spontan eingefügt? Was hat es zu bedeuten? Wie verändert sich dadurch die innere Logik des Stücks?

Ähnliche Freude auch beim folgenden »Just Like Tom Thumb's Blues«, das als deftiger Shuffle dargeboten wird. Dylan singt die Passagen »...soon hit the harder stuff«, »...when my game got rough«, »...to call my bluff« und »...I've had enough«, indem er zum Ende der jeweiligen Phrase seine Stimme auf Grabestiefe absenkt. Neben mir lachen einige über diesen tatsächlich recht unterhaltsamen Effekt – so zieht er jene, die sich darauf einlassen, tiefer in seine Musik hinein.

Seine beste Gesangsleistungt an diesem Abend kommt bei »Sugar Baby« vom Album Love & Theft. Hier liefert die Band nur einen sparsamen Rahmen, das Stück wird von Dylan und seiner Orgel praktisch alleine bestritten. Durch extreme Dehnung einiger Schlüsselwörter rhythmisiert er den Song nicht nur nachhaltig, er verstärkt auch den apokalyptischen Nachhall der Worte: »Just as sure as we're liv----ing / Just as sure as you're bo----rn / Look up, look up, seek your ma-----ker / Before Gabriel blows his horn.«

Nach sechzehn Stücken und knapp zwei Stunden, nach tollen Versionen von »Chimes Of Freedom«, »Shooting Star«, »John Brown« und »Dignity« ist es dann vorbei. Aber zum Glück spielt Bob Dylan ja noch vier weitere Konzerte in Deutschland. Hier sind sie:

1.4. Berlin, Max-Schmeling-Halle
2.4. Erfurt, Messehalle
4.4. München, Zenith
5.4. Saarbrücken, Saarlandhalle