Der Himmel der Bayern

Das unheimliche Wachstum der Therme Erding: Wie aus einem Acker bei München Europas größtes Erlebnisbad wurde.

Südsee und Erding – das passt ungefähr so gut zusammen wie Piña Colada und Leberkäs. Trotzdem läuft in Erding, 30 Autominuten nordöstlich von München, der Versuch, diese beiden Gegensätze unter einer Glaskuppel zu vereinen. Das sind aber längst nicht die einzigen Welten, die in der Südseetherme Erding aufeinanderprallen: Im Strandrestaurant »Caribbean’s« etwa werden neben bayerischen Fleischgerichten auch Currywurst und Wiener Schnitzel zubereitet. Weil die Therme Erding auch ein Gesundheitsparadies sein will, befindet sich gleich gegenüber eine auf 65 Grad geheizte Sauna. »Fördert die Entgiftung und Entschlackung«, steht auf einem Schild am Eingang. Und im großen Lagunenbecken kreisen am Freitagmorgen, kurz vor Weihnachten, etwa 30 Senioren mit den Armen. Ein Animateur am Beckenrand gibt Takt und Übungen vor, Aquagymnastik mit einem Hauch von Woodstock: Aus den Lautsprechern tönt psychedelische Rockmusik von Santana. An der Poolbar drängeln sich die Gäste, fünf Männer, Mitte 20, prosten einander im Thermalbecken mit Weißbier zu und lassen sich von einer älteren Besucherin fotografieren. Die Saunalandschaft, eine Halle weiter, erinnert in Größe und Form an das Terminal 2 des Münchner Flughafens. Nur sind die Menschen hier nicht in Anzügen und mit Rollkoffern unterwegs, sondern nackt. Es gibt noch eine dritte Halle, 25 Meter hoch und bis unter die Decke gefüllt mit ineinander verschlungenen Rutschen.

Alles zusammen ergibt »Europas größte Thermenwelt«, wie es im Prospekt der Erdinger Therme heißt: 18 Rutschen, 26 Saunen, 31 Wasserbecken, 150 Großpalmen, 1800 Parkplätze, 5000 Umkleideschränke. Auf einer Gesamtfläche von 145 000 Quadratmetern, was in etwa der 30-fachen Größe des Münchner Marienplatzes entspricht. Vergangenes Jahr kamen wieder einmal 1,5 Millionen Besucher nach Erding, absoluter Rekord in Deutschland. Die Betreiber vergleichbarer Bäder wären schon mit der Hälfte glücklich.

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So weit die Zahlen. Aber woher rührt nun der Erfolg der seltsamen Kombination von Spa und Spaßbad in Erding? Und was treibt Menschen überhaupt in solche Einrichtungen?

Jürgen Kagelmann ist Psychologe in München, seit geraumer Zeit beschäftigt er sich mit dem Freizeitverhalten der Deutschen. Alle zwei Jahre gibt er die Spaßbad-/Thermenstudie heraus, eine Art Branchenreport. Er sagt, künstliche Badewelten wie die Therme Erding seien deshalb so beliebt, weil sie einen bequemen Zeitvertreib garantierten. »Man weiß, was einen erwartet, ist unabhängig vom Wetter und hat überschaubare Kosten.« Die Gäste suchten heute in Thermalbädern nicht mehr nur Kneipp- und Schwefelbecken gegen Rheuma und Arthritis, sondern auch Wellness, Spaß und Abenteuer. Genau das bietet die Therme Erding im Überfluss: Die Mitarbeiter haben ausgerechnet, dass ein Besucher mindestens drei Tage braucht, um alle Angebote auszunützen; jeden Saunagang, die Wohlfühl-Programme, die Honig-, Fresh-Lemon-, Klangschalen- oder Meditationsaufgüsse, das Salz- oder Zuckerpeeling, die Sole-, Calcium- oder Selen-Jod-Becken, die Sprudel, Massagedüsen, Nackenduschen und Rutschen, die 360 Meter lange »Magic Eye« oder die »Kamikaze« mit 60 Grad Gefälle.

Die Schöpfer der künstlichen Welt in Erding: Jörg Wund, 46, und Josef Wund, 73. Der Sohn leitet seit zwölf Jahren das Tagesgeschäft, der Vater kommt nur selten nach Erding. Etwa um mit seinen Freunden vom Kegelclub zu baden. Oder um mal wieder umzubauen.

Die Schöpfer der Therme Erding sind Josef Wund, 73, und sein Sohn Jörg, 46. Es gibt eine klare Aufgabenteilung: Jörg Wund, grauhaarig, Familienvater und Architekt, ist seit zwölf Jahren für das Tagesgeschäft zuständig, für die 280 Mitarbeiter und vor allem für die 5000 Gäste, die an einem durchschnittlichen Tag das Bad besuchen. Regelmäßig liest er die blauen Zettel, die für die Badegäste ausliegen, um Kritik und Anregungen zu äußern. »Die Gäste sind meine besten Unternehmensberater«, sagt Wund, »ich muss nur machen, was sie sagen, dann brummt der Laden.« Also hat er die Zahl der Aufgüsse in der Sauna erhöht, die Plastikliegen im Saunabereich durch teure Holzliegen mit Wasser abweisendem Bezug ersetzt, rutschfeste Böden verlegt, neue Duschen installiert und viele andere Kleinigkeiten. Wenn aber große Entscheidungen anstehen, verlässt er sich auf den Instinkt und Wagemut seines Vaters. Josef Wund gilt als einer der kreativsten Architekten Deutschlands, er hat Messehallen, Sportstadien und Krankenhäuser in aller Welt errichtet. Seine Eltern waren Bauern, er begann als Maurer und hat sich hochgearbeitet. Er trägt inzwischen ein Hörgerät und denkt trotz seines Alters nicht ans Aufhören. Täglich geht er in sein Büro in Friedrichshafen, das eigentlich einmal der Sohn übernehmen sollte. Doch dann kam das Projekt in Erding dazwischen.

Mitte der Neunzigerjahre besichtigen die beiden zum ersten Mal den Acker etwas außerhalb von Erding, auf dem Ingenieure der Firma Texaco zehn Jahre zuvor nach Öl gebohrt hatten. Doch statt Öl war heißes, schwefelhaltiges Wasser aufgestiegen. Anders als sein Sohn verfügt Wund senior über die Fantasie, um sich vorzustellen, wie in dieser Ödnis eines Tages Hunderttausende von Menschen in ein Freizeitbad strömen. Er hat erlebt, was aus dem Nichts entstehen kann, als sich die Ruinen der vom Krieg zerstörten Städte in Deutschland binnen weniger Jahre in neue Wohnblöcke verwandelten.

Dieses ganze Vorhaben erinnert an den Turmbau zu Babel

Als die Verhandlungen mit der Stadt Erding abgeschlossen sind, erhält Josef Wund unerwartet einen höchst prestigeträchtigen Auftrag: Er soll den deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Hannover bauen. Damit fällt dem Sohn die Aufgabe zu, die Visionen des Vaters in Erding umzusetzen. Jörg Wund entwirft ein Thermalbad im Stil der Südsee – kein anderer Ort weckt bei Deutschen mehr Urlaubsgefühle –, mit Palmen und organisch geformten Becken. Das verwirrt die Lokalpolitiker: Für sie besteht ein Thermalbad aus rechteckigen Therapie-, Entspannungs- und Bewegungsbecken. Auch die für 400 Besucher ausgelegte Sauna stößt auf Ablehnung: »Hier zieht sich niemand aus«, nörgelt ein Stadtrat. Ein Politiker der Grünen kritisiert, das ganze Vorhaben erinnere ihn an den Turmbau zu Babel.

Am 3. Oktober 1999 öffnet die Therme Erding, am zweiten Wochenende ist der Ansturm so groß, dass in den Umkleiden die Schlüssel für die Schränke ausgehen. In den Saunabereich drängen doppelt so viele Gäste wie vorgesehen, nach sechs Wochen Betrieb baut Jörg Wund drei weitere Saunen ein. Als Büro dient in der stürmischen Anfangszeit ein Raum mit unverputzten Wänden, als Ausstattung ein Laptop und eine Bierbank. Der Vertrag, den Josef Wund 1994 mit der Stadt Erding abgeschlossen hat, sieht vor, dass seine Firma das Bad nicht nur baut, sondern auch selbst betreibt. Natürlich hat Jörg Wund, der Sohn, als junger Architekt keinerlei Erfahrung in diesem Geschäft. Also macht seine Frau kurz vor Eröffnung der Therme Erding ein zweiwöchiges Praktikum in der SchwabenTherme bei Ravensburg. Sie lernt in groben Zügen, wie die Kasse funktioniert und was abends bei der Abrechnung zu beachten ist. Dennoch sind Wund und seine 35 Mitarbeiter anfangs heillos überfordert: An den vier Kassen bilden sich lange Schlangen. Manche Besucher schimpfen bereits in der Eingangshalle, andere dann in der Therme, weil nicht alle Bereiche rechtzeitig fertiggestellt wurden: Zum Beispiel fehlt der Trinkbrunnen mit Thermalwasser, obwohl er im Plan der Therme eingezeichnet ist. Immerhin stimmen die Zahlen: Im ersten Jahr besuchen 625 000 Menschen die Therme, die Investition von 50 Millionen, damals noch D-Mark, hat sich gelohnt.

Jedes Jahr kommen mehr Besucher, nur nach dem 11. September reißt der Strom für eine Woche ab. Und im Jahrhundertsommer 2003 geht die Besucherzahl leicht zurück, der Gewinn bleibt aber gleich, weil Wund zwischenzeitlich den Eintrittspreis erhöht hat. Trotzdem ahnt er, dass die Therme attraktiver werden muss, um vor allem im Sommer noch mehr Gäste anzulocken. Es ist Zeit für eine neue Vision, und der Seniorchef Josef Wund muss nicht lange überlegen.

Anfang der Achtzigerjahre haben die ersten Bäder begonnen, Rutschen zu installieren. Sie ziehen vor allem junges Publikum an, ähnlich wie Achterbahnen auf Jahrmärkten. Hunderte Bäder werden nachgerüstet. Das Alpamare im bayerischen Bad Tölz lockt mit einer Riesenrutsche, die mit dicken Gummireifen befahren wird. Josef Wund erkennt sofort, dass es gilt, den neuen Standard zu toppen, und schreibt ein Projekt aus: eine Halle mit 13 Rutschen. Der Millionenauftrag geht an die Starnberger Firma Wiegand-Maelzer. Geschäftsführer Rainer Maelzer erlebt Wund als jemanden, »der genau weiß, was er will: die höchste, die steilste und die längste Rutsche«. Diese Wünsche kann Maelzer nachvollziehen, andere weniger: Sämtliche Rutschen sollen im gleichen Teil der Halle enden, damit die dort wartenden Mütter im allgemeinen Trubel sofort ihre rutschenden Kinder sehen können. Außerdem plant Wund neue Umkleiden für die zusätzlichen Besucher, die er in verschiedenen Farben gestalten will, damit vor allem Kinder sich besser orientieren können und nicht so leicht verlaufen. Maelzer rätselt, welche Menschenmassen der Seniorchef eigentlich vor Augen hat.

Jörg Wund, der Sohn, findet die Pläne sogar ziemlich beunruhigend. Sein Vater will nämlich nicht nur die mit Abstand größte Wasserrutschen-Anlage in Deutschland bauen, sondern auch ein völlig neues und ebenso überdimensionales Saunagelände. Auf seinen Entwürfen zeichnet der Senior über bestehende Straßen und Nachbargrundstücke hinaus, Straßen könne man verlegen und Grundstücke kaufen, sagt er. Am Ende der Planungsphase hat sich die Größe der Thermenwelt Erding verdreifacht. Damit sich die Investition von 65 Millionen Euro lohnt, muss sich die Besucherzahl verdoppeln, rechnet der Vater vor. Das Ziel wird bereits im zweiten Jahr nach dem großen Umbau erreicht.

Mehr noch als beim Neubau streben die Wunds nun, bei der Erweiterung, eine möglichst perfekte Kopie der Südseewelt an. Das heißt: eine höhere Palmendichte und im Sichtfeld der Gäste keine Lüftungsrohre oder Heizkörper, die diese Illusion beeinträchtigen könnten. »Manche Architekten meinen, dass man die Technik zeigen muss – das sehen wir anders.« Die Technik der Therme Erding, immerhin ein Drittel der Baukosten, wurde weitgehend in den Keller verbannt. Alle 20 Minuten wird hier die komplette Wassermenge der Anlage gereinigt, hauptsächlich von Haut und Haaren der Gäste. Das bedeutet, dass etwa 3,3 Millionen Liter Wasser in 27 Filteranlagen und mit Einsatz von Ozon, Chlor, Schwefel und anderen Chemikalien aufbereitet werden. Ein paar Räume weiter rumort die Heizung für die Sauna, auch ein Entwurf von Wunds Vater: In einem riesigen Kessel wird Wasser auf 160 Grad erhitzt. Aufgrund des hohen Drucks im Kessel verdampft es aber nicht, sondern bleibt flüssig. Die entstehende Wärme wird ins Saunaparadies geleitet. Solche Anlagen würden eigentlich nur in der Industrie verwendet, erklärt Jörg Wund, in Thermen seien Stromheizungen üblich, die 30 Prozent mehr Energie verbrauchen. Noch ein Gerät begeistert den Schwaben Wund, ein Transformator, der in einer Garage steht: Der graue Kasten reduziert die elektrische Spannung, die vom öffentlichen Netz mit 240 Volt angeliefert wird, in der gesamten Therme auf knapp 220 Volt. Auch das senkt den Energieverbrauch spürbar.

Mehr als 10000 Menschen drängen an manchen Tagen in die Therme

Mehr als 10 000 Menschen drängen an manchen Tagen in die Therme Erding, »Größe wirkt einfach anziehend«, sagt Jörg Wund, »so ist der Mensch halt gestrickt.« Das gilt erst recht für die Medien: In der Rutschenhalle gehen Kamerateams von Galileo und ähnlichen Sendungen ein und aus, um über Rutschwettbewerbe oder den Einbau neuer Rutschen zu berichten. Die Marketingabteilung der Therme weiß diese kostenlose Werbung sehr zu schätzen. Auch auf Facebook ist die Therme Erding präsent, mit mehr als 115 000 Freunden. Eine Mitarbeiterin ist eigens dafür abgestellt, ihre Kommentare zu sichten und Fragen zu beantworten. Umgekehrt sind die Erdinger sehr darauf bedacht, schlechte Presse zu vermeiden. Natürlich gab es Unfälle, ein junger Mann verletzte sich beim Trampolinspringen an der Wirbelsäule, ein Sechsjähriger klemmte sich an einer Rutsche so unglücklich die Hand ein, dass er zwei Finger verlor. Solche Fälle bedeuten für Wund monatelange juristische Auseinandersetzungen, selbst wenn er am Ende freigesprochen wird. Deshalb geht er lieber auf Nummer sicher, ein Sprungturm zum Beispiel, in vielen Freibädern üblich, kommt für ihn nicht infrage. Manchmal berichten die Boulevardmedien auch, die Therme Erding sei ein beliebter Treff von Swingern. Deshalb wurden Anfang 2011 zusätzliche Aufpasser eingestellt, die streng darüber wachen, dass sich Pärchen nicht zu nahe kommen; meist mit Erfolg, wie ein Mitarbeiter lakonisch anmerkt.

Die kleinen Zwischenfälle haben jedoch dem Ruf der Therme nicht geschadet: Die Anziehungskraft des künstlichen Südseebades reicht mittlerweile sogar so weit, dass die Besucher in der Ferienzeit im Durchschnitt einen Anfahrtsweg von 180 Kilometern in Kauf nehmen. Jörg Wund weiß von Jugendlichen aus dem 800 Kilometer entfernten Emsland zu berichten, die mit dem Nachtzug anreisten, den ganzen Tag in Bad und Rutschenparadies verbrachten, um dann mit dem Nachtzug wieder nach Hause zu fahren. Eine andere Besucherin sei sogar 25-mal aus Madrid eingeflogen, um in der Erdinger Saunalandschaft zu entspannen. 30 Prozent der Besucher sind Stammgäste und kommen mindestens einmal pro Monat.

Gerade diese Gäste sind anspruchsvoll und wollen immer etwas Neues erleben. Jörg Wund muss ständig neue Attraktionen schaffen, und das bedeutet jedes Mal eine Investition von mindestens 200 000 Euro – alles, was weniger kostet, geht unter in der riesigen Thermenwelt. Zunehmend investiert Wund auch in Animation und Veranstaltungen, um die Gäste bei Laune zu halten – Gesundheitswochen, Saunanächte, Klassikevents. Deshalb ähnelt die Therme Erding mehr und mehr einem Freizeitresort, einer Clubanlage am Mittelmeer oder in der Karibik.

Anfang Dezember, Josef Wund hat für die Therme Erding gerade 280 Palmen aus Singapur geordert. Palmen von 14 bis 18 Meter Höhe, »die allerfeinste Form, geschmeidig, mit einer ganz glatten Haut, fast wie bei einem Kind«, schwärmt er. Aus dem Stegreif hält er einen 20-minütigen Monolog über die Botanik der Palme, wie sie belüftet und wie das Erdreich beschaffen sein muss, damit sie in der künstlichen Therme nicht sofort eingeht. Wund weiß, wie wichtig die exotischen Bäume sind. Die meisten Menschen ziehen sich in der Öffentlichkeit nicht gern nackt aus, nicht einmal in der Sauna. Deshalb braucht es eine Umgebung, die Geborgenheit vermittelt. Auch das warme Wasser weckt dieses Gefühl, sagt Wund, »jeder von uns war neun Monate im Bauch der Mutter, der Bezug zum Wasser steckt tief im Unterbewusstsein«. Während eines seiner Projekte traf er Luciano Pavarotti. Und lernte, dass der Opernsänger »Untertöne erzeugen konnte, das können nur ganz wenige«. Genau diese Untertöne lösten beim Zuhörer Gänsehaut aus. »Darum geht es«, sagt er, »auch wir müssen in unserer Therme Untertöne erzeugen, damit die Menschen nicht ein, zwei Stunden bei uns bleiben, sondern acht oder zehn Stunden«. Und nun, nachdem dieses Ziel in Erding erreicht sei, sagt Wund, »will ich sie für mehrere Tage, wenn nicht Wochen«. Also plant er nun ein Hotel, ein gigantisches Hotel mit 250 Zimmern, für mehr als 100 Millionen Euro.

Er hat nicht die geringsten Zweifel, dass die Menschen kommen werden. Das Fliegen werde immer teurer, »gleichzeitig sinken die Standards, eine würdelose Veranstaltung«, schimpft Wund. Dazu noch die Hygiene- und Gesundheitsprobleme im Ausland, die Gefahr von Anschlägen und Kriminalität – viele Deutsche wollten im Grunde gar nicht verreisen. Wund wird ihnen deshalb ein Paradies vor die Haustür stellen, eine exklusive Welt, in der die Gäste nicht mehr mit Handtüchern um ihre Plätze kämpfen, sondern von einem Portier empfangen werden, der sie zu ihrer Liege begleitet. Im Zentrum soll das Hotel stehen, mit großzügigen Zimmern, 60 bis 80 Quadratmeter, »und wenn die Gäste aus dem Fenster schauen, werden sie Korallenriffe und Palmen sehen«.

Wenn die Bauarbeiten im Jahr 2014 abgeschlossen sind, wird die Therme Erding doppelt so groß sein wie heute und ein ähnliches Angebot aufweisen wie ein Autokonzern: mit dem Rutschenparadies als Einstiegsmodell für junge Besucher, der Therme als Mittelklasseangebot für die ganze Familie und dem neuen Hotel am oberen Ende, sozusagen als Zwölfzylinder-Luxuslimousine. So sieht es jedenfalls Josef Wund, der die Wünsche der Freizeitgesellschaft so gut nachvollziehen kann, obwohl sie ihm persönlich fremd sind: Er selbst fährt lieber in die Berge zum Wandern als in eine künstliche Welt zum Ausspannen und Plantschen. Neben Erding hat Wund auch noch Thermen im Schwarzwald eröffnet sowie in Bad Wörishofen, 50 Kilometer westlich von München. In Sinsheim beginnen gerade die Bauarbeiten für seine vierte Therme. In Mailand, Rom und Verona verhandelt er über weitere Projekte. »Wir haben einen Erfolg, das ist unbeschreiblich«, schwärmt er, »Sie werden in Deutschland kaum ein Unternehmen finden, dem es besser geht.« Selbst die Eurokrise schreckt ihn nicht, die Zinsen sind historisch günstig, und die Chancen, dass sich Schulden, die er jetzt aufnimmt, in den nächsten Jahren durch eine steigende Inflation verringern, stehen auch nicht schlecht.

Nur seinem Sohn ist die Sache wieder einmal unheimlich. Jörg Wund hätte das Hotel lieber nur halb so groß gebaut wie der Vater, weil er die Gefahr sieht, dass der Strom der Gäste irgendwann doch einmal versiegen könnte. Zu viele Bäder sind in dem Strudel schon untergegangen: weniger Gäste, weniger Einnahmen, weniger Geld für Renovierung und Investitionen, noch weniger Gäste. Wenn er diese Sorgen mit seinem Vater teilt, bekommt er eine Antwort, die ihn fast noch mehr beunruhigt: »In Erding«, sagt der Senior nämlich, »stehen wir doch gerade erst ganz am Anfang.«

Fotos: Robert Voit