Die Gewissensfrage

Darf man seinen Eltern eine Waschmaschine verkaufen? Oder müsste man sie ihnen schenken?

»Ich habe meinen Eltern kürzlich eine hochwertige, von mir gebrauchte Waschmaschine verkauft. Ich bin ihnen mit dem Preis freilich sehr entgegengekommen. Selbst der Handwerker, der meinen Eltern die Maschine im Keller anschloss, sagte, sie hätten ein Schnäppchen gemacht. Dann habe ich einer Freundin von dem Deal erzählt. Sie war entsetzt und meinte, ich hätte ihnen die Waschmaschine schenken sollen. Ich bin meinen Eltern für ihre Erziehungsarbeit sehr dankbar und hadere seit dem Gespräch mit mir. Darf ich mit meinen Eltern keine Geschäfte machen, auch wenn es gute Geschäfte sind?«  Horst K., Bremen
In einem altägyptischen Weisheitstext aus der Zeit um 1400 vor Christus gibt Ani seinem Sohn Chonsuhotep Ratschläge fürs Leben; unter anderem für das Verhalten seiner Mutter gegenüber: »Gib deiner Mutter doppelt so viel Nahrung, wie sie dir gegeben hat, trage sie, wie sie dich getragen hat.« Die Schilderungen der Verdienste der Mutter gehen weiter bis zur Schulzeit: »Als sie dich dann in die Schule gab, damit du schreiben lerntest, da war sie täglich da und passte auf dich auf, mit Brot und Bier aus ihrem Hause.«

In dieselbe Richtung – ohne Bier für Minderjährige – geht das biblische Gebot: »Du sollst Vater und Mutter ehren«, je nach Tradition ergänzt durch den Zusatz »auf dass du lange lebst in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird«. Das wird allgemein so ausgelegt, dass es neben der Frage des Gehorsams gegenüber den Eltern auch um die Pflicht geht, für die ältere Generation zu sorgen. Es scheint sich darin ein Grundsatz widerzuspiegeln, den man heute vielleicht als »Generationenvertrag« bezeichnen könnte: Solange die Kinder klein sind und Schutz und Pflege brauchen, sorgen die Eltern für sie, wenn die Kinder groß sind, sorgen umgekehrt sie für die Eltern, wenn diese Unterstützung brauchen. Dies gilt im direkten familiären Umfeld wie auch gesellschaftlich, im Rahmen der Rentenversicherung.

Insofern kann man tatsächlich daran zweifeln, ob es richtig war, Ihren Eltern die Waschmaschine zu verkaufen, statt sie ihnen zu schenken. Und wenn ich ehrlich bin, geht auch meine persönliche Meinung in diese Richtung, zumal vermutlich nicht allzu große Beträge im Raum stehen. Aber eine allgemeine Regel »Keine Geschäfte mit den Eltern« wäre mir dennoch zu pauschal. Entscheidend scheint für mich, wie Sie und Ihre Eltern Ihr Verhältnis sehen und leben wollen. Offenbar war das Geschäft im Prinzip für Ihre Eltern in Ordnung, sonst hätten sie nicht mit dem Handwerker über den Preis gesprochen.

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Es gibt allgemeine Grundsätze wie die Dankbarkeit gegenüber seinen Eltern. Wie diese jedoch im Konkreten gehandhabt wird, hängt davon ab, wie es die Beteiligten halten möchten. Zumal eine alte Waschmaschine ohnehin eine sehr individuelle Form der Zuneigungsbekundung darstellt.

Literatur Rainer Erlinger empfiehlt zu diesem Thema:

Die Lehre des Ani ist in einer deutschen Übersetzung zu finden in:
Die Weisheitsbücher der Ägypter, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Hellmut Brunner, Artemis & Winkler Verlag 1997

Die zehn Gebote finden sich an zwei Stellen der Bibel, Ex 20,2-17 und Dt 5, 6-21. Das Gebot seine Eltern zu ehren, lautet einmal „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.“ (Ex 20,12 in der Übersetzung der Lutherbibel) und „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat, auf dass du lange lebest und dir's wohlgehe in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.“ (Dt 5,16 ebenfalls in der Übersetzung der Lutherbibel)

Zu den Auslegungen und der Einordnung ist empfehlenswert: Hermann Deuser, Die Zehn Gebote. Kleine Einführung in die theologische Ethik. Reclam Verlag Stuttgart 2002

Illustration: Marc Herold