Die Gewissensfrage

Sollte man den Eltern zuliebe Mitglied der katholischen Kirche bleiben, auch wenn man selbst nicht mehr an deren Lehre glaubt?


»Ich habe seit Jahren mit der katholischen Kirche nichts mehr am Hut, etliche gesellschaftliche Positionen der Kirche lehne ich sogar dezidiert ab, zum Beispiel in Sachen Aids, Homosexualität oder Gleichstellung der Frauen. Eigentlich würde ich austreten, wenn ich nicht wüsste, dass es meinen Vater schwer belasten, ja sogar verletzen würde. Kann, soll oder muss ich meinem Vater zuliebe gegen meine Überzeugung in der Kirche bleiben?« Daniel T., Mannheim

Kann man die Frage denn überhaupt beantworten, ohne zu entscheiden, ob es richtig ist, in der Kirche zu sein? Meiner Meinung nach ja, denn das eigentliche Problem liegt im Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater. Jeder von Ihnen beiden hat eine bestimmte Einstellung zu Glauben und Kirche, von deren Richtigkeit er überzeugt ist. Leider sind die beiden Meinungen einander entgegengesetzt und in der Frage, ob Sie in der Kirche bleiben sollen, unvereinbar. Analysiert man beide Sphären, fällt eine Asymmetrie auf: Ihr Vater will, dass Sie seiner Einstellung wegen in der Kirche bleiben, während Sie umgekehrt nicht verlangen, dass Ihr Vater Ihretwegen austritt. Dies könnte dagegen sprechen, dass Sie dem Wunsch Ihres Vaters folgen, lägen nicht zwei Besonderheiten vor: Ein Vater sorgt sich natürlich besonders um das Wohlergehen seines Kindes, und in Ihrem Falle dürfte er zudem aus seinem Glauben heraus gehalten sein, sich um Ihr Seelenheil zu kümmern.

Schlägt man, wie wir es hier gern machen, in den klassischen Quellen nach, stößt man auf eine Stelle bei Platon. Der meinte, wer seine Verwandtschaft in Ehren hält und »dieselben Familiengötter verehrt«, dürfte »mit Fug die Huld der über die Geburten waltenden Götter beim Kinderzeugen erlangen«. Nun wollen Sie vielleicht gar keine Kinder oder halten das für Aberglauben, das hilft somit auch nur begrenzt.

Allerdings hat es auch etwas Unaufrichtiges an sich, wenn Sie wirklich innerlich mit der Kirche abgeschlossen haben, ja sie sogar ablehnen und nur Ihrem Vater zuliebe formal in der Kirche bleiben. Und beim Kirchenlehrer Augustinus findet man einen Gedanken, der hier interessant sein könnte: In seinem Buch De mendacio (Über die Lüge) teilt er die Lügen nach ihrem Schweregrad ein und erachtet als schwerste, noch vor dem Wunsch, schlechthin Böses zu tun oder sich am Betrug zu ergötzen, in Glaubensdingen zu lügen. Das sollte zwar mehr Ihrem Vater zu denken geben als Ihnen selbst, dem Glaubensdinge ja eher fremd zu sein scheinen. Dennoch würde ich an dieser Stelle anknüpfen: Wenn Sie mit der Kirche lediglich nichts mehr anfangen können, Ihnen das Thema eher egal ist, spricht manches dafür, aus persönlicher Zuneigung zu Ihrem Vater, dem das sehr wichtig zu sein scheint, dennoch Mitglied zu bleiben. Widerstrebt es Ihnen jedoch explizit, hielte ich einen Verbleib rein aus Gefallen für unaufrichtig.

Meistgelesen diese Woche:

---
Rainer Erlinger empfiehlt zu diesem Thema:

Platon, Nomoi V. Buch 729 c Übersetzt von Hieronymus Müller, Platon, Sämtliche Werke Band 4, Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbeck bei Hamburg, 1994

Aurelius Augustinus, de mendacio, zitert nach: A. Augustinus, Die Lüge und gegen die Lüge, übertragen und erläutert von P. Keseling, Würzburg 1953, S. 58

Maria Bettetini, Eine kleine Geschichte der Lüge, Wagenbach Verlag Berlin, 2. Auflage 2003

Codex Iuris Canonici (CIC) Codex des kanonischen Rechtes in der Fassung der Promulgation vom 25.1.1983 (Auszug):

Can. 209 — § 1. Die Gläubigen sind verpflichtet, auch in ihrem eigenen Verhalten, immer die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren.

§ 2. Mit großer Sorgfalt haben sie ihre Pflichten zu erfüllen, die ihnen gegenüber der Gesamtkirche wie gegenüber der Teilkirche obliegen, zu der sie gemäß den Rechtsvorschriften gehören.

Can. 210 — Alle Gläubigen müssen je nach ihrer eigenen Stellung ihre Kräfte einsetzen, ein heiliges Leben zu führen sowie das Wachstum der Kirche und ihre ständige Heiligung zu fördern.

Can. 211 — Alle Gläubigen haben die Pflicht und das Recht, dazu beizutragen, daß die göttliche Heilsbotschaft immer mehr zu allen Menschen aller Zeiten auf der ganzen Welt gelangt.

Can. 225 — § 1. Da die Laien wie alle Gläubigen zum Apostolat von Gott durch die Taufe und die Firmung bestimmt sind, haben sie die allgemeine Pflicht und das Recht, sei es als einzelne oder in Vereinigungen, mitzuhelfen, daß die göttliche Heilsbotschaft von allen Menschen überall auf der Welt erkannt und angenommen wird, diese Verpflichtung ist um so dringlicher unter solchen Umständen, in denen die Menschen nur durch sie das Evangelium hören und Christus kennenlernen können.

§ 2. Sie haben auch die besondere Pflicht, und zwar jeder gemäß seiner eigenen Stellung, die Ordnung der zeitlichen Dinge im Geiste des Evangeliums zu gestalten und zur Vollendung zu bringen und so in besonderer Weise bei der Besorgung dieser Dinge und bei der Ausübung weltlicher Aufgaben Zeugnis für Christus abzulegen.

Can. 226 — § 1. Die im Ehestand leben, haben gemäß ihrer eigenen Berufung die besondere Pflicht, durch Ehe und Familie am Aufbau des Volkes Gottes mitzuwirken.

§ 2. Da die Eltern ihren Kindern das Leben geschenkt haben, haben sie die sehr schwerwiegende Pflicht und das Recht, sie zu erziehen; daher ist es vor allem Aufgabe der christlichen Eltern, für die christliche Erziehung ihrer Kinder gemäß der von der Kirche überlieferten Lehre zu sorgen.

Illustration: Marc Herold