Bitte rühren

Stanislav Vadrna bringt Bewegung in die Welt der Barkeeper: Er bietet ihnen einen Cocktail aus buddhistischen und hawaiianischen Weisheiten.


Stan sieht zwar manchmal aus wie ein Surfer, doch der »Botschafter des Aloha« predigt seinen Barkeeper-Kollegen natürlich auch Disziplin.

Endlich haben auch die Barkeeper ihre eigene Philosophie. Ein Slowake, Stanislav Vadrna, kurz Stan, hat sie formuliert. Er fliegt um die Welt und hält Vorträge vor begeisterten Kollegen. Er spricht über ihre Einstellung zu ihrem Job, den man sehr ernst nehmen müsse, und darüber, wie man einen Cocktail richtig schüttelt. Barkeeper kaufen sich nach seinen Seminaren einen japanischen, längeren Rührstab, nennen sich nur mehr »Mixologen« und schwärmen, ihre Cocktails schmecken besser.

Die Botschaft des Slowaken ist eine Art Bar-Buddhismus und im Wesentlichen eine Mischung aus japanischen, italienischen und hawaiianischen Sinnsprüchen.

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Der Wichtigste steht als Tattoo auf Stans linkem Arm: Ichigo Ichie – eine Chance, ein Treffen. Bei einer japanischen Teezeremonie bedeuten diese Worte: Man muss die erste Chance nutzen, um den Gast glücklich zu machen. Das sollte auch jeder Barkeeper beherzigen. Das zweite Wort, auf dem die Barkeeper-Weisheit fußt, hat Stan dem Vokabular der italienischen Renaissance entlehnt: Sprezzatura – er fand das Wort in einem Geschichtsbuch, die Übersetzung: mühelose Eleganz in jedem Augenblick. Zum Verständnis zeigt Stan gern ein Dia von Marcello Mastroianni, der selbst rauchend vornehm aussah. Das dritte Wort schließlich stammt aus Hawaii: Aloha – und das soll für den Barkeeper - frei übersetzt - bedeuten: Teile deinen Atem und deine bedingungslose Liebe mit dem Gast.

»Botschafter des Aloha« nennt er sich auch gern. Stan kann eineinhalb Stunden lang über die drei Worte vor Publikum sinnieren. Er variiert sie, er mixt sie, er belegt ihre weitreichende Gültigkeit mit Anekdoten aus seinem kurzen Leben: Der weise Barkeeper ist erst 36 Jahre alt.

Stanislav Vadrna wuchs in Bratislava auf und wollte Künstler werden. Er ging auf verschiedene Schauspielschulen, fotografierte und jobbte bei der Bahn als Kellner im Nachtzug. Mit 23 schließlich fand er endgültig seine Bestimmung, als er in Israel in einem Hotel einen Barkeeperjob annahm. Danach kehrte er zurück nach Bratislava, arbeitete als Manager einer Bar mit dem Namen »Paparazzi«. Mit 30 bekam er die Gelegenheit zu einem Praktikum in Japan, ein Jahr lang hatte er Emails verschickt. »Das war mein Erweckungserlebnis«, sagt Stan. »Dort habe ich mein Ego verloren.« Er besuchte Teezeremonien, sah Sushimeistern beim Fischschneiden zu und durfte bei Kazuo Ueda zusehen. Ueda ist eine Barkeeper-Legende in Tokio, er gilt als Erfinder einer Schütteltechnik für Cocktails: des »Hard Shake« oder »Three Step Shake«. Außerhalb Japans war Ueda lange unbekannt. Das änderte sich, als Stan nach Europa zurückkehrte. Bald zog er sich aus der gut gehenden Bar in Bratislava zurück, gründete sein eigenes Analog Bartending Institute, wurde weltweiter Botschafter der japanischen Whisky-Marke Nikka und verbreitete seine adaptierte japanische Bartradition unter den Kollegen: Es geht um den Gast; bewusst atmen; aufhören zu denken; sich elegant und flüssig bewegen, aber nicht angeben; eins sein mit dem Rührlöffel.

Barkeeper aus aller Welt hören Stans Erklärungen gebannt zu und dann schütteln sie den Shaker, um zu lernen, wie man aufhört zu denken, dabei möglichst elegant bleibt, ohne eitel zu wirken. Manchmal schütteln die Schüler und ihr Lehrer Stan sechs Stunden lang gemeinsam, bis sie die japanischen Shakes beherrschen, bei denen weniger Schmelzwasser im Shaker entsteht und die Drinks deshalb kälter serviert werden können. Am zweiten Seminartag wird gerührt, so lange, bis der japanische Löffel im Rührglas mit dem richtigen Wirbel tanzt. Am dritten Tag lehrt er, wie man das Eis mit der Hand schnitzt. Drei Tage sind natürlich zu kurz, um europäischen oder amerikanischen Barkeepern all das beizubringen, was ihre japanischen Kollegen während einer strengen fünfjährigen Ausbildung lernen. Aber Stan bietet eine unterhaltsame Show, und zu hören, wie hoch das gesellschaftliche Ansehen eines Barkeepers in Japan ist, steigert das Selbstbewusstsein der Teilnehmer.

Wer ihn nicht live auf Ibiza, Hawaii, in Moskau, Dubai oder Berlin erleben kann, der klickt seine Filme auf Youtube an.

Vor Stan hat niemand groß darüber nachgedacht, wie man rührt. Heute hat jeder europäische Barkeeper einen japanischen Rührlöffel. Die Bewunderung kennt allerdings Grenzen: Das Eis so mit der Hand zu schnitzen wie in Japan funktioniert nicht in Europa. Das ist ein Luxus, den niemand bezahlen mag. Erst recht nicht, wenn sich der Barkeeper davor und danach mit der Hand durch die gegelten Haare fährt.


Fotos: Peter Spurny, Jan Schünke