Die Gewissensfrage

»Wir haben zwei kleine Kinder und nehmen oft deren Freunde im Auto mit. Ich habe zwei Kindersitze, die laut TÜV zu den sichersten gehören, und zwei weniger sichere vom Discounter. Ich setze unsere Kinder immer auf die schlechteren Sitze und die fremden auf die besseren. Aber sollte etwas passieren, würde ich vielleicht besser damit fertig werden, hätte ich die Kinder anders gesetzt. Oder?« Marlene P., Celle


Die erste Frage hat sich eigentlich schon im Laden gestellt: Warum haben Sie die billigen Sitze gekauft? Aber nun, wenn Sie mit vier Kindern vorm Auto stehen, können Sie nur mehr mit Hinweis auf die mangelnde Sicherheit die Mitnahme ablehnen, verlangen, dass die Eltern eigene Sitze mitgeben, oder Sie müssen sich, falls das alles in der konkreten Situation nicht geht – Stichwort: heranziehendes Unwetter –, hart gesprochen, mit dem Abwägen von Leben befassen.

Das ist eine der heikelsten Fragen in der Moralphilosophie, und wenn man richtigerweise davon ausgeht, dass Menschenleben nicht einteilbar oder gar abstufbar sind, wäre es konsequent, die sicheren Plätze zu verlosen.
Dennoch hat man das Gefühl, es bestehen unterschiedliche Verpflichtungen, und diesem Gefühl sollte man nachgehen. Tatsächlich haben Sie eigenen Kindern gegenüber mehr Verantwortung als fremden. Wenn Sie tatenlos zusehen, wie andere Eltern ihre Kinder verwahrlosen oder gar verhungern lassen, handeln Sie falsch, aber es wäre noch vorwerfbarer, würden Sie das Ihren eigenen Kindern widerfahren lassen. Wenn Sie auf einen Notruf hin zum brennenden Kindergarten rasen, werden Sie vermutlich auch nicht zuerst alle anderen Kinder retten und hoffen, dass für Ihre am Schluss noch genügend Zeit bleibt. Demzufolge müssten Sie Ihre Kinder auf die sicheren Plätze setzen.

Jedoch: Sobald Sie Freunde Ihrer Kinder im Auto mitnehmen, handeln Sie in
Vertretung der jeweiligen Eltern, übernehmen deren Schutzpflichten treuhänderisch mit, tragen somit allen gegenüber die gleiche Verantwortung.
Das eröffnet Raum für eine weitere Überlegung: Traditionellerweise gilt es als moralisch hochwertig, ja sogar heilig, sich oder sein Leben für andere zu opfern. Doch passt das hier nicht: Man kann sich selbst, aber nicht andere Menschen opfern, und die eigenen Kinder sind in diesem Zusammenhang eigenständige Menschen. Soweit es um die Kinder geht und Ihre Verantwortung ihnen gegenüber, verbietet sich eine Bevorzugung der einen oder anderen. Jedes dieser Leben hat den gleichen Wert.

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Allerdings spielt hier noch etwas mit hinein: Neben den Kindern selbst wären bei einem Unglück auch die Eltern betroffen, die mit dem Verlust zurechtkommen müssten. Diesen Teil, der Sie selbst betrifft, können Sie auf sich nehmen. Und das beantwortet vielleicht Ihre sehr persönliche Frage, mit welchen Folgen Sie besser fertig werden könnten.

Weiterführende Informationen zum Thema:

Micha H. Werner, Verantwortung, in: Marcus Düwell / Christoph Hübenthal / Micha H. Werner (Hrsg.), Handbuch Ethik, Verlag J.B. Metzger Stuttgart 2002

Otfried Höffe, Verantwortung, in: Otfried Höffe (Hrsg.), Lexikon der Ethik, C.H. Beck Verlag München, 7. Auflage 2008

Kurt Bayertz, Verantwortung: Prinzip oder Problem? Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1995

Praktische Hinweise:

Der ADAC informiert im Internet über Fragen rund um die Mitnahme von Kindern im Auto. Im Mai 2010 haben Stiftung Warentest und ADAC gemeinsam Kindersitze für die verschiedenen Altersklassen auf ihre Sicherheit hin getestet.
Informationen dazu gibt es in der Zeitschrift „Test“ im Heft 06/2010 und hier.

Auch die Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) hält im Internet Informationen bereit, unter anderem eine Broschüre zum Download.

Rechtliche Regelungen:

§ 21 Straßenverkehrsordnung
...
(1a) Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, die kleiner als 150 cm sind, dürfen in Kraftfahrzeugen auf Sitzen, für die Sicherheitsgurte vorgeschrieben sind, nur mitgenommen werden, wenn Rückhalteeinrichtungen für Kinder benutzt werden, die den in Artikel 2 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 91/671/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 über die Gurtanlegepflicht und die Pflicht zur Benutzung von Kinderrückhalteeinrichtungen in Kraftfahrzeugen (ABl. EG Nr. L 373 S. 26), der durch Artikel 1 Nr. 3 der Richtlinie 2003/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. April 2003 (ABl. EU Nr. L 115 S. 63) neu gefasst worden ist, genannten Anforderungen genügen und für das Kind geeignet sind. Abweichend von Satz 1
1. ist in Kraftomnibussen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t Satz 1 nicht anzuwenden,
2. dürfen Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr auf Rücksitzen mit den vorgeschriebenen Sicherheitsgurten gesichert werden, soweit wegen der Sicherung anderer Kinder mit Kinderrückhalteeinrichtungen für die Befestigung weiterer Rückhalteeinrichtungen für Kinder keine Möglichkeit besteht,
3. ist
a) beim Verkehr mit Taxen und
b) bei sonstigen Verkehren mit Personenkraftwagen, wenn eine Beförderungspflicht im Sinne des § 22 des Personenbeförderungsgesetzes besteht, auf Rücksitzen die Verpflichtung zur Sicherung von Kindern mit amtlich genehmigten und geeigneten Rückhalteeinrichtungen auf zwei Kinder mit einem Gewicht ab 9 kg beschränkt, wobei wenigstens für ein Kind mit einem Gewicht zwischen 9 und 18 kg eine Sicherung möglich sein muss; diese Ausnahmeregelung gilt nicht, wenn eine regelmäßige Beförderung von Kindern gegeben ist.

(1b) In Fahrzeugen, die nicht mit Sicherheitsgurten ausgerüstet sind, dürfen Kinder unter drei Jahren nicht befördert werden. Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr, die kleiner als 150 cm sind, müssen in solchen Fahrzeugen auf dem Rücksitz befördert werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Kraftomnibusse.

llustration: Marc Herold