Doofe Ziege!

Würden Sie am liebsten manchmal umfallen, weil Ihnen alles zu viel ist? Es gibt ein Tier, das tut es einfach – nicht nur zu seinem Vorteil.

Ziegen sind, wenn man ihre Halter so reden hört, eigentlich die tollsten Tiere überhaupt. Sie können nicht nur die steilsten Gipfel hinaufklettern und geben im Vergleich zur Kuh mehr Milch – nein, da wo Ziegen unterwegs sind, gibt es sogar weniger Waldbrände, da sie besonders trockenes Gras sehr lieben. Ganz zu schweigen von ihrem großartigen Charakter. Das von Natur aus wohl freiheitsliebende Geißlein meckert zwar gern und ist die meiste Zeit damit beschäftigt, seinen Halter auszutricksen, alles in allem aber ist es, wenn auch manchmal etwas widerspenstig, ein umgänglicher, cleverer und liebenswerter Typ.

Wäre da nicht eine Ziegenrasse, die den Ruf der Art ruinieren könnte: die »Tennessee Fainting«-Ziegen. »To faint« bedeutet im Englischen »ohnmächtig werden«. Diese Tiere sind im Gegensatz zu ihren Artgenossen gar nicht störrisch, aber überaus nervös, ängstlich und sehr, sehr schreckhaft. Das führt zu einer Reaktion, die ihnen das Leben erschwert: Statt sich bei vermeintlichen Gefahren schnell vom Acker zu machen, wie es sich für eine normale Ziege gehört, fällt die Fainting-Ziege einfach um. Auf der Stelle. Ihre kurzen Beine werden steif wie Stöckchen und ragen in die Luft, während das Tier für zehn bis 15 Sekunden nicht ganz bei sich ist. Dummerweise erschrickt diese Ziege auch noch bei jeder Kleinigkeit: Traktorengeräusche, schnelle Schritte, lautes Rufen, Wetterwechsel. Kein frohes Leben, könnte man meinen.

Doch ihr Verhalten hat Unterhaltungswert: Mehr als 14 Millionen Mal wurde ein Youtube-Video des Spektakels bisher angeklickt und die kleine Fainting-Ziege damit weltbekannt. Inzwischen gibt es in Amerika sogar ein Fainting-Goat-Festival und Shows, bei denen die spektakulärsten Stürze ausgezeichnet werden. Je länger die Tiere regungslos am Boden liegen, desto höher ist die Chance zu gewinnen. Wo die verrückten Ziegen herkommen, das weiß man bis heute nicht so genau. Angeblich tauchten sie im 19. Jahrhundert in Tennessee auf, seitdem werden sie in den USA gezüchtet. Ihr auffallendes Verhalten ist zurückzuführen auf die seltene Muskelerbkrankheit Myotonia congenita: Die Skelettmuskeln kontrahieren bei starkem Adrenalinausstoß und können sich anschließend nicht sofort wieder entspannen. Nach dieser Schreckstarre allerdings verhält sich das Tier wieder, als sei nichts gewesen.

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Allein in der Wildnis könnte die Ziege nicht überleben. Eine Herde wäre ohne menschlichen Schutz innerhalb kürzester Zeit ausgerottet – zu leicht werden die Tiere Opfer natürlicher Feinde. Nahe der amerikanischen Stadt Millington sollen bei einem Kojotenangriff auf eine über hundertköpfige Herde nur 13 Ziegen überlebt haben. Ein Zeit lang wurde die »Ohnmachtsziege« deshalb sogar ausschließlich als Opferziege gesehen. Man mischte sie unter normale Schaf- und Ziegenherden. Kam dann ein Wolf oder anderes Raubtier, war sie leichtes Opfer. Während die anderen flüchten konnten, blieb sie ihrem Schicksal überlassen. Und was Ziegen eigentlich ausmacht, tun Fainting Goats auch nur selten: meckern. Die ständige Angst, entdeckt und gefressen zu werden, hat ihnen das so gut wie abgewöhnt. In Deutschland ist es per Gesetz verboten, diese Ziegen zu züchten. Sie fallen unter Paragraf 11b des Tierschutzgesetzes, der »Qualzüchtungen« verbietet. Würden die amerikanischen Ziegen von alledem wissen, würden sie bestimmt gleich wieder umkippen.

Illustration: Dirk Schmidt